# taz.de -- Menschenrechtspreis des EU-Parlaments: „Auszeichnung für alle Uiguren“
       
       > Die Tochter des diesjährigen EU-Friedenspreisträgers hat seit zwei Jahren
       > nichts mehr von ihrem Vater Ilham Tohti gehört. Jewher Ilham im Gespräch.
       
 (IMG) Bild: Baustelle einer „Bildungseinrichtung“ in der Uiguren-Region Xinjiang
       
       taz: Frau Jewher Ilham, Ihr Vater Ilham Tohti erhält in diesem Jahr den
       Sacharow-Menschenrechtspreis. Was bedeutet diese Auszeichnung? 
       
       Jewher Ilham: Die Auszeichnung ist nicht nur eine große Ehre für ihn,
       sondern für das Volk der Uiguren insgesamt. Ich bin stolz und dankbar, dass
       der Einsatz meines Vaters für Frieden und ein harmonisches Zusammenleben
       mit den Uiguren weltweite Anerkennung findet. Ich hoffe, dass diese
       Auszeichnung Länder motiviert, sich gegen die Unterdrückung der Uiguren
       auszusprechen und etwas dagegen zu unternehmen.
       
       Wann haben Sie ihren Vater zuletzt gesehen? 
       
       Das war am 2. Februar 2013. Ich wollte ihn für einen Monat in die USA
       begleiten, wo er eine Gastprofessur an der Universität Indiana antreten
       wolle. Er wurde am Flughafen festgenommen, während man mich fliegen ließ.
       Mein Vater kam nach drei Tagen in Hausarrest, der elf Monate dauerte. Am
       11. Januar 2014 wurde er offiziell in unserer Wohnung in Peking
       festgenommen. An dem Tag habe ich ihn zuletzt gesprochen. Wir hatten jeden
       Tag telefoniert. Meine Familie wusste danach weder, warum er festgenommen,
       noch wohin er gebracht wurde. Erst nachdem ich bei einer Anhörung im
       US-Kongress ausgesagt habe, erklärte China, dass mein Vater des
       Separatismus und der Förderung der Gewalt verdächtigt wird. Am 23.
       September 2014 begann der zweitägige Prozess gegen meinen Vater. Das Urteil
       ist lebenslängliche Haft.
       
       Was haben Sie im US-Kongress gesagt? 
       
       Ich habe über meine Erfahrungen mit der chinesischen Polizei berichtet.
       Seit 2009 stand unsere Familie immer wieder unter Hausarrest, ohne dass wir
       etwas getan hätten. Die Staatssicherheit brachte uns für fast einen Monat
       in einen Vorort von Peking. Ich habe auch gesagt, dass mein Vater sich vor
       allem um Verständigung zwischen Han-Chinesen und Uiguren bemühte.
       
       Wie geht es Ihrem Vater? 
       
       Bis 2017 konnten meine Stiefmutter, meine beiden Brüder und mein Onkel in
       Peking und Xinjiang meinen Vater noch alle drei Monate im Gefängnis
       besuchen. Nach chinesischem Gesetz hätte dies einmal im Monat möglich sein
       müssen. So wurde ich auf dem Laufenden gehalten, wobei meine Stiefmutter es
       sich nicht leisten konnte, alle drei Monate von Peking nach Urumqui zu
       reisen. Denn mein Vater war der Haupternährer unserer Familie gewesen,
       deren Eigentum beschlagnahmt wurde. 2017 wurde meinem Vater Besuch
       verboten. Seitdem habe ich nichts mehr von ihm gehört.
       
       Wissen Sie, dass er lebt? 
       
       Meine größte Sorge ist, dass ihm etwas zugestoßen sein könnte. Wir wissen
       nicht, warum wir ihn nicht mehr sehen durften. Kürzlich bekam ich
       Informationen von jemandem, der im gleichen Gefängnis wie er saß, aber
       schon 2016 freikam. Demnach war mein Vater in einer Einzelzelle. Darin soll
       ein Bildschirm gewesen sein, auf dem 24 Stunden am Tag chinesische
       Propagandavideos liefen, wohl eine Art Gehirnwäsche. Auch berichtete der
       Mann von einem Wettbewerb, bei dem Gefangene um die Wette die
       Kommunistische Partei loben mussten. Mein Vater soll Schiedsrichter gewesen
       sein. Solche Berichte sagen nicht, ob es ihm gut geht, aber immerhin sind
       sie Zeichen von ihm.
       
