# taz.de -- Roman über den Forscher Alfred Wallace: In Darwins Schatten
       
       > Müsste Alfred Wallace da stehen, wo heute Charles Darwin steht? Ja – und
       > nein, geht es nach Anselm Oelzes Debütroman „Wallace“.
       
 (IMG) Bild: Als Bärte in Mode waren: Charles Darwin (l., um 1878) und Alfred Wallace (um 1880)
       
       Hamburg taz | Man kann schöne Ironie darin erkennen: Da konkurrierten zwei
       Forschende, zwei Weltenerklärer des mittleren und späten 19. Jahrhunderts,
       zumindest taten sie das rückblickend betrachtet. Und worin, nicht zuletzt,
       unterschieden sich ihre da wettstreitenden Ideen? In der Frage der
       Konkurrenz. Die hängte der eine ziemlich hoch, zur Erklärung seiner
       Theorien, während der andere anderes noch wichtiger fand.
       
       Der Erstgenannte dürfte zu den bekanntesten Figuren der (westlichen)
       Wissenschaftsgeschichte überhaupt zählen: Charles Darwin (1809–1882),
       Verfasser des „Ursprungs der Arten“, Formulierer bis heute beachteter
       Theorien von der natürlichen Auswahl und der Anpassung, ja: einer, der ein
       bis dahin bestehendes Weltbild ins Wanken brachte zugunsten eines neuen;
       als vermeintlicher Menschheitskränker auch schon mal mit Kopernikus oder
       Galilei verglichen (zum Beispiel von Sigmund Freud).
       
       Der andere, um den es hier gehen soll … nun, ganz und gar unbekannt ist er
       gar nicht, dieser Alfred Russel Wallace (1823–1913), dem der deutsche Autor
       Anselm Oelze, promovierter Philosoph mit besonderem Interesse am Denken des
       Mittelalters, seinen Debütroman „Wallace“gewidmet hat (Schöffling, 264 S.,
       22 Euro).
       
       Ein Autodidakt war er, der auf seinen Reisen in Malaysia und Neu-Guinea
       rund 22.000 Kilometer zurücklegte, dabei mehr als 125.000 naturkundliche
       Proben einsammelte – darunter mehr als 5.000 bis dahin unbekannte
       [1][Spezies]; zuvor bereits hatte er vier Jahre lang das Amazonasgebiet
       bereist und erkundet. Was ihm fehlte an Bildungshintergrund, Vernetzung
       und, ja: an auch materieller Ausstattung, das soll er wettgemacht haben
       durch Leidenschaft, Aufmerksamkeit und nicht zuletzt Widerstandsfähigkeit:
       Insgesamt zwölf Jahre hat Wallace in fernen, aus Europäersicht nun wirklich
       nicht immer freundlichen tropischen Gegenden verbracht.
       
       ## Gefährliches Leben
       
       So tritt ein Sandfloh auf, ziemlich zu Beginn von Oelzes Roman „Wallace“,
       der von diesem handelt, klar, und von Darwin, aber mindestens so sehr auch
       davon, wie Wissen zustande kommt und wer es legitimiert, was Geschehen ist
       und was Geschichte – und vielleicht sogar davon, was ein Leben vom bloßen
       Ein-und Ausatmen und Essen und Schlafen unterscheiden könnte.
       
       Tief in den Fuß des Forschers hat sich das lästige Tierchen gebohrt, und
       weil „die Finger zu groß und der Flohhintern zu klein waren, blieb dem
       jungen Bärtigen nichts anderes übrig, als mit dem gleichen Werkzeug im
       eigenen Fleisch herumzupulen, mit dem er sonst die Körper von Käfern,
       Schmetterlingen und Hautflüglern aufspießte“.
       
       Gleich darauf wird ein ganz anderes Kaliber von Tier auftreten, mit ein
       bisschen Pulen ist es da dann nicht getan, da muss schon Schrot verschossen
       werden und über Bord geht auch einer, in amazonisches Gewässer. Ja, es ist
       das Bild eines gefährlichen, eines abenteuerlichen Lebens, das Oelze
       zeichnet.
       
       Am Ende des Sammelns stand bei Wallace ein Text: [2][ein Manuskript], das
       er 1858 von der indonesischen Insel Ternate aus losschickte – an Darwin.
       Darin legte Wallace seine Überlegungen dar zur Entstehung der Arten, wobei
       er, eben, zu teils den gleichen, teils anderen Ergebnissen gelangt war als
       der ferne Kollege.
       
