# taz.de -- Nach Lunapharm-Skandal in Brandenburg: Mit Taktstock und Ossi-Karte
       
       > Vor einem Jahr trat Brandenburgs Gesundheitsministerin Diana Golze
       > zurück. Jetzt geht das damals geschlossene Pharmaunternehmen in die
       > Offensive.
       
 (IMG) Bild: Golze nahm mit ihrem Rücktritt das Thema auch aus dem brandenburgischen Landtagswahlkampf
       
       POTSDAM/BERLIN taz | Klaus Kocks – Weste, Schnäuzer, Brille – war mal eine
       Art Stammgast in den Talkshows der Republik. Seit ein paar Monaten hat
       seine PR-Agentur Cato einen neuen Klienten. Einen, der einen besseren Ruf
       dringend gebrauchen kann: Lunapharm, ein Medikamentenhändler aus Mahlow
       südlich von Berlin. Vor einem Jahr im Mittelpunkt eines Skandals, der
       Brandenburgs damalige Gesundheitsministerin Diana Golze (Linke) zu Fall
       brachte, heute ohne Betriebserlaubnis.
       
       Die Staatsanwaltschaft ermittelt noch immer gegen Lunapharm. Chefin Susanne
       Krautz-Zeitel klagt jetzt zurück: für die Wiedererteilung der
       Betriebserlaubnis, auf Schadenersatz in zweistelliger Millionenhöhe, gegen
       die Berichterstattung des RBB über ihren Fall. „Wir geben Ihnen den
       Taktstock zurück, damit Sie wieder Dirigent über das Orchester Ihrer
       Kommunikation werden“, wirbt Kocks Agentur auf seiner Homepage. „Der
       Rücktritt von Diana Golze war unnötig, weil es für den Skandal keinen
       sachlichen Grund gab“, sagt Kocks zur taz.
       
       Vor einem Jahr sendete das RBB-Magazin „Kontraste“ einen Bericht, wonach
       Lunapharm mit in Griechenland gestohlenen und wegen Unterbrechung der
       Kühlkette möglicherweise [1][unwirksamen Krebsmedikamenten] gehandelt habe.
       Das Landesamt für Gesundheit, das Golzes Ministerium unterstellt ist, habe
       frühzeitig Bescheid gewusst und nicht gehandelt. Über Wochen drehte das
       Thema durch das Brandenburger Sommerloch. Besorgte Krebspatienten meldeten
       sich bei den eigens eingerichteten Hotlines, der Landtag kam zu
       Sondersitzungen zusammen.
       
       Mittendrin: Diana Golze, die als Spitzenkandidatin der Linken für die
       Landtagswahl im September dieses Jahres gehandelt wurde. Sie wirkte
       überfordert, beinahe hilflos. Ihre Reaktionen könnte man in ein Lehrbuch zu
       Krisen-PR aufnehmen. Überschrift: Wie man auf keinen Fall handeln darf.
       
       ## Ein Jahr danach lohnt ein Blick zurück
       
       Als sie sich mit dem Chef des Landesgesundheitsamts, Detlev Mohr,
       verbündete, war ihr Ende unausweichlich. Golze erstattete Anzeige gegen
       zwei Mitarbeiter des Gesundheitsamts wegen Korruptionsverdachts. Angeblich
       hätten die beiden wichtige Informationen zu Lunapharm nicht an Mohr
       weitergeleitet.
       
       Wenige Tage später stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein – Mohr
       hatte die Informationen bekommen. [2][Golze trat kurz darauf zurück],
       ebenso ihre Staatssekretärin Almuth Hartwig-Tiedt. Golze verzichtete nach
       öffentlichen Debatten auch auf einen neuen Job bei der Arbeiterwohlfahrt.
       Als Spitzenkandidaten wählte die Linke schließlich Kathrin Dannenberg und
       Sebastian Walter.
       
