# taz.de -- Korruptionsvorwürfe in Wiesbaden: Politdrama in mehreren Akten
       
       > Lokalgrößen von SPD und CDU versinken bühnenreif im Korruptionssumpf.
       > Gegenseitige Diffamierung scheint wichtiger als Selbstrettung.
       
 (IMG) Bild: Schauplatz für ein Drama Shakespear'schen Ausmaßes: das Rathaus von Wiesbaden
       
       Wiesbaden taz | In der Wiesbadener Kommunalpolitik geht es zu wie auf einer
       Theaterbühne. Das Stück handelt von Freundschaft und Verrat, von
       Bestechlichkeit und Vorteilsnahme, von illegalen Zuwendungen an Parteien
       und Privatpersonen. Auf dem Spiel stehen hohe Ämter, Macht und viel Geld.
       Ein halbes Dutzend prominenter Rathauspolitiker ist in den Fokus der
       Staatsanwaltschaft geraten.
       
       Wiesbadens [1][Oberbürgermeister Sven Gerich (SPD)] hat bereits das
       Handtuch geworfen, ebenso der langjährige Vorsitzende der CDU in der
       Stadtverordnetenversammlung, der CDU-Kreisschatzmeister und ehemalige
       Geschäftsführer der städtischen Immobilienholding. Gegen den amtierenden
       CDU-Kreisvorsitzenden und seinen Vorgänger wird ebenfalls ermittelt.
       
       Am Donnerstagabend, bei ihrer ersten Sitzung in diesem Jahr, werden die
       Stadtverordneten einen Akteneinsichtsausschuss einsetzen, der die Vergabe
       von millionenschweren Aufträgen an das Münchner Gastronomieunternehmen
       Kuffler untersuchen soll. Wie immer das Stück in der Realpolitik ausgeht –
       der Intendant des Staatstheaters Wiesbaden, Uwe Laufenberg, verspricht, den
       Plot in jedem Fall auf die echte Theaterbühne zu bringen. Arbeitstitel
       „Casino Wiesbaden“ unter Anspielung auf das echte Casino Wiesbaden, das
       Schauplatz von Dostojewskis „Der Spieler“ war.
       
       Der taz sagte Laufenberg: „Wer der Schurke ist, steht ja noch nicht fest.
       Das Ende ist offen. Aber wenn so viele Menschen ‚Vendetta!‘ rufen, hat die
       Geschichte eine Macbeth’sche Qualität, sie ist tieftragisch.“ Die Premiere
       des Theaterstücks plant er für Juni 2020.
       
       Ihren Anfang nimmt die Affäre mit einem Zerwürfnis im Privaten. Auf der
       einen Seite: der millionenschwere, gut vernetzte Immobilienkaufmann Ralph
       Schüler, seit 2014 auch Geschäftsführer der städtischen Immobilienholding
       WVV. Im Ehrenamt ist er CDU-Kreisschatzmeister. Seine Gegenspielerin: die
       langjährige Prokuristin seiner privaten Firma, Margarete S. Die beiden
       überziehen sich intern mit Beschuldigungen und Klagen. Im August letzten
       Jahres verschärft S. die Gangart, damit sie nicht „vor der Marktkirche
       betteln und Papierkörbe nach Flaschen durchsuchen muss“, schreibt sie in
       einem Drohbrief, der der taz vorliegt.
       
       ## Das Drama nimmt seinen Lauf
       
       Gegen den Rat ihres Anwalts droht sie Schüler, lastet ihm eine Reihe
       angeblich schwerer Verfehlungen an, erwähnt „Kuverts mit den Schwarzgeldern
       für Provision und anderes“. Schließlich fährt sie über den örtlichen
       Wiesbadener Kurier großes Geschütz auf. Ohne Gegenleistung habe Schüler
       seinem Hausanwalt, dem damaligen Rathausfraktionschef der CDU, Bernhard
       Lorenz, zweimal 45.000 Euro zukommen lassen, just in der Zeit, als der über
       die Bestellung Schülers zum Holdingchef der Stadt mitzuentscheiden hatte.
       Vom Verdacht des Ämterkaufs ist fortan die Rede.
       