       Den wiederum muss das Eintreffen des Papiers in ziemliche Betriebsamkeit
       versetzt haben: „Niemals sah ich eine verblüffendere Übereinstimmung“,
       schrieb Darwin an den Geologen Charles Lyell. „Wenn Wallace meinen
       handschriftlichen Entwurf von 1842 gehabt hätte, hätte er keine bessere
       Zusammenfassung davon anfertigen können.“
       
       ## Natürliche Selektion
       
       1842 und 1844 hatte Darwin erste Fassungen seiner Evolutionstheorie
       verfasst, die aber in der Schublade blieben – an die Öffentlichkeit ging
       Darwin damit dann nämlich erst, als ihn Wallace’ Manuskript erreicht hatte:
       Gemeinsam erschienen in der Londoner Linné-Gesellschaft also eine eilig
       fertiggestellte Version der Darwin’schen Thesen und jener von Wallace; ein
       Jahr später folgte dann die Buchausgabe von „The Origin of Species“. Darin
       wurde Wallace erwähnt – er selbst aber war bei Erscheinen weit weg: Er
       kehrte erst 1862 zurück aus Südostasien. Und in die Geschichte, längst
       nicht nur die der Wissenschaften, ging eben sonnenhell überstrahlend der
       andere ein.
       
       Nach Wallace ist allerlei benannt, auch eine biogeographische Grenze
       zwischen den Inseln Borneo und Celebes: Die bezeichnet, wo auf dem
       Malaiischen Archipel sich australische Fauna findet (und wo nicht). Für
       Anspielungen in Simpsons-Folgen oder andere popkulturelle Adelung hat es
       aber nicht gereicht.
       
       Ist die Geschichte der beiden bärtigen Biologen ein Plagiatsfall? Es ist
       komplizierter: Wallace scheint keinen Groll entwickelt zu haben gegen
       Darwin (oder den Rest der Welt): „Was die Theorie der ‚natürlichen
       Selektion‘ angeht, so werde ich stets behaupten, dass sie tatsächlich Ihre
       und allein Ihre ist“, schrieb er 1864 an den ungleich berühmteren Kollegen.
       Und weiter: „Mein Aufsatz hätte niemanden überzeugt oder wäre nurmehr als
       eine geistreiche Spekulation registriert worden, während Ihr Buch die
       Naturforschung revolutioniert hat.“
       
       Dass Wallace absichtsvoll um seine Meriten betrogen worden sei, doch: Das
       glauben Menschen. Aber es tragen auch andere Faktoren bei zum etwas
       scheckigen Bild des Pioniers: Einerseits interessierte er sich, zurück in
       Britannien, für sozialen Ausgleich, stritt etwa dafür, dass der Staat
       Ländereien besitzen und verpachten können sollte; aber er war auch ein
       Gegner der obligatorischen Pockenschutzimpfung – zugegeben: zu einer Zeit,
       da man über die Keime und ihre Rolle noch nicht viel wusste – und beschritt
       auch spiritistische Pfade; das wiederum taten im frühen 20. Jahrhundert
       noch ganz andere als wach bezeichnete Geister.
       
       Oelzes Buch ist als vielleicht überfällige, aber vor allem erste Erinnerung
       an einen Vergessenen bezeichnet worden. Das stimmt nur so lala: Um seinen
       90. Todestag herum, 2003, erschienen „die ersten stattlichen Biographien“,
       [3][würdigte damals die FAZ]. Und noch mal mehr wurde geschrieben über und
       erinnert an Wallace, als sich sein Ableben zum 100. Mal jährte.
       
       Interessant macht Oelzes bemerkenswertes, von Schwächen aber nicht völlig
       freies Debüt auch, dass er jene 150 Jahre zurückliegende
       Konkurrenzgeschichte erzählt – verschränkt aber mit der eines heutigen
       Wiederentdeckers: Ein Nachtwächter eines deutschen Naturkundemuseums will
       da Wallace’ Ehre retten – und schuld ist auch ein Sturz über einen schlecht
       daliegenden Teppich.
       
       20 Jun 2019
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://wallacefund.info/content/iconic-species-discovered-alfred-russel-wallace
 (DIR) [2] https://de.wikipedia.org/wiki/Ternate-Manuskript
 (DIR) [3] https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/geisteswissenschaften/alfred-russel-wallace-im-schatten-darwins-1116279.html
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Alexander Diehl
       
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