# taz.de -- Kritik an Bremer SPD-Fraktionschef: „Ein Foto stellt keine Nähe her“
       
       > Für heftige Reaktionen gesorgt hat Mustafa Güngörs Wahl zum Chef der
       > Bremer SPD-Fraktion: Den Verdacht der AKP-Nähe weist er zurück.
       
 (IMG) Bild: Emotionen sind doch etwas Schönes! Mustafa Güngör in seinem neuen Büro.
       
       taz: Herr Güngör, wie wollen Sie die gespaltene Fraktion wieder
       zusammenführen? 
       
       Mustafa Güngör: Wir haben keine gespaltene Fraktion.
       
       Ihr [1][Wahlergebnis von 11 gegen 12] klingt danach. 
       
       Wenn sich eine Fraktion bei zwei geeigneten Kandidaten für ein Amt, mit der
       denkbar knappsten Mehrheit für einen von beiden ausspricht besagt das nur:
       Beide hätten es machen können, jeweils mit eigenen Akzenten vielleicht,
       aber beide mit dem klaren Auftrag, in den Stadtteilen das Vertrauen
       zurückzugewinnen und den Rechtsruck in dieser Gesellschaft zu bekämpfen.
       
       Als Bildungspolitiker ist Ihnen wichtig, integrativ zu wirken …? 
       
       Man muss in der Politik immer integrativ wirken. Es geht meistens um das
       Zusammenführen verschiedener Interessen – neben der eigenen,
       sozialdemokratischen Programmatik. Alle Stadtteile und Quartiere haben
       unterschiedliche Bedürfnisse – und ich will, dass wir eine klar
       quartiersbezogene Politik machen. Da kann ich als integrierter Bürger
       vielleicht schon meinen Teil zu beitragen, bestimmt auch als
       Bildungspolitiker – aber in erster Linie als Sozialdemokrat. Wer, wenn
       nicht wir, sollte für den Zusammenhalt der Gesellschaft stehen?
       
       Als Sie 2016 forderten, dass Privatschulen Kinder von Geflüchteten nicht
       aufnehmen sollten, hatte das nicht für Eintracht gesorgt …! 
       
       Das war damals eine Position, auf die wir uns bei einer Fraktionsklausur
       geeinigt hatten. Ich habe das als Bildungspolitiker in der Öffentlichkeit
       so vertreten. Persönlich habe ich keine Probleme mit Privatschulen: Ich
       würde mein Kind zwar dort nicht hinschicken, aber dass beispielsweise die
       kirchlichen Schulen auch ihren Beitrag zur Integration leisten und
       Flüchtlingskinder aufnehmen, das finde ich gut und richtig. In dieser
       Diskussion war damals eine Emotionalität drin, die möglicherweise auch
       andere Gründe hatte.
       
       War die geschürt? 
       
       Das weiß ich nicht. Sie stand in keinem Verhältnis zu der Handvoll Fälle,
       um die es da tatsächlich ging. Es waren im Ganzen zehn oder zwölf Kinder
       von Geflüchteten, die am Ende bei einer Privatschule in einen Vorkurs
       aufgenommen werden sollten.
       
       Emotional wird auch auf Ihre Wahl zum Fraktionschef reagiert. Wie bewerten
       Sie das? 
       
       Emotionen sind doch etwas Schönes! Ich habe sehr viele Glückwünsche und
       Gratulationen bekommen, Facebook-, Twitter-, Whatsapp- und
       Direktnachrichten.
       
       Es gab auch Parteiaustritte. 
       
       Ah, diese Emotionen meinen Sie: Die Parteiaustritte bedauere ich, kann sie
       aber auch nicht nachvollziehen. Wenn es persönliche Kritik an mir gibt, bin
       ich schon immer ein Mensch gewesen, der das im direkten Gespräch versucht
       zu klären. Das persönliche und politische Gespräch ist die Form, die
       erwachsene und demokratisch sozialisierte Menschen suchen sollten, um
       Konflikte auszutragen.
       
       Ist das eine jener Ablehungserfahrungen, die viele Menschen mit
       Migrationshintergrund oft machen? 
       
       Auch wenn mir gegenüber in der Öffentlichkeit beleglose, heftige und mich
       kränkende Vorwürfe gemacht worden sind: Ich will diesen Menschen nicht zu
       nahe treten, indem ich ihre Beweggründe interpretiere.
       
       Die benennen als Grund eine AKP-Nähe, die Sie bestreiten …? 
       
       Ja.
       
       Gleichzeitig haben Sie Nähe selbst hergestellt, indem Sie im Februar ein
       Foto von sich mit AKP-Mann Mustafa Şentop getwittert haben. Warum? 
       
