# taz.de -- Pressetrip in Israel und Palästina: Reise nach Samaria
       
       > Eine Brüsseler Organisation führt europäische Journalisten durch Israel
       > und Palästina – und vermittelt ihr ganz eigenes Bild vom Nahostkonflikt.
       
 (IMG) Bild: Nicht zu Wort gekommen: Palästinenser im Westjordanland, hier nahe der Siedlung Shilo
       
       Fünf Tage Israel. Im Fünf-Sterne-Hotel in Tel Aviv, mit Tagestrips ins
       Landesinnere und in die Palästinensergebiete. Wer sagt da nein? Klar,
       organisierte Pressereisen sind immer so ein Ding. Es ist ja kein Geheimnis,
       dass ein Interesse dahintersteht, wenn ein Unternehmen, eine Regierung oder
       eine Lobbygruppe Reporter einlädt. Die Organisatoren wählen die
       Gesprächspartner aus, bestimmen die Reiseroute und legen den Journalisten
       so die gewünschten Geschichten nahe. Aber, denke ich mir, am Ende
       entscheide ich ja selbst, was in der Zeitung erscheint.
       
       Die Einladung kommt per E-Mail. Der Absender: die [1][„Europe Israel Press
       Association“ (EIPA)], eine kleine Lobbygruppe aus Brüssel mit Außenstellen
       in Paris, Berlin, London und Rom. Den Kontakt hatte ich zuvor selbst
       hergestellt, um mich zu einem Briefing zum Nahostkonflikt mit dem
       FDP-Abgeordneten Frank Müller-Rosentritt anzumelden, der für EIPA einen
       Raum im Bundestag organisiert hatte. Nun also soll ich mir vor Ort selbst
       ein Bild machen, im Rahmen einer Pressereise unter dem Motto
       „Jüdisch-Arabische Koexistenz in Israel“.
       
       Keine zwei Wochen später sitzen wir am Mittelmeer. Wir, das sind 19
       Journalisten aus ganz Europa, von Polen bis nach Portugal. Ein bisschen
       fühle ich mich wie ein Erasmus-Student, als wir uns in einem Mischmasch aus
       Englisch, Französisch, Deutsch und Spanisch auf der Hotelterrasse
       kennenlernen. Einige Kollegen haben Erfahrung im Nahen Osten, die meisten
       aber sind zum ersten Mal in der Region, erfahre ich, während wir Oliven und
       Hummus frühstücken, uns frisch gepressten Orangensaft nachgießen und
       schließlich mit Waffeln und Crêpes das Frühstück beenden, die rauschende
       Brandung keine fünf Meter neben uns.
       
       Ein Höhepunkt unserer Reise, das verspricht das Programmheft, ist ein
       Tagesausflug ins Westjordanland beziehungsweise, wie es im Programm auch
       heißt, nach „Judäa und Samaria“. Das sind die biblischen Namen für Teile
       des 1967 besetzten palästinensischen Gebiets, die neben der Siedlerbewegung
       auch die israelische Regierung benutzt. „Samaria ist berühmt für exzellente
       Qualitätsweine und eine diverse Industrielandschaft, durch die der
       Regionalrat von Samaria die Koexistenz von Arabern und Juden fördert“, lese
       ich, während uns der Reisebus aus Tel Aviv hinein ins Westjordanland
       kutschiert.
       
       ## Plädoyer für die Annexion der Westbank
       
       In einer kleinen Gemeinde empfängt uns Yossi Dagan, ein freundlicher Herr
       in seinen Fünfzigern. Als Chef des Regionalrats von Samaria, heißt es im
       Programm, sei er nicht nur „die einflussreichste Person innerhalb der
       Führung von Judäa und Samaria“, sondern auch eine „Schlüsselfigur in
       israelischen Entscheidungskreisen“.
       
