# taz.de -- Parteigespräche zwischen Rot-Rot-Grün: In weiter Ferne, so nah
       
       > Macht der Abgang von Sahra Wagenknecht eine Mitte-Links-Regierung
       > wahrscheinlicher?
       
 (IMG) Bild: Sahra Wagenknecht geht. Das macht manchen Hoffnung auf neue Bündnisse
       
       Der [1][Rückzug von Sahra Wagenknecht] belebt in Berlin die Debatte über
       rot-rot-grüne Bündnisse. Teile von SPD und Grünen hoffen, dass betonierte
       Vorurteile nun aufgebrochen werden könnten. SPD-Vize Ralf Stegner
       twitterte, ein Wechsel in der Fraktionsführung der Linkspartei könne
       „zukünftig bessere Perspektiven eröffnen für ein progressives
       Regierungsbündnis diesseits der Union.“
       
       Wagenknecht war in der Vergangenheit von führenden SPDlern und Grünen
       immer als Grund genannt worden, dass Rot-Rot-Grün keine Aussicht auf
       Verwirklichung habe. Sie galt als stärkste Kritikerin einer
       Regierungsbeteiligung in der Linken. Nun, da sie sich krankheitsbedingt vom
       Fraktionsvorsitz zurückziehen will, wird ihr Einfluss schwächer. Wird
       dadurch Rot-Rot-Grün wahrscheinlicher? Oder komplizierter, weil Wagenknecht
       sich in den vergangenen Jahren von betonharter Fundamentalopposition
       verabschiedet hat? Könnte nur sie die linken RegierungskritikerInnen
       überzeugen, nach dem Motto: Only Nixon could go to China?
       
       Parteichefin Katja Kipping sagte am Dienstag der taz: „Es gibt derzeit eine
       Dynamik für eine Regierung links der Union, und zwar unabhängig von Sahra
       Wagenknechts Entscheidung.“ Entscheidender seien andere Faktoren: Die SPD
       kümmere sich wieder [2][stärker um Sozialpolitik], die CDU rücke unter
       Annegret Kramp-Karrenbauer nach rechts. „Dass Sahra Wagenknecht einer
       solchen Konstellation im Wege gestanden hat, war doch im Grunde eine
       Schutzbehauptung der SPD“, sagte Kipping. Wagenknecht sei gar nicht mehr
       gegen eine Regierungsbeteiligung gewesen. Kipping will Rot-Rot-Grün stärker
       in den Fokus rücken: „Wir bereiten diese seit Längerem vor.“
       
       Die Parteispitze hat eine Gesprächsoffensive gestartet und umwirbt derzeit
       gezielt einflussreiche Grüne und Sozialdemokraten, ihre Bedenken gegenüber
       der Linkspartei fallen zu lassen. Bodo Ramelow, einziger linker
       Ministerpräsident, ist ausgesandt, unter seinen LänderkollegInnen für eine
       gute Atmosphäre zu sorgen. Wichtig wird auch sein, ob Ramelow und
       Rot-Rot-Grün in Thüringen im Oktober wiedergewählt werden. Einen positiven
       Stimulus könnte auch die Bürgerschaftswahl im Mai in Bremen geben: Dort
       bereiten sich die Linken unter Kristina Vogt auf ein Bündnis mit den
       schwächelnden Sozialdemokraten und den Grünen vor.
       
       ## Ein Umdenken bei vielen SPDlern
       
       Der linke Außenpolitiker Stefan Liebich sieht es ähnlich wie Kipping. „Ob
       eine Mitte-links-Regierung möglich wird, hängt nun wirklich nicht an Sahra
       Wagenknecht“, sagte Liebich der taz. Sie habe immer wieder betont, dass sie
       dafür offen sei – die Ablehnung sei stets aus der SPD gekommen. „Wenn sich
       dort etwas bewegen würde, wäre das sehr gut“, sagte Liebich. „Dass es eine
       Politik der sozialen Gerechtigkeit mit CDU, CSU und FDP niemals geben wird,
       sollten die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten inzwischen verstanden
       haben.“ Liebich zählt zu den Reformern in der Linken.
       
