# taz.de -- Kramp-Karrenbauers Syrien-Vorschlag: Von Putins und Assads Gnaden
       
       > Vor allem Russland führt Krieg gegen Zivilisten in Syrien. Moskau würde
       > eine „Schutzzone“ nur dulden, wenn sie Diktator Assad stärkt.
       
 (IMG) Bild: Frontbesuch: Syriens Diktator Assad hat den Durchblick
       
       BERLIN taz | Zwei Kriege toben derzeit in Syrien auf dem Rücken der
       Zivilbevölkerung. Der eine ist der Krieg des Assad-Regimes gegen die innere
       Opposition, bei dem seit 2011 schätzungsweise 600.000 Menschen getötet und
       die Hälfte der syrischen Bevölkerung in die Flucht getrieben wurde.
       
       Aktuelle Episode dieses Krieges ist die seit April laufende Offensive gegen
       die letzte Rebellenhochburg in der nordwestlichen Provinz Idlib. Drei
       Millionen Menschen leben dort, zur Hälfte Flüchtlinge aus anderen
       Landesteilen; nach UN-Angaben fielen bis zu einer Feuerpause Ende August
       1089 Menschen den Angriffen der syrischen und russischen Luftwaffen und
       ihren Bodentruppen zum Opfer. Die Feuerpause wurde nie eingehalten.
       
       Am Montag dokumentierten medizinische Helfer Artilleriebeschuss auf mehrere
       Ortschaften, in denen zuvor die Krankenhäuser kaputt gebombt worden waren.
       
       Der andere Krieg ist der Krieg der Türkei gegen die syrischen Kurden. Seit
       drei Jahren besetzt die türkische Armee auf der syrischen Seite der Grenze
       ein Gebiet nach dem anderen; seit dem 9. Oktober rückt sie auf breiter
       Front in das Kerngebiet der syrischen Kurdenmiliz YPG vor. Offizielles Ziel
       ist die Schaffung einer 32 Kilometer tiefen und 444 Kilometer breiten
       „Sicherheitszone“; real betroffen ist ein rund 120 Kilometer breites
       Gebiet.
       
       ## Hunderttausende Flüchtende
       
       Im Territorium der YPG-dominierten „Syrischen Demokratischen Front“ (SDF),
       das rund ein Drittel des syrischen Staatsgebietes umfasst und größtenteils
       aus Wüste besteht, leben rund 2,5 Millionen Menschen. Vor dem Start der
       aktuellen Kämpfe waren etwa 700.000 davon Flüchtlinge, [1][seit Beginn der
       türkischen Offensive] wurden nach UN-Angaben 176.000 Menschen in die Flucht
       getrieben. Nach kurdischen Angaben wurden bis zur jüngsten Feuerpause vor
       wenigen Tagen 235 Zivilisten getötet.
       
       Nur auf den zweiten dieser Kriege bezieht sich der Vorstoß von
       Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer zur Einrichtung
       einer „Schutzzone“ im Norden Syriens, einzurichten gemeinsam mit der Türkei
       und mit Russland im Rahmen eines UN-Mandats und zu überwachen von mehreren
       zehntausend EU-Soldaten. Sie soll auch zur Weiterführung des Krieges gegen
       die versprengten Reste des IS (Islamischer Staat) dienen. Aber Syrien
       insgesamt kommt in dem Konzept nicht vor.
       
       Schutzzone für die Kurden – das klingt lobenswert, und das gab es schon
       einmal: 1991 erklärte die UNO das Kurdengebiet des Irak zur von den
       Westmächten garantierten Schutzzone, nachdem der irakische Diktator Saddam
       Hussein gerade den zweiten Golfkrieg gegen die USA verloren hatte.
       
       In Syrien war das YPG-Gebiet in den vergangenen Jahren ebenfalls faktisch
       eine westliche Schutzzone: Die USA, Frankreich, Großbritannien und andere
       Länder rangen mit den Kurden zusammen den IS nieder, und solange sie da
       waren, blieb das Assad-Regime fern.
       
       ## Obamas rote Linie
       
       Aber jetzt ziehen die Westmächte gerade aus dem Kurdengebiet ab und die
       Türkei und Russland sind im Begriff, es unter sich aufzuteilen. Wie da eine
       Schutzzone entstehen kann und wer dann wen vor wem schützen soll, ist
       rätselhaft. Wenn es um Schutz für gefährdete Menschen in Syrien geht, kann
       es nicht nur um die Kurden in Nordostsyrien gehen.
       
       Aber von der Idee, Zivillisten in Syrien insgesamt zu schützen, haben sich
       die Westmächte spätestens 2013 verabschiedet, als sie angesichts massiver
       Chemiewaffeneinsätze des Regimes mit Tausenden Toten untätig blieben,
       obwohl Barack Obama das zuvor als „rote Linie“ definiert haben. Damaskus
       hat seitdem keine Angst vor westlichem Eingreifen mehr, Moskau und Teheran
       haben freie Hand.
       
       Assad hat nie verborgen, dass er jeden Quadratzentimeter Syrien
       zurückzuerobern gedenkt, und je stärker er militärisch wird, desto
       unnachgiebiger wird er politisch. Für die tonangebenden militärischen
       Akteure in Syrien – das Regime, Russland, die Türkei und die Kurden –
       hängen beide syrischen Kriege zusammen: der um Nordostsyrien und der um
       Idlib.
       
