# taz.de -- Totalitäre Regime in der Türkei: Die Egos bescheuerter Typen
       
       > Im September 1980 fand in der Türkei ein schrecklicher Militärputsch
       > statt. Knapp 40 Jahre später ist wieder ein Diktator an der Macht.
       
 (IMG) Bild: Mit Erdogan hat die Türkei wieder einen Diktator an ihrer Spitze, sagt unsere Autorin
       
       Eigentlich wollte ich für meine Kolumne dieses Mal über den Sommer 2019
       schreiben. Eine richtige Lifestyle-Kolumne mit Gossip. Also, was ich den
       Sommer über so gemacht und wen ich alles kennengelernt hab.
       
       Dann fiel mir allerdings auf, dass die Kolumne am 12. September
       veröffentlicht werden wird. Einem Datum, das für meine ganze Generation
       prägend ist. Denn am 12. September 1980 fand in der Türkei der
       [1][Militärputsch] statt. Jede Kindheit meiner Generation stand unter dem
       Einfluss dieses Ereignisses. Sie verlief unweigerlich anders als eine
       Kindheit in Nordamerika oder Westeuropa.
       
       Die erste Erinnerung, die mir in den Sinn kommt, ist, wie ich mit meiner
       Mutter für irgendetwas anstehen musste. Sie hatte eine kleine Marke aus
       Papier in der Hand und bekam dafür jeden Tag genau ein Brot. Abends durfte
       man nicht mehr auf die Straße. Jede Nacht hörte man Schüsse, es gab
       Feuergefechte in fast jedem Viertel. Strom gab es nur tagsüber für ein paar
       Stunden. Nachrichten konnten wir über BBC verfolgen – oder über Radio
       Belgrad, weil unsere Familie Serbokroatisch verstand.
       
       Immer, wenn auf der Straße Soldaten vorbeimarschierten oder -fuhren, legte
       meine Mutter uns auf den Boden und hielt uns den Mund zu. Im einheimischen
       Radio und Fernsehen gab es nur noch die grässliche Stimme des Diktators
       General Kenan Evren zu hören.
       
       ## Der Geruch von Schießpulver und Blut
       
       Es waren finstere und hoffnungslose Tage. Während die linke Opposition
       systematisch zerstört wurde, mussten wir unter einem bescheuerten
       Militärregime leben, dessen Führer sein männliches Ego zu befriedigen
       versuchte. Wir verloren so viele Menschen.
       
       Ich erinnere mich nur noch an die Nacht, die Dunkelheit, den Geruch von
       Schießpulver und von Blut. Und an die Schritte der Soldaten. Ich war ein
       unglückliches Kind. Unsere Familie war während des Zweiten Weltkriegs vor
       den Nazis vom Balkan geflohen und hatte schließlich in der Türkei Zuflucht
       gefunden. Jetzt kam das Militärregime in die Türkei.
       
       Da der Lauf der Geschichte sich wenig ändert, haben wir heute in der Türkei
       wieder ein totalitäres Regime. Es ist in mancherlei Hinsicht sogar härter
       als die Junta von 1980. Und wieder haben wir einen bescheuerten Typen an
       der Macht, der sein Ego zu befriedigen versucht. Auch er hat sich eine
       [2][Verfassungsänderung per Referendum] liefern lassen, wie die Junta 1982.
       Mit diesen Befugnissen ausgestattet kann er die Justiz und die Presse
       knebeln, Grundfreiheiten aushebeln und jede oppositionelle Regung in die
       Gefängnisse verbannen.
       
       Unser heutiger Diktator liefert dem „Islamischen Staat“ Waffen und
       logistische Unterstützung und hat nicht den für sein Amt erforderlichen
       Hochschulabschluss. Auch die heutigen Kinder sind unglücklich, wie unsere
       Generation es war. Lasst uns nicht länger einem bescheuerten Typen die
       Macht geben, die Zukunft unserer Kinder zu manipulieren.
       
       Aus dem Türkischen von Oliver Kontny
       
       15 Sep 2019
       
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