# taz.de -- Nationaler Volkskongress in China: Krisenstimmung, auch ohne Streit
       
       > Zu Beginn der Jahrestagung des Volkskongresses ist Chinas Führung so
       > nervös wie lange nicht mehr. Denn die Wirtschaft schwächelt.
       
 (IMG) Bild: Tausende Delegierte kommen in diesen Tagen in Peking für den Nationalen Volkskongress an
       
       Peking, taz | In Peking herrscht in diesen Tagen mal wieder
       Ausnahmezustand: Soldaten der Volksbefreiungsarmee patrouillieren auf
       sämtlichen großen Straßen. In den U-Bahnhöfen haben die Sicherheitskräfte
       die Personenkontrollen verschärft. Und auf fast allen großen Kreuzungen der
       20-Millionen-Stadt stehen schwere Militärfahrzeuge. Das ist jedes Jahr so,
       wenn rund 3.000 Delegierte nach Peking reisen, um für zwei Wochen [1][den
       Nationalen Volkskongress abzuhalten]. Doch in diesem Jahr scheint die
       Nervosität noch größer zu sein.
       
       Wegen des „turbulenten, komplexen und heiklen Umfelds“ für Chinas
       Wirtschaft sei derzeit höchste Wachsamkeit geboten, mahnte Staats- und
       Parteichef Xi Jinping vor Beginn des Volkskongresses. Er warnte die
       Kommunistische Partei vor „Nachlässigkeit, Inkompetenz und der Gefahr, sich
       zu weit vom Volk zu entfernen“.
       
       Offiziell ist der Volkskongress Chinas höchstes Organ. In der Realität
       nicken die Delegierten auf ihrer jährlichen Tagung lediglich die Entwürfe
       ab, die die kommunistische Führung ihnen vorlegt. Trotzdem handelt es sich
       um das wichtigste politische Ereignis in China. Denn die Führung legt in
       den zwei Wochen die zentralen Themen für das laufende Jahr fest. Und 2019
       droht für das Reich der Mitte ein äußerst schwieriges Jahr zu werden.
       
       Den Auftakt wird am Dienstag Ministerpräsident Li Keqiang mit seinem
       Rechenschaftsbericht bestreiten. Schon vorab gilt als gesichert, dass er
       ein niedrigeres Wachstum für sein Land vorgeben wird. Im Vorjahr hatte Li
       „rund 6,5 Prozent“ als Ziel für 2018 genannt, am Ende wurden 6,6 Prozent
       erreicht. Es war bereits das langsamste Wachstum seit fast drei
       Jahrzehnten. Aus chinesischen Regierungskreisen heißt es nun, 2019 werde Li
       nur noch eine Wachstumsspanne zwischen 6 und 6,5 Prozent ausgeben.
       
       ## Wachstum nur halb so groß?
       
       Eine 6 vor dem Komma beim Wirtschaftswachstum würde in Europa Freudentaumel
       auslösen. Nicht jedoch in China. Denn der Bedarf nach zusätzlichen
       Arbeitsplätzen ist in vielen Landesteilen nach wie vor groß, der
       Grundbedarf für viele noch immer nicht gedeckt. Unabhängige
       Wirtschaftsexperten vermuten zudem, dass in schlechteren Zeiten die Zahlen
       in China geschönt werden.
       
       Andere Kerndaten sehen alles andere als rosig aus. Der Einkaufsindex ist
       zurückgegangen. Der Konsum schwächelt. Viele Exportunternehmen berichten
       von massiven Umsatzeinbrüchen. Der seit über einem Jahr anhaltende
       [2][Handelsstreit] mit den USA hat der chinesischen Wirtschaft zuletzt mehr
       geschadet, als die Führung in Peking zugibt.
       
       Schon vor dem chinesischen Neujahrsfest Anfang Februar schickten
       Unternehmer viele Wanderarbeiter früher in die Ferien. Viele von ihnen sind
       in ihren Heimatdörfern geblieben, weil es nicht mehr genug Jobs in den
       Städten gibt.
       
       Einige Experten spekulieren daher, dass das Wirtschaftswachstum in Wahrheit
       nur halb so groß sei. Ein Wachstum von unter 6 Prozent wird die Regierung
       jedoch nicht zugeben, vermutet Lu Zhengwei, Chefvolkswirt der Industrial
       Bank, „weil sie Angst davor hat, den Abwärtstrend ansonsten nicht aufhalten
       zu können.“
       
       ## Ein Treffen auf dem Privatanwesen
       
       Dabei sieht es so aus, als ob sich China und die USA in dem seit einem Jahr
       tobenden Handelsstreit bald einigen könnten. Sowohl von US-Seite als auch
       aus China verlautete zuletzt, man habe sich in den Verhandlungen
       angenähert. Die US-Seite äußerte sich am Sonntag positiv über den Verlauf.
       Am Montag verkündete auch die chinesische Regierung, dass es „substanzielle
       Fortschritte“ gebe.
       
       Das Wall Street Journal berichtet, noch im März soll es auf Trumps
       Privatanwesen in Florida zu einem Gipfel von US-Präsident Donald Trump mit
       Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping kommen, um den Streit offiziell
       beizulegen. Doch auch ohne Handelskonflikt ist deutlich geworden, dass
       Chinas bisheriges Wirtschaftsmodell an seine Grenzen stößt. Massive
       Investitionen der Staatsunternehmen, die das Wachstum die letzten Jahre
       befeuert haben, scheinen ihre Wirkung zu verlieren.
       
       Zugleich haben die Schulden exorbitante Höhen erreicht. Lag die
       Gesamtverschuldung 2008 noch bei 170 Prozent der jährlichen
       Wirtschaftsleistung, liegt sie nun bei über 300 Prozent. Trotzdem geht das
       Wachstum zurück. Denn vielerorts gibt es bereits ausreichend Schienen,
       Straßen und Hochhäuser. In ganzen Branchen herrschen Überkapazitäten.
       
       ## Eine Bewegung für Demokratie
       
       Doch nicht nur die Schwächen in der Wirtschaft machen die chinesische
       Führung nervös. Sie will im Oktober das 70-jährige Bestehen der
       Volksrepublik feiern. Die nächsten Monate werden allerdings von einer Reihe
       weiterer Jahrestage überschattet, die ihr nicht genehm sind. 2019 jährt
       sich zum 100. Mal die sogenannte 4.-Mai-Bewegung, Chinas erste
       Demokratiebewegung. Ebenfalls jähren sich die Niederschlagung der
       Tibet-Proteste vor 60 Jahren und die blutige Niederschlagung der
       Tiananmen-Proteste vor 30 Jahren.
       
       Die massiven Sicherheitsvorkehrungen in Peking dürften daher auch nach dem
       Volkskongress anhalten.
       
       5 Mar 2019
       
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