# taz.de -- Niedersachsens Landesverfassung: Rassenwahn vielleicht heilbar
       
       > Das Konzept „Rasse“ ist überholt. In Niedersachsens Landesverfassung
       > steht das Wort aber noch drin. Grüne und FDP wollen das ändern.
       
 (IMG) Bild: Blau, braun, grün, bunt: Ein Exponat einer Ausstellung über Rassismus im Hygiene-Museum in Dresden
       
       Bremen taz | Die Grünen-Fraktion in Niedersachsen will das Wort „Rasse“ aus
       der niedersächsischen Landesverfassung streichen und durch „rassistisch“
       ersetzen. Einen entsprechenden Gesetzentwurf stellte am Donnerstag ihr
       rechtspolitischer Sprecher Helge Limburg vor.
       
       Gegenwärtig heißt es in Artikel 3 der Landesverfassung: „Niemand darf wegen
       seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner
       Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen
       Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Die Grünen fordern
       jetzt: Das Wort „Rasse“ soll ersetzt werden durch die Formulierung, dass
       niemand „rassistisch“ benachteiligt oder bevorzugt werden dürfe. Außerdem
       wäre nach ihrer Vorstellung die Aufzählung um das Merkmal „sexuelle
       Identität“ zu ergänzen.
       
       Die Grünen begründen ihren Vorstoß damit, dass seit Langem unzweifelhaft
       feststehe, dass es keine Menschenrassen gebe. Tatsächlich war das Konzept
       von der Unesco nach jahrzehntelangem Ringen 1978 [1][für überholt befunden]
       worden. Im Jahr 1995 wurde diese Einsicht in der Erklärung von Prinzipien
       der Toleranz [2][bekräftigt].
       
       Ulrich Kattmann ist emeritierter Professor der
       Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg. Unter anderem im „Lexikon der
       Biologie“ und [3][im Auftrag der Bundeszentrale] für Politische Bildung hat
       er sich mit dem Rassekonzept auseinandergesetzt: „Menschenrassen – ein
       längst überholtes Konzept“ heißt einer seiner Beiträge von 2002. Ein
       [4][weiteres Werk] von 2003 trägt den provokativen Titel „Sind wir alle
       Neger? Biologische Rassenkonzepte sind wissenschaftlich nicht haltbar“.
       
       Kattmann ist der Auffassung, dass der Rassebegriff ein
       sozialpsychologisches Konzept ist: „Man will sich unterscheiden: Wir und
       die Anderen“, sagt er. Der Mensch strebe danach, sich gegen andere
       abzugrenzen. Biologisch gesehen sei eine Unterscheidung zwischen Rassen
       aber nicht haltbar. „Im Sinne einer biologischen Systematik bilden alle
       heute lebenden Menschen eine Art“, schreibt er in einem Artikel für die
       Online-Ausgabe von Spektrum.
       
       Den Vorschlag der Grünen, den Begriff „Rasse“ jetzt durch „rassistisch“ zu
       ersetzen, hält er dennoch für verfehlt. Wenn man der Ansicht sei, dass es
       Rassen nicht gebe, dann solle man den Begriff ganz streichen, sagt er.
       „Wenn man etwas rassistisch nennt, negiert man ja nicht, dass es Rassen
       gibt“, sagt er. Er ist der Meinung, dass eine Forderung, Menschen nicht
       aufgrund ihrer Herkunft zu diskriminieren, den Aspekt bereits abdeckt, den
       die Grünen mit der Aufzählung des Rassismus einfangen wollen. „Die Herkunft
       kann ja sowohl das Land sein, in dem man geboren ist, als auch die Kultur,
       mit der man aufgewachsen ist“, sagt Kattmann der taz.
       
