# taz.de -- Bedrohte Demokratien: Der Geist von 89
       
       > 30 Jahre nach dem Mauerfall fehlt das Verständnis, dass es nicht um
       > Freund und Feind geht, sondern um Respekt und Kompromisse.
       
 (IMG) Bild: Beförderte den Geist von 1989 mit: Udo „Sonderzug nach Pankow“ Lindenberg (rechts)
       
       Dreißig Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer spreche ich als Leiterin
       einer Menschenrechtsinstitution viel von Bedrohungen. Dabei handelt es sich
       in der Region, die vor 30 Jahren ihren Weg in die Demokratie begonnen hat,
       um ganz reale Bedrohungslagen: um fehlenden Respekt für das Prinzip der
       Rechtsstaatlichkeit; um zunehmenden [1][Hass in der öffentlichen Debatte],
       der verstärkt auch in Äußerungen führender Politiker zum Ausdruck kommt;
       und um eine sich verschärfende Polarisierung, die jeglichen Dialog
       unmöglich macht.
       
       Gleichzeitig bin ich mehr denn je überzeugt, dass wir uns auf den
       Optimismus, die Aufbruchstimmung und den Zukunftswillen, den [2][Geist von
       1989], zurückbesinnen müssen – dass dies der Schlüssel für die Lösung
       vieler unserer Probleme ist. Schließlich sind wir weit gekommen – weiter,
       als viele von uns damals zu träumen gewagt hätten.
       
       Es gibt aber eine zentrale Grundvoraussetzung, damit die Gesellschaften in
       dieser Region prosperieren können. Das Verständnis, dass es bei Demokratie
       nicht um Gewinner und Verlierer geht und genauso wenig um Freunde und
       Feinde, sondern um den Respekt für unterschiedliche Meinungen und die
       Entschlossenheit, nach Kompromissen zu suchen. Die Mentalität des
       Nullsummenspiels, die momentan vielerorts zu beobachten ist, ist nicht nur
       schädlich, sondern stellt eine existenzielle Bedrohung für unsere
       Demokratien dar sowie für die Menschenrechte, auf denen diese Demokratien
       gründen.
       
       Vor 30 Jahren, als Bilder von strahlenden, überglücklichen Menschen, die
       rittlings auf der Berliner Mauer saßen, um die Welt gingen, war klar, dass
       Menschenrechte für alle da sind. Am 9. November 1989 stellte niemand ihre
       Universalität infrage. Heute ist das anders. Genau diese Rechte werden von
       [3][Populisten mit ihren schrillen Parolen] verachtet. Wir müssen daher
       unermüdlich erklären, dass Menschenrechte weder ausschließlich für die
       Mehrheit noch für Minderheiten da sind: Sie sind für alle. Damals wie
       heute.
       
       Aus dem Englischen von Katya Andrusz.
       
       7 Nov 2019
       
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 (DIR) Ingibjörg Sólrún Gísladóttir
       
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