       Golze nahm mit ihrem Rücktritt das Thema auch aus dem brandenburgischen
       Landtagswahlkampf. In Cottbus oder Frankfurt (Oder) ist Lunapharm heute
       kein Thema mehr – die hohen Umfragewerte für die AfD bestimmen den
       Wahlkampf. Dennoch trifft der Skandal die Linke hart. In den Umfragen liegt
       sie je nach Institut bei 14 bis 16 Prozent. 2014 waren es 18,6 Prozent.
       Ihre beiden Spitzenkandidaten ziehen nicht recht, der Zeitgeist, der nicht
       mit der Linken geht, tut ein Übriges. Golze fehlt.
       
       Ein Jahr danach lohnt ein Blick zurück – und eine Bestandsaufnahme. Aus
       dem Medikamentenskandal kann man drei Dinge lernen: über die
       Schwierigkeiten, der Pharmaindustrie beizukommen, über die Ratlosigkeit von
       Landespolitikern im Umgang mit der Landflucht und schließlich über die
       Differenz zwischen charismatischem Auftreten und politischen Fähigkeiten.
       
       Golze war für die sehr brandenburgische Linkspartei ein Hoffnungsschimmer.
       2005 zog die heute 44-jährige in den Bundestag ein. Ein leicht verliebter
       Roger Willemsen schrieb ihr in seinem Buch „Das Hohe Haus“ eine Eloge. Das
       „kunstrote Mädchen“ habe, „was man im Bundestag immer sucht, aber so häufig
       nicht findet: Das ist Haltung“.
       
       Golze wurde Landesvorsitzende und Ministerin in dem Haus, das die populäre
       Sozialdemokratin Regine Hildebrandt gegründet hatte: Arbeit, Soziales,
       Gesundheit – alles unter einem Dach. Ein Mammutministerium.
       
       Aber mit Golze machte die Linke eine Erfahrung, die sie so ähnlich schon
       mit Gregor Gysi und Sahra Wagenknecht gemacht hatte: Die, die in der
       Öffentlichkeit am besten ankommen, sind nicht unbedingt die, die Behörden
       oder Fraktionen gut leiten können. Das Ministerium war schlecht gemanagt.
       In der Krise schickte Golze zunächst Mitarbeiter an die Medienfront,
       anstatt selbst ins Kreuzfeuer zu gehen. Eine Chefin, wie sie sich niemand
       wünscht.
       
       ## Der Trümmermann der Linken
       
       Im Oktober 2018 übernahmen Susanna Karawanskij als Ministerin und Andreas
       Büttner als Staatssekretär das Golze-Haus. Büttner ist so etwas wie der
       Trümmermann der brandenburgischen Linken. Sein Job: das Ministerium neu zu
       organisieren – und den Schaden zu reparieren, den Golze und ihre
       Staatssekretärin angerichtet hatten. Was eine gewisse Ironie hat: Büttner
       war noch 2014 Spitzenkandidat der FDP in Brandenburg. Dann wechselte er zur
       Linken, weil ihm die Liberalen zu unsozial geworden waren.
       
       Golze hatte noch vor ihrem Rücktritt eine Task-Force beauftragt, die
       Ursachen des Skandals zu untersuchen. Der Befund: Das Landesgesundheitsamt
       war nach langer Sparpolitik unterbesetzt, die Vergütung auch im Vergleich
       zur Pharmaindustrie nicht attraktiv, der Standort abgelegen in Wünsdorf.
       Die Kommunikationsstrukturen stimmten nicht.
       
       Nun gibt es zwölf neue Stellen in Ministerium und Landesgesundheitsamt für
       die Medikamentenkontrolle. Büttner spricht „von guten Mitarbeitern“, die
       man gefunden habe, auch wenn „der Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes
       mit den Gehältern in der Pharmaindustrie natürlich nicht konkurrieren“
       könne. Amtschef Mohr wurde nicht entlassen, aber von seiner Zuständigkeit
       für die Medikamentenkontrolle abgezogen. Stattdessen gibt es nun eine
       Stabsstelle im Ministerium, Büttner ist ihr direkter Ansprechpartner.
       Erstmals wurde im Ministerium eine interne Revision eingerichtet.
       