       Ein Foto mit einem Politiker stellt doch noch [2][keine Nähe zu seiner
       Partei] her. Ich habe mich bei meinem Besuch im türkischen
       Nationalparlament mit dem stellvertretenden Vorsitzenden unserer
       Schwesterpartei, der CHP getroffen. Und mit dem habe ich die gleichen Dinge
       besprochen wie mit dem damaligen Vizepräsidenten des Nationalparlaments,
       Mustafa Şentop,
       
       … dem Architekten der [3][diktatorischen türkischen Verfassung]: Bloß warum
       twittern Sie das? 
       
       Ich habe ihn nicht in dieser Rolle besucht, sondern weil er Vizepräsident
       des türkischen Nationalparlaments war. Das hat sich so ergeben.
       
       Und warum twittern Sie es? 
       
       Wenn es diesen Tweet nicht gegeben hätte, hätte das Gespräch ja trotzdem
       stattgefunden. Vielleicht wäre es interessanter, über den Gesprächsinhalt
       etwas zu erfahren. Der Vorwurf, den ich mir persönlich mache, ist, dass ich
       mich im Kommentar zu den beiden Bildern nur für das Gespräch und das offene
       Ohr bei beiden bedankt habe, und nichts über den Inhalt geschrieben habe:
       Das Thema, wie mit pflegebedürftigen Migrantinnen der ersten Generation zu
       verfahren ist, ist mir sehr wichtig.
       
       So ein Foto wirkt in den Wahlkampf hinein. 
       
       Nein, das hatte nichts mit dem Bremer Wahlkampf zu tun. Was soll das denn
       bringen, wenn ich mich mit unserer Schwesterpartei und anschließend mit dem
       Parlamentsvizepräsidenten treffe? Das müssen Sie mir erst einmal erklären.
       
       Grundsätzlich symbolisiert es Nähe. 
       
       Der CHP und AKP zusammen? Also wie mir das im Wahlkampf hätte helfen
       sollen, verstehe ich nicht. Ganz deutlich: Ich teile weder die Positionen
       der AKP noch bin ich Sympathisant, geschweige denn Erdoğan-Anhänger. Ich
       bin überzeugter Sozialdemokrat.
       
       Das Twitterbild wäre keine Botschaft? 
       
       Gestern hat sich der Bürgermeister mit dem chinesischen Konsul getroffen.
       Ich hoffe, da ist jetzt keine politische Nähe zur Politik in China
       abzuleiten. Nein, ich will das nicht ironisieren, ich will auch nicht
       zynisch sein. Aber ich finde es unfair, dass es statt um einen
       Gesprächsinhalt immer nur um ein Foto geht – und zwar nur um eins von zwei
       Bildern.
       
       Wo ist aus Ihrer Sicht der Platz des Vorsitzenden einer SPD-Fraktion, wenn
       demokratisch gewählte Abgeordnete verhaftet werden? 
       
       Da braucht man nicht mal Fraktionsvorsitzender zu sein. Das ist eine Frage
       der Sozialisation und der politischen Haltung. Gewählte Abgeordnete gehören
       ins Parlament – und die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut.
       
       Dann ist ihre Verhaftung, wie im Fall der HDP-Abgeordneten 2016, ein
       Anschlag auf die Demokratie? 
       
       Ja. Das ist ein Anschlag auf die Demokratie. Selbstverständlich. Das haben
       wir in einem gemeinsamen Antrag mit CDU und Grünen seinerzeit ja auch
       verurteilt.
       
       Aber Sie haben damals doch genau diesen Satz bekämpft? 
       
       Gucken [4][Sie sich den Antrag an]. Er ist ein eindeutig formuliert.
       
       Dann erinnern sich die damaligen Abgeordneten falsch? 
       
       Das müssen Sie mit denen klären. [5][Das will ich nicht beurteilen]. Aber
       ich stehe zu dem Antrag, so wie er dann von der Bürgerschaft auch mit
       meiner Stimme beschlossen wurde. [6][Es gab ursprünglich einen Antrag] der
       Linksfraktion, den die FDP mittragen wollte. SPD, Grüne und die CDU fanden:
       Wir finden uns da nicht vollständig wieder. Dann gab es einen
       Änderungsantrag – und der hat dazu geführt, dass sich drei große Parteien
       hinter den Text stellen konnten, der die Politik der Türkei klar verurteilt
       hat. Und nicht zwei kleinere Parteien. Schöner hätte ich es gefunden, wenn
       wir, wie beim Bildungskonsens, auch die Linke dabei gehabt hätten. Und
       sogar fast die FDP.
       
       24 Aug 2019
       
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