       Sie sagen, er sei kein Separatist gewesen. Wie charakterisieren Sie ihren
       Vater politisch? 
       
       Er ist sehr, sehr moderat. Er ist eigentlich keine politische Person, das
       hat er versucht zu vermeiden. Er ist einfacher Wissenschaftler und wolltet
       seine Forschungsergebnisse über das Zusammenleben von Han-Chinesen, Uiguren
       und anderen Minderheiten veröffentlichen. Dafür hat er die Webseite
       Uighur.biz gegründet, um den Austausch zwischen den Volksgruppen zu
       fördern. Da konnte jeder Artikel veröffentlichen. Mein Vater ging
       akademisch und nicht politisch vor. Er wurde immer beliebter und hatte
       viele Unterstützer: Uighuren, Han-Chinesen und Menschen aus der westlichen
       Welt. Da fühlte sich die chinesische Regierung offenbar bedroht. Doch ein
       Mann wie er gehört keinen einzigen Tag ins Gefängnis.
       
       Wie ist die Situation der Uiguren in Xinjiang heute? 
       
       Dort herrscht eine der größten humanitären Krisen, ein kultureller und
       ethnischer Genozid. Ich wünschte die chinesische Regierung würde merken,
       welche Fehler sie in Xinjiang macht, in dem sie Uiguren und andere
       Minderheiten wie Kasachen in Lagern wegsperrt. Es gibt keinen vernünftigen
       Grund, die Menschen so zu behandeln. Was dort genau passiert, wissen wir
       nicht. Es gibt Zeugenaussagen und demnach scheint Unterschiedliches in
       einzelnen Lagern zu passieren. Die harmloseren scheinen Arbeitslager zu
       sein. Dann gibt es Lager, in denen gefoltert wird, in anderen wird
       vergewaltigt. Wir haben keine genauen Zahlen über die Insassen, nur
       Schätzungen. Die UN schätzt diese auf ein bis drei Millionen. Chinas
       Regierung hält die Zahlen geheim.
       
       Es gab aber auch Fälle, in denen Uiguren Han-Chinesen angegriffen und
       getötet haben, womit China sein harsches Vorgehen rechtfertigt. 
       
       Dazu möchte ich nichts sagen, weil ich zu der Zeit nicht in Xinjiang war
       und nur die chinesische Version der Ereignisse kenne.
       
       Was sollten westliche Regierungen gegen die Unterdrückung der Uiguren durch
       China tun? 
       
       Das Mindeste ist das Thema öffentlich anzusprechen und dabei die Dinge beim
       Namen zu nennen, so dass die Welt erfährt, was in Xinjiang passiert und
       China merkt, dass die Welt daran Anteil nimmt. Leider gibt es viele
       Regierungen, die nicht wahrhaben wollen, was in Xinjiang passiert. Ich
       verlange keine Sanktionen. Aber Regierungen sollten die Wahrheit
       aussprechen und China auffordern, seinen Umgang mit den Uiguren zu ändern.
       Besonders von den muslimischen Ländern erwarte ich das. Die sagen aber
       außer Katar leider momentan am wenigsten.
       
       Sie wurden von US-Präsident Donald Trump empfangen, der auch eine Uigurin
       als China-Direktorin in seinen Nationalen Sicherheitsrat berief. Die
       US-Regierung setzte einige chinesische Regierungsvertreter auf eine
       schwarze Liste, die sie für die Unterdrückung in Xinjiang verantwortlich
       macht. Interessiert sich Trump wirklich für das Schicksal der Uiguren oder
       benutzt er sie nur, um in seinem „Handelskrieg“ den Druck auf China zu
       erhöhen? 
       
       Für mich und die meisten Uiguren sind Trumps Motive keine großes Thema,
       solange er uns hilft. Entscheidend ist für uns das Ergebnis.
       
       24 Oct 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sven Hansen
       
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