       Wichtige SPDler hatten für die Linkspartei lange nur Verachtung übrig. Doch
       bei vielen SPDlern findet ein Umdenken statt. Die Erkenntnis ist gewachsen,
       dass die [3][Dauerkoalition mit der Union] ins Verderben führt. Angela
       Marquardt ist seit zwölf Jahren die Geschäftsführerin der SPD-Denkfabrik,
       eines rot-rot-grünen Thinktanks, der den Gedankenaustausch zwischen
       PolitikerInnen der drei Parteien organisiert. Diese Bündnisoption sei nie
       durch Wagenknecht allein verhindert worden, sagte Marquardt der taz. „Für
       mich sind diesbezügliche Äußerungen Augenwischerei und im Kern falsch.“
       
       Es brauche mehr als eine Mehrheit im Bundestag oder das Übereinanderlegen
       von Programmen. „Ein solches Bündnis muss vor allem auch außerhalb des
       Parlaments zivilgesellschaftlich getragen werden.“ Es komme nur, wenn es
       gewollt sei und dafür von allen drei Parteien als realistisch beworben
       werde. Doch die Mehrheit liegt in weiter Ferne: SPD, Grüne und Linkspartei
       kommen in Umfragen im Moment nur auf 42 Prozent. Die Grünen vermeiden ein
       Bekenntnis zu einem Koalitionspartner, um unterschiedliche Wählermilieus
       nicht abzuschrecken. Man setze auf grüne Eigenständigkeit, so das Mantra.
       
       ## Eine Chance für neue Bündnisse
       
       Doch die Grünen-Führungscrew kann rechnen – und bereitet sich aufs Regieren
       mit Union und FDP vor. Neulich zeigten Fraktionschefin Katrin
       Göring-Eckardt und die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer in einem
       harmonischen Doppelinterview, wie gut sie sich verstehen.
       Bundesgeschäftsführer Michael Kellner ist ein einflussreicher Netzwerker
       des linksgrünen Flügels, der Rot-Rot-Grün bevorzugen würde. „Für unsere
       Demokratie wäre wichtig, eine realistische Machtoption links der Mitte zu
       haben, damit nicht die einzige Alternative zur Groko Schwarz-Grün ist“,
       sagte er der taz.
       
       Sahra Wagenknechts Rückzug könne Dinge in Bewegung bringen, so Kellner.
       „Die Linkspartei hat jetzt die Chance, ihre Zerrissenheit in Bündnisfragen
       zu klären – und sich neu zu positionieren.“ Ähnlich argumentiert der
       Bundestagsabgeordnete Jürgen Trittin, ein Wortführer im linken
       Grünen-Flügel. „Der Rückzug von Frau Wagenknecht könnte für die Linkspartei
       die Chance eröffnen, eine viel zu lange offene strategische Frage jenseits
       von alten Blockaden endlich zu beantworten“, sagte Trittin der taz.
       
       Bisher habe es in der linken Bundestagsfraktion, anders als in den
       Landtagsfraktionen in Thüringen oder Berlin, „keine tragfähige Mehrheit für
       die Bereitschaft zu regieren“ gegeben, sagte Trittin. „Erst wenn diese
       Frage beantwortet wäre, kann es überhaupt erst wieder zu anderen Optionen
       jenseits der großen Koalition kommen.“
       
       ## Linker Flügel ohne Leitfigur
       
       Der Weg ist für die Linkspartei allerdings noch weit. An der Basis, so ein
       Linkspartei-Mann, komme [4][Wagenknechts Rückzug gar nicht gut an]. Ein
       schlechtes Zeichen für das Wahljahr 2019. Bei der Fraktionssitzung am
       Dienstag gab es warmen Beifall der GenossInnen für die
       Noch-Fraktionschefin. Doch die Harmonie währte nicht lange. Über Medien
       erfuhr die Fraktion, dass Sevim Dağdelen nicht mehr als Fraktionsvize
       kandidieren wolle.
       
       Überrascht hat diese Nachricht zwar niemand. Die Wagenknecht-Vertraute ist
       in der Fraktion umstritten, sie war 2017 nur auf extremen Druck
       Wagenknechts gewählt worden. Eine Mehrheit hätte sie künftig kaum bekommen.
       Allerdings ist die Art, diese Info über Bild zu verbreiten, merkwürdig.
       Beim linken Flügel, der zu Wagenknecht stand und der nun ohne Leitfigur
       ist, herrscht Aufregung. Bild zitierte eine anonyme Stimme, die
       „Mobbing-Terror gegen Wagenknecht und Dağdelen“ beklagte. Der Ton wird
       hysterisch. Vor Plänen für Rot-Rot-Grün scheint es jetzt erst einmal darum
       zu gehen, die aufbrechenden Grabenkämpfe einzudämmen.
       
       13 Mar 2019
       
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