# taz.de -- Gastkommentar Friedensbewegung: Weg von der Sicherheitslogik
       
       > Die Friedensbewegung ist nicht zu zahm. Innenpolitisch hat sie großen
       > Einfluss, Deutschland ist ein toleranteres Land geworden.
       
 (IMG) Bild: Kleine Gesten können mehr Frieden bewirken als viele denken
       
       Es ist wieder so weit: Die Kirschbäume blühen, der Frühling ist da – und
       schon stehen auch die alljährlichen Ostermärsche an. Zeit, sich mal wieder
       mit der Lage der „Friedensbewegung“ zu befassen. Die meisten Kommentare
       dazu sind allerdings wenig schmeichelhaft ([1][so etwa im Artikel „Die
       Friedensbewegung hat sich verirrt“ in der taz vom 25. 3. 2019]): zu klein,
       zu alt, zu zerstritten, zu unprofessionell, zu naiv sei sie, die
       Friedensbewegung, die Welt versinke in Krieg, und die Zahl der
       Ostermarschierenden schrumpft. So wird [2][jedes Jahr zu Ostern] der
       Niedergang der Friedensbewegung heraufbeschworen.
       
       Wer oder was ist eigentlich „die Friedensbewegung“? Ein Verein mit
       Mitgliedern, einer Geschäftsstelle und vielen Angestellten? Sicher nicht.
       Zu groß ist die Zahl der friedensbewegten Organisationen, zu
       unterschiedlich ihre Strukturen, Ziele und Arbeitsweisen. Und die
       allermeisten „Friedensbewegten“ sind wohl in gar keinen Organisationen
       eingebunden, sondern setzen sich ganz privat für Frieden ein. Carl
       Friedrich von Weizsäcker sagte 1967: „Friedfertig ist, wer Frieden um sich
       entstehen lassen kann. Das ist eine Kraft, eine der größten Kräfte des
       Menschen.“
       
       Die Friedensbewegung auf die Teilnehmenden der Ostermärsche zu beschränken,
       wird also dem Einfluss Frieden schaffender Kräfte in unserer Gesellschaft
       nicht gerecht. All diejenigen, die im Alltag Integrationsarbeit leisten,
       sich für Sicherheit, Toleranz, Gesundheit, Bildung und Gerechtigkeit
       einsetzen oder durch ihr Handeln Vorbilder sind, tragen dazu bei, den
       gesellschaftlichen Frieden zu erhalten und auszubauen. Sie lassen Frieden
       entstehen – konkret und greifbar.
       
       Dasselbe gilt für diejenigen, die sich gegen deutsche Rüstungsexporte
       engagieren, etwa in Kampagnen wie „Aktion Aufschrei“, oder für jene, die
       den Abzug der Atombomben aus Büchel fordern und sich für eine
       völkerrechtliche Ächtung von Atomwaffen einsetzen. Friedensschaffer sind
       auch die Friedensdienste, die in Krisenregionen tätig sind, dort gemeinsam
       mit Betroffenen die Wurzeln von Konflikten aufarbeiten, Menschenrechte
       schützen, Versöhnungsprojekte organisieren und helfen, Konflikte zu
       befrieden. Ebenso wie viele der Menschen, die eine neue Entspannungspolitik
       gegenüber Russland einfordern, die gegen deutsche Kriegseinsätze auf die
       Straße gehen oder sich dem wachsenden Einfluss der Bundeswehr in Schulen
       und Universitäten widersetzen.
       
       Das amorphe Wesen der Friedensbewegung macht es so schwer, pauschal über
       sie zu urteilen. Man sollte sie nicht daran messen, wie viele an
       Demonstrationen teilnehmen, sondern daran, wie diese vielen
       unterschiedlichen Menschen und Organisationen es schaffen, Politik,
       Gesellschaft und öffentlichen Diskurs zu beeinflussen und zu verändern.
       
       Es kann nicht die Aufgabe der deutschen Friedensbewegung sein, Einfluss auf
       andere Länder zu nehmen. Es geht ihr vielmehr darum, vor der eigenen
       Haustür zu kehren – Adressat ihrer Forderungen ist daher immer die deutsche
       Regierung.
       
       Auf der Habenseite können die Friedensbewegten verbuchen, dass sich der
       gesellschaftliche Diskurs in den 20 Jahren seit dem Kosovokrieg deutlich
       von deutschen Kriegseinsätzen distanziert hat. Nach mehr als 17 Jahren
       „Krieg gegen den Terror“ finden sich hierzulande keine Mehrheiten mehr für
       Krieg. Im Gegenteil: Eine große Mehrheit fordert den Abzug aus Afghanistan
       und Syrien, möchte Rüstungsexporte in Krisenregionen verbieten und ist für
       eine Bereitschaft zum Gespräch mit Russland. Dieser Wandel in der
       öffentlichen Meinung ist vor allem ein Erfolg der Friedensorganisationen.
       
       Deren Kampagnen stellen zudem immer wieder wenig beachtete Themen ins
       Rampenlicht, verweisen auf bessere Alternativen und fordern die
       Entscheidungsträger zum Handeln auf. Exemplarisch sei hier die Kampagne
       „Macht Frieden – Zivile Lösungen für Syrien“ zu erwähnen, die konkrete
       Forderungen an die Bundesregierung erarbeitet.
       
       Der Einfluss auf die deutsche Außenpolitik bleibt dabei leider begrenzt.
       Zwar wurden Waffenexporte nach Saudi-Arabien kurzfristig eingestellt und
       auch am Irak- und Libyenkrieg beteiligte sich die Bundeswehr nicht direkt.
       Doch die Kriegseinsätze in Syrien und Afghanistan werden fortgesetzt, und
       während der Militäretat Jahr für Jahr steigt, wird in zivile
       Konfliktbearbeitung nicht nennenswert investiert.
       
       Zugleich sollte man aber auf keinen Fall übersehen, wie groß der Einfluss
       der Friedensbewegten innenpolitisch ist. Harz IV, Finanzkrise und AfD zum
       Trotz ist Deutschland in den vergangenen zwanzig Jahren ein offeneres,
       toleranteres und friedlicheres Land geworden. Mehr als 85 Prozent der
       Deutschen haben gegen die AfD gestimmt und sind nicht auf deren Versuch
       hereingefallen, auf dem Rücken gesellschaftlicher Minderheiten
       populistische Politik zu betreiben und sozial Benachteiligte und
       Geflüchtete gegeneinander auszuspielen. Nicht „Pegida“, sondern
       [3][„Unteilbar“ war das Motto] im vergangenen Jahr. Friedensbewegte leisten
       hier enorm wichtige Arbeit.
       
       Nur eine Gesellschaft, die im Frieden mit sich selbst lebt, kann auch nach
       außen eine Friedenslogik vertreten, die die eigene Rolle an Konflikten
       kritisch reflektiert. Nur sie kann auf kooperative Problemlösungen und
       Gewaltprävention setzen und Menschen- und Völkerrecht über die eigenen
       Interessen stellen. Gesellschaften, die unter Friedlosigkeit leiden,
       vertreten auch nach außen eine Sicherheitslogik, die von Feindbildern,
       Abschreckung, Eskalation und der Durchsetzung eigener Interessen geprägt
       ist.
       
       Damit wir in Deutschland künftig in den Kategorien der Friedenslogik denken
       und handeln, braucht es weiterhin viele friedensbewegte Menschen, die in
       ihrem Umfeld und nach ihren Möglichkeiten Frieden schaffen – und das nicht
       nur zu Ostern.
       
       19 Apr 2019
       
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