       An Dagans Seite betritt Ashraf Jabari, ein erfolgreicher palästinensischer
       Geschäftsmann aus Hebron, den Raum. Wir positionieren unsere
       Aufnahmegeräte, zücken unsere Notizhefte und notieren, was die beiden uns
       zu sagen haben: Politische Lösungsversuche seien gescheitert. Der einzig
       gangbare Weg, Frieden zu schaffen, sei nun, miteinander in Kontakt zu
       treten und wirtschaftliche Beziehungen zu knüpfen. „Meiner festen
       Überzeugung nach“, sagt unser palästinensischer Gesprächspartner, „ist die
       Ein-Staat-Lösung die einzige und beste Lösung.“ Dagan ergänzt: „Ich bin
       fest davon überzeugt, dass die (israelische) Regierung ihre Souveränität
       über die Gebiete von Judäa und Samaria ausweiten sollte.“
       
       Als wir wieder in den Bus einsteigen, gibt sich unser Reiseleiter
       begeistert: „Das war interessant, ein tolles Beispiel für die Koexistenz
       von Juden und Arabern“, referiert Nir Natan per Bus-Mikro, „wir wollten,
       dass Sie hier ganz normale Menschen treffen.“
       
       Während unser Bus an einem Militärstützpunkt vorbeirollt und Richtung
       Jerusalem fährt, frage ich mich: Hatten wir das wirklich? Hatten wir in dem
       kleinen Dorf – oder besser: in der Siedlung – ganz normale Leute getroffen?
       Hatten Jabari und Dagan sich nicht gerade dafür ausgesprochen, dass die
       israelische Regierung das Westjordanland annektiert, aus dem eigentlich
       einmal ein palästinensischer Staat werden sollte? Steht Jabari damit nicht
       denkbar weit außerhalb des „ganz normalen“ palästinensischen
       Meinungsspektrums? Und: Sehen nicht auch viele Israelis die
       [2][Annexionspläne von Siedlerbewegung und Netanjahu-Regierung] kritisch?
       
       ## Stelldichein mit der Siedlerbewegung
       
       Von diesen kritischen Stimmen bekommen wir auf unserer Reise nichts mit.
       Kein Wort ist es unseren Reiseleitern wert, dass wir im Westjordanland eine
       Siedlung besucht haben, die gegen internationales Recht verstößt. Unerwähnt
       bleibt, dass der sympathische Yossi Dagan einer der prominentesten
       Vertreter der Siedlerbewegung ist, ein rechter Hardliner, den zu treffen
       sich jüngst selbst [3][Federica Mogherini weigerte], die
       EU-Außenbeauftragte. Verschwiegen wird, dass es unter anderem die
       Siedlungspolitik war, die [4][die Zweistaatenlösung] so gut wie unmöglich
       gemacht hat, weil mittlerweile über eine halbe Million israelische
       Staatsbürger in den besetzten Gebieten völkerrechtswidrig angesiedelt
       wurden.
       
       Am Abend im Hotel google ich den Geschäftsmann Jabari. Ein [5][Video] zeigt
       ihn auf einer Konferenz der rechten Siedlergruppe Women in Green. Als er
       den israelischen Premier Benjamin Netanjahu als Schwächling darstellt, weil
       dieser immer noch zögere, das Westjordanland zu israelischem Staatsgebiet
       zu erklären, tost der Applaus. Ich suche weiter: Fotos zeigen [6][Jabari
       mit David Friedman], dem umstrittenen US-Botschafter in Jerusalem, [7][der
       Israel kürzlich das Recht zusprach], Teile des Westjordanlands zu
       annektieren.
       
       Unser Stelldichein mit der Siedlerbewegung bleibt nicht der einzige
       einseitige Programmpunkt der Reise. An der Grenze zum Gazastreifen
       verurteilt der politische Analyst Kobi Michael den [8][Terror der Hamas] zu
       Recht in schärfsten Tönen, weigert sich allerdings selbst auf Nachfrage,
       die [9][mehr als 150 Toten] überhaupt nur zu erwähnen, die innerhalb eines
       Jahres bei teils gewalttätigen Protesten am Grenzzaun erschossen wurden:
       „Die ganze Idee einer Todesrate sollte komplett ignoriert werden“,
       antwortet er. Das Gaza-Problem könne man nicht lösen, man müsse es
       „managen“.
       