       Das Ministerium zu organisieren ist der einfachere Part. Der schwierigere
       der Standort. Wer pendelt schon ins 6.000-Seelen-Nest Wünsdorf, wenn er
       auch eine besser bezahlte Stelle in Berlin oder Potsdam haben kann? In
       Wünsdorf war mal die größte russische Garnison in der DDR stationiert. Als
       die Soldaten abzogen, siedelte das Land einige seiner Behörden dort an.
       
       Büttner will nun zumindest Teile des Gesundheitsamts nach Potsdam verlegen.
       Damit würde es künftig einfacher, gute Mitarbeiter anzulocken. Das Problem:
       Mitarbeiter, die schon in Wünsdorf arbeiten, haben sich zum Teil dort
       niedergelassen. Sie müssten künftig pendeln.
       
       ## Brandenburger Behördenlandverschickung
       
       Ob Büttner mit dem Umzug nach Potsdam durchkommt? Der Trend geht in die
       andere Richtung, hin zur Behördenlandverschickung. In Bayern begann Markus
       Söder damit. Das Ziel: den ländlichen Raum zu stärken. Nun zieht
       Brandenburg nach. Nachdem Rot-Rot in dieser Legislaturperiode mit einer
       Kreisreform, die vieles zentralisiert hätte, am Widerstand der Bürger
       scheiterte, ist das Gegenteil angesagt: Das Kultusministerium soll laut
       Kabinettsbeschluss in die strukturschwache Lausitz, nach Cottbus, umziehen.
       Dass es damit schwieriger wird, gute Bewerber zu finden, spielt in den
       Überlegungen keine Rolle.
       
       Gescheitert ist die Brandenburger Landesregierung jedenfalls mit einem
       Vorstoß auf Bundesebene zur Abschaffung der Importquote für Arzneimittel –
       vielleicht dem wichtigsten Vorhaben zur Vermeidung zukünftiger
       Medikamentenskandale. 2002 beschloss die rot-grüne Bundesregierung, dass
       Apotheken 5 Prozent ihrer Arzneimittel im Ausland kaufen müssen. Ein
       Gesetz, das die hohen Medikamentenpreise senken soll, ohne die
       Pharmabranche direkt zu regulieren. So werden heute selbst Medikamente
       deutscher Hersteller aus dem Ausland reimportiert. Dort sind sie aufgrund
       der niedrigeren Löhne zu billigeren Preisen zu haben.
       
       Das ist das Einfallstor für Betrüger: Die Lieferketten sind schwierig zu
       kontrollieren. Zudem grassierte die Idee des schlanken Staates und des
       Personalabbaus zur selben Zeit, als man wegen der Importquote die
       zuständigen Ämter hätte verstärken müssen.
       
       ## Die Importquote bleibt
       
       Brandenburg stellte nach dem Skandal deshalb im Dezember 2018 im Bundesrat
       den Antrag auf Abschaffung der Importquote. Nur wenige Länder stimmten
       dagegen. Darunter das Saarland – dort sitzt der größte deutsche
       Arzneimittelimporteur kohlpharma. Aber dann konterte
       Bundesgesundheitsminister Jens Spahn mit dem Gesetz für mehr Sicherheit in
       der Arzneimittelversorgung (GSAV), das sich auf die bessere Abstimmung
       unter den Behörden konzentriert. Die Importquote bleibt – allerdings sind
       Zytostatika, also Krebsmittel, und Biopharmazeutika, in Zukunft davon
       ausgenommen. Ein typisch deutscher Kompromiss. Ob das reicht, einen neuen
       Medikamentenskandal zu verhindern?
       
       Oder war es gar kein Medikamentenskandal, sondern eine „Medien- und
       Behördenkrise“, wie Klaus Kocks sagt? Am vergangenen Donnerstag hatte Kocks
       zu einem Pressetermin in ein Potsdamer Hotel eingeladen, auf dem sich auch
       Lunapharm-Chefin Krautz-Zeitel äußerte. Im Juli 2018 hatte sie, wohl auf
       Anraten ihrer Anwälte, abgesehen von einer schriftlichen Stellungnahme
       eisern geschwiegen.
       
