# taz.de -- Datenabfrage per Mausklick: Amazon für Ermittlungsbehörden
       
       > Die EU-Kommission möchte es den Sicherheitsbehörden leicht machen, auf
       > Cloud-Daten zuzugreifen. KritikerInnen fürchten um den Rechtsstaat.
       
 (IMG) Bild: Wenn der Anbieter die Daten nicht binnen zehn Tagen herausgibt, drohen ihm hohe Strafen
       
       Straßburg taz | Ein rechter Staatsanwalt aus Polen nimmt deutsche
       Umweltaktivistinnen ins Visier, die ein polnisches Kohlebergwerk besetzen
       wollen. Eine Anordnung des Staatsanwalts mit dem Wörtchen „Terrorverdacht“
       reicht aus, um beim deutschen E-Mail-Anbieter der AktivistInnen ihre
       Nachrichten zu beschlagnahmen. Der Staatsanwalt kennt nun alle ihre Pläne.
       Innerhalb von Stunden klicken die Handschellen.
       
       Das ist reine Fiktion, zumindest bisher. Für den Datenzugriff auf
       ausländischen Servern ist ein Rechtshilfeersuchen an ein Gericht in dem
       Land nötig, in dem der Server steht. Solche Abfragen dauern selbst zwischen
       EU-Staaten mehrere Wochen, oft Monate. Das mag für ErmittlerInnen mühsam
       sein, aber fragwürdige, nicht rechtsstaatlich begründbare
       Einzelentscheidungen sind damit praktisch unmöglich.
       
       Die EU-Kommission möchte das radikal ändern. Sie will ein europaweites
       Bestellsystem [1][für „elektronische Beweismittel“] schaffen, eine Art
       Amazon für Ermittlungsbehörden. Die StrafverfolgerInnen dürfen dann direkt
       bei den Dienstanbietern in anderen Ländern anklopfen, etwa bei Facebooks
       Europasitz in Irland, aber auch bei Handy-Providern oder kleinen
       Server-Hostingfirmen.
       
       Wenn der Anbieter die Daten nicht binnen zehn Tagen, in Notfällen sogar
       binnen sechs Stunden herausgibt, drohen ihm Strafen von bis zu 2 Prozent
       seines weltweiten Umsatzes. Das könnte selbst Konzerne wie Google
       einschüchtern, für die dann Milliardenbeträge auf dem Spiel stünden.
       
       ## Anwendung über den Atlantik hinweg geplant
       
       Die Kommission machte ihren Vorschlag im April 2018, seither schleicht er
       auf stillen Sohlen durch die EU-Gremien. Die sogenannte
       E-Evidence-Verordnung könnte schon Anfang 2020 beschlossen werden. Bereits
       jetzt wird an einer Anwendung der geplanten Regeln auch über den Atlantik
       hinweg gearbeitet. Im Juni gaben die EU-Staaten grünes Licht für Gespräche
       über den raschen Datenaustausch mit den USA.
       
       Der US-Kongress verabschiedete 2018 den Cloud Act. Das Gesetz erlaubt
       Behörden wie dem FBI, die Herausgabe von Daten auf Servern außerhalb der
       USA anzuordnen. Bisher widerspricht das dem EU-Recht. Die EU-Kommission
       soll deshalb ab dem Sommer mit der Trump-Regierung über ein Abkommen
       verhandeln, das die Brücke zwischen dem Cloud Act und E-Evidence schlagen
       soll.
       
       Bislang gibt es gegen die weitreichenden Vorschläge kaum Widerstand.
       Deutschland und andere Staaten meldeten lediglich grundsätzliche Sorgen an,
       die Einführung des Datenzugriffs im Eilverfahren könne Grundrechte der
       Betroffenen gefährden. „Die Schutzmechanismen sind nicht ‚wasserdicht‘“,
       heißt es in einem Hintergrundpapier der Bundesregierung.
       
       Die Bundesregierung fürchtet insbesondere, dass die Herausgabe sensibler
       Verkehrs- und Inhaltsdaten grenzüberschreitend künftig deutlich leichter
       gemacht werde, als es bisher für deutsche StrafverfolgerInnen bei
       innerstaatlichen Fällen Praxis ist. Den Bedenken zum Trotz stimmte der Rat
       der EU-Staaten gegen die Stimme Deutschlands und weiterer Länder im
       Dezember 2018 dem E-Evidence-Vorschlag zu.
       
       Im EU-Parlament jedoch wird das Gesetz noch für Ärger sorgen. Die
       Schlüsselfigur dort ist Birgit Sippel, eine SPD-Abgeordnete. Sippel
       verhandelt als Berichterstatterin des Parlaments mit Rat und Kommission
       über den endgültigen Text.
       
       ## Aufweichung des Territorialprinzips
       
       Gegenüber der taz lässt sie erhebliche Bedenken an dem Vorschlag
       durchklingen. „Wir haben noch keine abschließende Position im Parlament,
       aber wir haben sehr viele kritische Punkte angemerkt“, sagte Sippel am
       Rande der Parlamentssitzung in Straßburg. Sie hält es für „ärgerlich“, dass
       die Kommission bereits mit den USA über eine Ausdehnung von E-Evidence
       verhandelt, obwohl das EU-Parlament sich noch nicht dazu geäußert habe.
       