       ## Kein Platz für andere Narrative
       
       Überhaupt: Auf der EIPA-Pressereise wird aus dem Nahostkonflikt mit seinen
       vielschichtigen Konfliktdimensionen und seinen miteinander konkurrierenden
       Narrativen ein simples Gut gegen Böse. Ein Nebeneinander unterschiedlicher
       historischer Erfahrungen, das auch jene der palästinensischen Bevölkerung
       einschließt, wird nicht zugelassen, ein alternatives Narrativ nicht
       anerkannt (Jabari bleibt tatsächlich unser einziger palästinensischer
       Gesprächspartner aus der Westbank). Das Wort Militärbesatzung fällt
       vonseiten unserer Reiseleiter kein einziges Mal. Von Menschenrechten ist im
       offiziellen Rahmen der Reise nicht die Rede.
       
       Zur bizarrsten Situation aber kommt es schließlich bei unserem Besuch in
       Ostjerusalem: Der Manager einer neuen Shoppingmall erklärt uns, wie
       reibungslos die Koexistenz in Ostjerusalem funktioniere: Alle, ganz gleich
       ob Juden oder Araber, kämen zum Einkaufen. Und nein, Probleme gebe es
       überhaupt gar keine. Keine 30 Meter hinter ihm auf der anderen
       Straßenseite, just gegenüber vom Haupteingang der Mall, erhebt sich die
       israelische Sperranlage, die die Bewohner des Westjordanlands von Israel
       und dem von Israel annektierten Ostjerusalem abschneidet. Ist unserem
       Gesprächspartner die Absurdität seiner Aussage tatsächlich nicht bewusst?
       
       Am Tag nach unserer Abreise – ich sitze schon wieder in meiner Berliner
       Redaktion – vibriert mein Telefon. Unser Reisebegleiter Oliver Bradley, den
       ich schon im Bundestag mit dem FDP-Mann Müller-Rosentritt kennengelernt
       hatte, schickt ein Foto unseres Hotelpools auf der Dachterrasse in Tel
       Aviv. Dazu eine freundschaftliche, fast schon emotionale Abschiedsnachricht
       an die Gruppe: „Wichtig ist es, Herzen, Köpfe, Augen und Ohren offen zu
       halten, und sich bewusst zu machen, dass man alle Stimmen und Gegenstimmen
       aufgrund der komplizierten Sammlung von Narrativen und des historischen
       Gepäcks objektiv anhören muss.“
       
       14 Sep 2019
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://eipa.eu.com/press-association/
 (DIR) [2] /Israel-vor-der-Wahl/!5622434
 (DIR) [3] https://www.jpost.com/Arab-Israeli-Conflict/Pro-Israel-MEPs-angry-at-Mogherini-for-not-meeting-settler-leader-566864
 (DIR) [4] /Nahost-Konflikt-und-Oslo-Abkommen/!5531989
 (DIR) [5] https://www.youtube.com/watch?v=Z-hFOc8QyyY&feature=youtu.be
 (DIR) [6] https://www.haaretz.com/israel-news/settler-friendly-palestinian-businessman-could-play-role-in-trump-s-peace-plan-1.7276197
 (DIR) [7] https://www.haaretz.com/israel-news/.premium-with-one-word-trump-s-envoy-sets-stage-for-israeli-annexation-of-west-bank-1.7344454
 (DIR) [8] /Die-Luftwaffe-der-islamistischen-Hamas/!5545107
 (DIR) [9] https://www.theguardian.com/world/2019/feb/28/gaza-israel-un-inquiry-killings-protest-war-crimes-army
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jannis Hagmann
       
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