# taz.de -- Israel wählt neues Parlament: Von Marihuana bis zum Siedlungsbau
       
       > Behauptet sich Netanjahu? Oder löst Herausforderer Gantz ihn als
       > Regierungschef Israels ab? Kleine Parteien ringen um den Einzug in die
       > Knesset.
       
 (IMG) Bild: Gantz und Netanjahu bei der Stimmabgabe am Dienstag
       
       Jerusalem taz | Bei Sonnenschein und sommerlichen Temperaturen erreichte
       Benjamin Netanjahu gegen Mittag die Paula-Ben-Gurion-Schule im Jerusalemer
       Edelviertel Rechavia, um seine Stimme abzugeben. „Bibi, Bibi“, empfingen
       ihn Aktivisten seiner Likud-Partei. Bis zuletzt hatte Israels
       Regierungschef Wahlkampf gemacht und noch am Morgen Fragen potentieller
       Wähler auf Facebook beantwortet.
       
       Netanjahus aufgeregte Kampagne galt der Verhinderung einer „linken
       Regierung“ unter der Partei Blau-Weiß. Sein stärkster [1][Gegenkandidat
       Benny Gantz], so warnte Netanjahu, plane einen „Deal mit den Arabern“. In
       Wirklichkeit hatte Gantz ein Zusammengehen mit den arabischen Parteien
       ausgeschlossen, obschon er sie [2][für eine Koalition] dringend brauchen
       könnte. Weder der Likud noch Blau-Weiß kann allein regieren.
       
       Bis zum späten Nachmittag verlief der Wahltag überwiegend ruhig, nur in
       Nazareth und einigen anderen arabischen Ortschaften hatten Likud-Aktivisten
       heimlich Kameras angebracht, angeblich um sicherzustellen, dass es dort
       „koscher“, so Netanjahu, also „mit rechten Dingen“ zugehe.
       
       Die Polizei konfiszierte Dutzende Kameras, nachdem das
       arabisch-antizionistische Bündnis Beschwerde vor dem Zentralen Wahlkomitee
       vorbrachte. „Die radikale Rechte hat verstanden, dass wir die Macht haben,
       die Regierenden zu Fall zu bringen“, hieß es in einer Erklärung des
       Bündnisses zwischen Kommunisten und Arabern.
       
       ## Große Koalition wäre keine Wende
       
       „Würden sie das nur tun“, schimpft ein Mittsechziger, der vor der
       Paula-Ben-Gurion-Schule am Stand der linken Meretz steht, über den Boykott
       der Araber. Zwanzig Prozent der Gesamtbevölkerung machen Araber in Israel
       aus. Aus Frustration darüber, dass sie seit Staatsgründung nie an einer
       Regierung beteiligt waren und auf absehbare Zeit auch nicht daran teilhaben
       werden, verzichtet allerdings rund die Hälfe darauf, die Stimme abzugeben.
       
       Dabei könnten gerade diesmal „die kleinen Parteien den Ausschlag geben“,
       sagt der Meretz-Abgeordnete Mossi Ras, der vor der Schule das Gespräch mit
       potentiellen Wählern sucht. Jeweils zwei Parteien ganz rechts und zwei
       Parteien im linken Lager, darunter die Meretz und eine arabische Partei,
       ringen mit der Sperrklausel.
       
       Ras ist desillusioniert. 15, bestenfalls 20 Wähler wird er noch für die
       Meretz gewinnen, wenn er den ganzen Tag bleibt. „30.000 brauchen wir für
       ein Mandat.“ Aber nein, es ginge um jede Stimme, sagt ein Aktivist und
       motiviert, jetzt nur nicht aufzugeben. „Keine Wende ohne Meretz“, ist die
       Parole der Partei.
       
       Ras ist dem Chef von Blau-Weiß gegenüber skeptisch. „Einmal sagt Gantz, er
       werde nicht mit Netanjahu koalieren, ein andermal, dass sein erster Anruf
       nach siegreicher Wahl dem Likud gilt.“ Eine Große Koalition wäre in den
       Augen des linken Politikers nicht mehr als eine „Miniwende“. Anstelle von
       Netanjahu käme dann ein Regierungschef, „der etwas größer ist und blaue
       Augen hat“.
       
       Die 85-jährige Ora Nelken vertraut dem Chef von Blau-Weiß dagegen, „weil
       ich ihn im Fernsehen gesehen habe“. Gantz mache den Eindruck eines
       „aufrechten, guten Mannes“. Hauptsache sei, dass Netanjahu abtritt. „Es
       herrscht eine schreckliche Atmosphäre in Israel. Immer nur Lügen“, schimpft
       die alte Dame. Dass sie in ihrem Alter noch einen Frieden erleben wird,
       glaubt sie nicht. „Meinen Kindern würde ich ihn wünschen. Sie haben ihn
       verdient und die Palästinenser auch.“
       
       ## Legales Marihuana und ein dritter Tempel
       
       Kaum fünf Meter vom Meretz-Stand entfernt stehen die Aktivisten der Sehut,
       der Partei von Mosche Feiglin. Der 26-jährige Joav ist seit Stunden vor
       Ort, obwohl er nicht glaubt, dass er noch Wähler umstimmen wird. „Hier ist
       es wichtig, dass wir Präsenz zeigen. Die Leute sollen sehen, dass die
       Partei existiert.“
       
       Feiglin gehört zu den letzten Politikern, die ihre Kandidatur mit einer
       neuen Liste ankündigten. Sowohl Likud als auch Blau-Weiß halten eine
       Koalition mit ihm für denkbar. Für den 26-jährigen Joav sind die
       wirtschaftlichen Ziele in dem 344 Seiten umfassenden Programm zentral. „Wir
       brauchen eine freie Marktwirtschaft“, sagt er. Die Sehut werde „die Leute
       zu freieren Menschen machen“.
       
       Die Legalisierung von Marihuana steht auf der Agenda und ein Abspecken der
       Regierung und ihrer Institutionen. Besonders umstritten ist der Wunsch des
       frommen Feiglin, einen dritten Tempel auf dem heute muslimischen Tempelberg
       zu bauen. Joav beschwichtigt: „Der Tempelberg ist nicht das Ziel für morgen
       früh.“
       
       Für Sehut-Aktivist Joav wäre ein Zusammengehen mit der Meretz denkbar,
       „vorausgesetzt, wir können unsere Ziele vorantreiben“. Der
       Meretz-Abgeordnete Ras sagt umgekehrt dasselbe. Die Meretz habe nur drei
       Bedingungen: Das umstrittene Nationalstaatsgesetz, das im letzten Jahr
       verabschiedet wurde und Juden in Israel Vorteile vor der arabischen
       Minderheit einräumt, müsse rückgängig gemacht, der Siedlungsbau in den
       besetzten Gebieten gestoppt und die Friedensverhandlungen mit den
       Palästinensern müssten wieder aufgenommen werden.
       
       Unter derartigen Voraussetzungen ist schon eine Koalition mit Blau-Weiß
       ausgeschlossen, denn Gantz kündigte im Vorfeld der Wahl an, den
       Siedlungsbau im Westjordanland fortzusetzen.
       
       9 Apr 2019
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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