       Für die Verhandlungsposition, die das Parlament im Herbst festlegen soll,
       hat die SPD-Abgeordnete einige Vorarbeit geleistet. In monatelanger
       Kleinarbeit schrieb Sippel mit gleichgesinnten Abgeordneten eine Serie von
       Arbeitspapieren, die den Vorschlag der EU-Kommission in der Luft zerreißen.
       
       Ein zentraler Kritikpunkt ist die Aufweichung des Territorialprinzips. Eine
       Behörde muss nach dem E-Evidence-Vorschlag der Kommission bei Beschlagnahme
       von Daten weder den Sitzstaat des Anbieters noch das Wohnsitzland des
       Betroffenen oder gar diesen selbst informieren. Das mache es schwer, selbst
       gegen offenkundig fragwürdige Datenabfragen Beschwerde einzulegen.
       
       Der Entwurf setze zudem kaum Hürden für den Datenzugriff. Datenabfragen
       über Teilnehmerdaten wie Namen, Anschrift und IP-Adresse sind dann in
       Ermittlungen bei allen Straftaten möglich. Anbieter müssen darüber hinaus
       auch Verbindungsdaten und Nachrichteninhalte herausgeben, wenn wegen einer
       Straftat mehr als drei Jahre Haft drohten.
       
       Strafbarkeit in beiden Staaten ist dabei keine Voraussetzung. Das bedeutet,
       dass die Beschlagnahmung von Daten auch dann rechtens wäre, wenn eine
       Handlung im Sitzstaat des Anbieters keine Straftat darstellt. Das sei vor
       allem da besorgniserregend, wo es große Unterschiede zwischen EU-Staaten
       gebe, schreiben Sippel und die Linken-Abgeordnete Cornelia Ernst in einem
       Arbeitspapier.
       
       Ein Beispiel: Im EU-Staat Malta wird Abtreibung mit bis zu drei Jahren Haft
       bestraft. Die maltesischen Behörden könnten mithilfe der E-Evidence in
       anderen Staaten direkt auf E-Mail-Servern beim Provider die Daten von
       Abtreibungskliniken beschlagnahmen. Ähnliches gälte bei Ermittlungen wegen
       Blasphemie oder Majestätsbeleidigung, die in einigen Staaten strafbar sind.
       
       ## Firma darf nicht zum Richter werden
       
       Der Vorschlag lege große Verantwortung in die Hand von Anbietern. Sie
       müssten künftig binnen weniger Stunden und unter Strafandrohung
       entscheiden, ob sie die Daten ihrer KundInnen ausliefern oder nicht. „Als
       private Firmen sind Diensteanbieter schlecht darauf vorbereitet und haben
       keinen wirklichen Anreiz, die Grundrechte ihrer NutzerInnen zu schützen“,
       warnt Sippel.
       
       Deutsche JuristInnen pflichten Sippel bei. Es sei „der wesentliche
       Schwachpunkt dieser Verordnung“, dass der Provider für den
       Grundrechtsschutz der Beschuldigten einstehen müsse, sagte Peter
       Schneiderhan von der Deutschen Richtervereinigung bei einer Anhörung in
       Brüssel. Eine private Firma dürfe nicht zum Richter gemacht werden, der
       über die Vollstreckung staatlicher Anordnungen entscheide.
       
       Kommission und Rat drängen trotz aller Bedenken auf die Verordnung. „Mit
       der Neuregelung werden die derzeitigen aufwändigen Verfahren durch
       schnelle, effiziente Instrumente für die Erhebung und den Austausch
       elektronischer Beweismittel ersetzt“, sagte Österreichs damaliger
       Justizminister Josef Moser im vergangenen Dezember, als der Rat unter
       österreichischem Vorsitz seine Position beschloss. Schnell und effizient,
       ja. Aber rechtsstaatlich?
       
       KritikerInnen von E-Evidence sehen ohnehin weitaus bessere Mittel, um den
       Datenzugriff über Grenzen hinweg zu erleichtern. „Es gibt bereits
       rechtliche Werkzeuge für elektronische Beweismittel, etwa
       Rechtshilfeabkommen und die Europäische Ermittlungsordnung“, sagte Chloé
       Berthélémy von der NGO European Digital Rights zur taz.
       
       Viele Staaten würden sich vor der ausreichenden Finanzierung ihres
       Justizsystems drücken und damit eine rasche Bearbeitung von
       Rechtshilfegesuchen verhindern. „Stattdessen kriegen wir nun eine billigere
       Option, die Verantwortung an private Firmen abschiebt.“
       
       Die SPD-Abgeordnete Sippel sieht im Drängen auf den grenzüberschreitenden
       Behördenzugriff ein Symptom unserer datenbesessenen Zeiten. „Wir müssen uns
       bewusst machen, dass wir in den letzten Jahren schon viele Gesetze mit
       Blick auf Zugang zu Daten geschaffen haben“, sagt sie in ihrem Büro in
       Straßburg. „Es ist an der Zeit, uns mal anzusehen, welche Daten wir
       überhaupt schon bei welcher Behörde sammeln – und uns fragen, ob wir
       überhaupt noch mehr Daten brauchen.“
       
       10 Jul 2019
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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