       Bereits im Juni 2014 hatte die FDP-Fraktion im niedersächsischen Landtag
       geplant, einen ganz ähnlichen Antrag einzureichen. Dieser sah ebenfalls
       eine Ergänzung des Merkmals der sexuellen Identität vor. Das Wort „Rasse“
       wollte die FDP jedoch ersatzlos aus der Verfassung streichen. Zu einer
       Abstimmung über den Gesetzentwurf kam es allerdings nie. Bevor über den
       Entwurf abgestimmt werden konnte, löste sich der niedersächsische Landtag
       auf: Der Übertritt der vormals Grünen-Abgeordneten Elke Twesten zur CDU
       bedeutete damals den Verlust der Regierungsmehrheit.
       
       „Wir würden den Begriff Rasse gerne vollständig aus der Verfassung
       streichen, weil Menschen heutzutage nicht mehr nach Rasse unterschieden
       werden“, sagt der rechtspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Marco Genthe
       zum aktuellen Vorschlag der Grünen. Auch die FDP halte den Begriff
       „rassistisch“ für einen fragwürdigen Ersatz. Genthe sehe „die mit
       ‚rassistisch‘ gemeinte Diskriminierung bereits durch die weitere Auflistung
       wie Abstammung, Herkunft und Heimat in gewisser Weise abgebildet.“
       
       „Die Zielrichtung von unserem Gesetzentwurf ist primär, dass der Begriff
       ‚Rasse‘ aus der niedersächsischen Landesverfassung gestrichen wird“, sagt
       Helge Limburg. „Wir sind aber zu Gesprächen bereit.“
       
       Würden bei der Diskussion über das Gesetz die anderen Parteien dem
       Streichen des Wortes „Rasse“ zustimmen, aber würde sich keine Mehrheit
       dafür aussprechen, den Begriff durch „rassistisch“ zu ersetzen, sei man
       auch mit einer ersatzlosen Streichung einverstanden, so Limburg. Das, was
       „rassistische“ Diskriminierung beschreibt, sei für ihn aber mehr, als
       Diskriminierung aufgrund der Herkunft. „Diskriminierten Menschen darf nicht
       die Möglichkeit genommen werden, selber zu definieren, wofür sie sich
       diskriminiert fühlen“, sagt er. Eine „rassistische“ Diskriminierung umfasse
       mehr als die reine Herkunft des Diskriminierten.
       
       Bei der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland kommt der
       Gesetzentwurf der Grünen-Fraktion sehr gut an. „Wir finden das total
       super“, sagt Tahir Della, Sprecher der Initiative. Es habe bereits in
       anderen Landesparlamenten Versuche gegeben, das Wort „Rasse“ aus den
       Landesverfassungen zu streichen. Das sei dann aus verschiedenen Gründen
       jeweils gescheitert. Darum begrüße die Initiative den Vorstoß der
       Grünen-Fraktion in Niedersachsen umso mehr. Der Plan, das Wort „Rasse“
       durch „rassistisch“ zu ersetzen, sei der richtige Weg.
       
       „Der Blick muss umgekehrt werden“, sagt Della: „Es sollte nicht mehr die
       Gruppe beschrieben werden, die diskriminiert wird, sondern der Grund, aus
       dem Diskriminierung passiert.“ Dass es Rassen nicht gebe, sei hoffentlich
       inzwischen klar. „Das heißt aber nicht, dass es rassistisches Handeln nicht
       gibt.“
       
       Menschen würden aus den unterschiedlichsten Gründen diskriminiert. Die
       Herkunft spiele bei rassistischen Diskriminierungen aber nicht immer eine
       Rolle. „Wir können dem Problem von Rassismus doch nur begegnen, wenn es im
       Gesetz benannt wird“, sagt er. „Wenn der Begriff ‚Rasse‘ ersatzlos
       gestrichen wird, blenden wir aus, dass es Rassismus gibt. Der Begriff
       Rassismus beinhaltet, dass es Rassen nicht gibt und trotzdem diese
       Diskriminierung stattfindet.“
       
       15 Nov 2019
       
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 (DIR) [3] http://www.bpb.de/politik/extremismus/rechtsextremismus/213673/rassen-gibt-s-doch-gar-nicht
 (DIR) [4] https://uol.de/ulrich-kattmann/publikationen/anthropologie-rassen
       
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