       Die Türkei führt ihre Offensive gegen die Kurden unter anderem mittels aus
       Idlib abgeozgener syrischer Rebellen. Die Kurden schlagen gegen türkische
       Streitkräfte auch im Nordwesten Syriens zurück. Türkische Soldaten
       unterhalten bei den Rebellen in Idlib acht „Beobachterposten“ – und schauen
       dem Geschehen untätig zu. Russische Spezialkräfte und syrische
       Regierungstruppen rücken jetzt im Zuge eines Deals mit der YPG in Teilen
       des Kurdengebiets ein – ein Vorbote der Zerschlagung der kurdischen
       Autonomiehoffnungen.
       
       ## Putins Machtanspruch
       
       Russland hat in Syrien riesige Militärbasen und Wirtschaftsinteressen,
       seine Kampfeinsätze an Assads Seite garantieren Putins Großmachtanspruch.
       Offiziell geht es um Terrorbekämpfung und die Wiederherstellung der
       syrischen Souveränität.
       
       Moskau toleriert in Syrien keine militärische Aktion eines anderen Landes,
       die sich diesem Ziel nicht unterordnet. Schon die bisherigen westlichen
       Einsätze gegen den IS hat Russland immer kritisiert, offiziell weil sie
       ohne Zustimmung Assads erfolgten.
       
       Da es ein UN-Mandat für eine EU-Schutzzone im Nordosten Syriens nur mit
       Russlands Zustimmung geben kann, könnte die EU also nur mit dem Segen des
       syrischen Regimes dort tätig werden. Das hieße, die EU-Mission von Damaskus
       aus zu führen und sich allen staatlichen Restriktionen zu fügen. Sudan und
       die Versuche zur Stationierung einer UN-Schutztruppe in Darfur sind das
       abschreckende Vorbild dafür.
       
       In der UNO fährt Russland eine harte Linie. Am 19. September scheiterte
       eine von Deutschland eingebrachte UN-Resolution für einen Waffenstillstand
       in Idlib im Sicherheitsrat am russischen Veto. Am 13. Oktober, kurz nach
       Beginn der türkischen Offensive, beriet der Rat erneut über Syrien – ein
       US-Entwurf, in dem Sorge über die humanitären Konsequenzen des türkischen
       Einmarsches geäußert werden sollten, scheiterte an russischen Einwänden.
       
       22 Oct 2019
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://reliefweb.int/report/syrian-arab-republic/northeast-syria-half-million-people-gradually-regain-access-safe-water
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dominic Johnson
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Wladimir Putin
 (DIR) Annegret Kramp-Karrenbauer
 (DIR) Baschar al-Assad
 (DIR) Syrischer Bürgerkrieg
 (DIR) Türkei
 (DIR) Rojava
 (DIR) Schwerpunkt Angela Merkel
 (DIR) Schwerpunkt Syrien
 (DIR) Schwerpunkt Syrien
 (DIR) Schwerpunkt Syrien
 (DIR) Schwerpunkt Syrien
 (DIR) Recep Tayyip Erdoğan
 (DIR) Schwerpunkt Syrien
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Krieg in Syrien: Assad-Truppen töten vier Türken
       
       Der Angriff des syrischen Regimes auf die Stadt Idlib steht bevor. Ein
       Beschuss türkischer Soldaten verschärft nun die Spannungen in der Region.
       
 (DIR) Internationale Schutzzone für Nordsyrien: Die Kurd*innen brauchen jetzt Hilfe
       
       In der türkischen Besatzungszone werden Menschen hingerichtet. Dass die
       Kurd*innen Assad um Hilfe bitten, zeigt, wie dramatisch ihre Lage ist.
       
 (DIR) Reaktion auf AKKs Schutzzonen-Vorschlag: Weniger Reflexe, bitte
       
       Ganz gleich, was die Verteidigungsministerin aufs Tapet bringt – es wird
       ihr um die Ohren gehauen. Besser wäre, Inhalt und Form zu unterscheiden.
       
 (DIR) Sicherheitszone in Nordsyrien: AKK lässt weiter Fragen offen
       
       Die Verteidigungsministerin präsentiert ihre Pläne im Bundestag.
       Abgeordnete von Opposition und SPD vermissen aber noch immer Details.
       
 (DIR) Kurden in Nordsyrien: Das Ende für Rojava
       
       Russland und die Türkei haben über das Schicksal Nordsyriens beraten. Das
       ist das Endeder kurdischen Selbstverwaltung in dem Gebiet.
       
 (DIR) Konflikt in Nordsyrien: Erdoğan und Putin einigen sich
       
       Nach stundenlangen Verhandlungen in Sotschi vereinbaren Russland und die
       Türkei eine längere Waffenruhe. Es könnte zu weiteren Kämpfen kommen.
       
 (DIR) AKKs Nordsyrien-Vorstoß: Skurriler Vorschlag
       
       Mit einem UN-Mandat wäre ein internationaler Militäreinsatz in Syrien
       völkerrechtskonform. Aber es gibt bessere Mittel mit weniger Fragezeichen.
       
 (DIR) Erdoğan und Putin sprechen über Syrien: Die Entscheidung fällt in Sotschi
       
       Am Dienstag reist der türkische Präsident zum Kremlchef nach Russland. Dort
       dürfte sich zeigen, wie es in Nordsyrien weitergeht.
       
 (DIR) Vorstoß der Verteidigungsministerin: AKK will Schutzzone in Nordsyrien
       
       Die Verteidigungsministerin hat eine internationale Sicherheitszone für
       Nordsyrien vorgeschlagen. Sie will mit der bisher eher zurückhaltenden
       Syrien-Politik brechen.