       Es wurde ein bizarrer Termin: Kocks las ein fünfseitiges Statement ab, in
       dem er jegliche Schuld von Lunapharm bestritt. „Der angebliche
       Belastungszeuge in Person eines stellvertretenden Gesundheitsministers in
       Griechenland, ein einschlägiger Parteistratege der krypto-kommunistischen
       Syriza-Partei, ist nicht mehr im Amt“, hieß es darin unter anderem. Der
       Minister habe von „einer behördlichen Dokumentation der angeblichen
       Arzneidiebstähle vollständig abgesehen“. Eine Gefährdung von Patienten habe
       nie bestanden.
       
       Auch Staatssekretär Büttner äußerte dies kürzlich in einem Interview.
       Nachweisen lässt sich die Wirksamkeit allerdings nur für die Proben, die
       bei Lunapharm beschlagnahmt wurden. Ob auch die Medikamente, die über den
       Ladentisch gingen und verbraucht wurden, wirksam waren, ist nicht mehr zu
       klären.
       
       Krautz-Zeitel wirkte hochnervös, präsentierte sich als Opfer von Politik
       und Staatsanwaltschaft: „Mein Name ist in der Branche so was von kaputt.“
       Mit den Behörden habe sie selbstverständlich zusammengearbeitet, von
       kriminellen Machenschaften nichts gewusst. Aber hinten im Saal saß die
       RBB-Journalistin, die den Fall ins Rollen gebracht hatte und aus den
       Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft zitierte. So sei der zypriotische
       Händler, von dem Lunapharm Medikamente bezogen haben soll, nur eine
       Strohfirma gewesen. Warenlieferungen hätten nur auf dem Papier
       stattgefunden. Kocks bestritt die Echtheit der RBB-Dokumente.
       
       Zum Schluss spielte Kocks die Ossi- und Frauenkarte: „Wenn es nicht ein
       ostdeutsches Familienunternehmen, geleitet von einer Frau, gewesen wäre,
       wäre die Sache anders gelaufen.“ Kommt Krautz-Zeitel mit ihren Klagen
       durch, ist Lunapharm rehabilitiert. Der Medikamentenimport in Mahlow
       begänne von Neuem – wenn auch ohne Krebsmedikamente.
       
       29 Jul 2019
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Krebsmittel-Ring-aufgeflogen/!5519906
 (DIR) [2] /Krebsarznei-Skandal-in-Brandenburg/!5528314
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Martin Reeh
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Diana Golze
 (DIR) Lunapharm
 (DIR) Die Linke
 (DIR) Brandenburg
 (DIR) Skandal
 (DIR) Pharmaindustrie
 (DIR) Schwerpunkt Landtagswahlen
 (DIR) Diana Golze
 (DIR) Pharma
 (DIR) Diana Golze
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Sammelklage gegen Pharmakonzern: Urteil gegen Pfusch an Frauen
       
       Der Pharmakonzern Johnson & Johnson wird in Australien wegen mangelhafter
       Scheiden-Implantate verurteilt. Fehler haben bei der Firma Tradition.
       
 (DIR) Die Linke vor den Landtagswahlen: Austaktiert
       
       In den ostdeutschen Ländern ist die Linke auf dem absteigenden Ast. Daran
       ist auch ihre unentschlossene Politik der vergangenen Jahrzehnte schuld.
       
 (DIR) Arzneimittel-Skandal in Brandenburg: Lunapharm wusste Bescheid
       
       Das Pharma-Unternehmen Lunapharm hat illegal mit griechischen Medikamenten
       gehandelt – und dies wohl sehr bewusst. Das belegt eine E-Mail.
       
 (DIR) Krebsarznei-Skandal in Brandenburg: Ministerin Diana Golze tritt zurück
       
       Ein offizieller Bericht hält die Sparpolitik der Brandenburger
       Gesundheitsministerin für mitverantwortlich am Pharmaskandal.
       
 (DIR) Medikamentenskandal in Brandenburg: Das Aus für Golze kommt näher
       
       Ministerpräsident Woidke schließt eine Umbildung des Kabinetts nicht aus.
       Ende August entscheidet sich, ob die Gesundheitsministerin gehen muss.