       Die Beweislage scheint dürftig. Von S.’ eidesstattlicher Erklärung liegen
       der taz drei Versionen vor. Mal will S. das Ausfüllen der
       Überweisungsträger persönlich gesehen haben, dann lediglich Durchschläge.
       Zunächst sollen die Zuwendungen in den Jahren 2012 oder 2013 geflossen
       sein, schließlich könnte es auch 2014 gewesen sein. Die Beschuldigten tun
       die angeblichen Zahlungen als „freie Erfindung“ ab, trotzdem nimmt die
       Geschichte Fahrt auf. Die negativen Schlagzeilen bringen die
       Verantwortlichen im Rathaus auf den Plan. Schnell finden sich weitere
       Vorwürfe gegen den plötzlich nicht mehr unumstrittenen Geschäftsführer.
       Schließlich beschließt eine knappe Mehrheit des Magistrats seine fristlose
       Kündigung. Es soll endlich Ruhe einkehren, doch die Büchse der Pandora ist
       geöffnet.
       
       Bereits im Vorspiel zum furiosen Finale war der sozialdemokratische
       Oberbürgermeister Gerich in Erklärungsnot geraten. Er hatte im Mai 2018
       einräumen müssen, mehrfach von der Gastronomenfamilie Kuffler verwöhnt
       worden zu sein, in deren mondänen Villa an der Côte d’Azur ebenso wie auf
       dem Oktoberfest und im noblen Palace-Hotel in München. Der OB gab nur
       spärlich Auskunft über seine „private Freundschaft mit der Familie“.
       
       Auf die Verlängerung der lukrativen Gastronomiekonzession für das
       Wiesbadener Kurhaus und für die Vergabe der Konzession für das neue
       Rhein-Main-Congresscenter (RMCC) an Kuffler, die zeitgleich zwischen Stadt
       und Unternehmen verhandelt wurden, habe er keinen Einfluss genommen. In
       einem Zwischenbericht listete indes das Revisionsamt der Stadt
       Ungereimtheiten im Vergabeverfahren auf. Die Zweifel sind seitdem gewachsen
       und sollen jetzt auf Antrag der SPD in einem Akteneinsichtsausschuss
       untersucht werden.
       
       ## Selbstanzeigen und zerbrochene Freundschaften
       
       Für den OB kam es noch dicker. Mit Schülers Rausschmiss war nämlich auch
       die langjährige Freundschaft zwischen dem Immobilienkaufmann und dem
       Rathauschef zerbrochen. Der geschasste Holdingchef machte im Januar
       öffentlich, dass er den OB und dessen Ehemann unmittelbar vor seiner
       Bestellung zum städtischen Geschäftsführer zu einer luxuriösen Spanienreise
       eingeladen hatte.
       
       Die Übernachtungen in den besten Häusern des Landes habe er, Schüler,
       bezahlt. Die „eigentlich harmlose Reise“ habe er nun anzeigen müssen, damit
       sie in der anstehenden gerichtlichen Auseinandersetzung um die fristlose
       Kündigung nicht gegen ihn verwendet werden könne, erläuterte Schüler der
       taz. Gerich sollte im Januar als SPD-Kandidat für die OB-Wahl am 19. Mai
       nominiert werden. Vor dem Nominierungsparteitag der SPD gab er auf. Die SPD
       sucht seitdem eine neue OB-KandidatIn.
       
       Auch die CDU bekam Schülers Zorn zu spüren. Sie befindet sich in einer
       handfeste Finanzaffäre. Schließlich war Schüler fast ein Jahrzehnt
       Schatzmeister der Kreispartei und hatte offenbar tiefe Einblicke gewonnen.
       In einer Selbstanzeige an den Bundestagspräsidenten und die
       Staatsanwaltschaft bezichtigte Schüler sich und seine ehemaligen
       Mitstreiter, viele Jahre lang falsche Rechenschaftsberichte unterschrieben
       zu haben. Der langjährige Kreisvorsitzende und Landtagsabgeordnete Horst
       Klee habe die Parteiarbeit von einer Angestellten erledigen lassen, die als
       Wahlkreismitarbeiterin vom Landtag bezahlt worden sei.
       
       „Das ist illegal, das weiß ich inzwischen“, sagte Schüler der taz. Er habe
       viel zu lange dem amtierenden CDU-Kreisvorsitzenden und früheren
       Chefjuristen der hessischen Staatskanzlei Oliver Franz vertraut. Der habe
       ihm stets versichert, diese Praxis sei rechtens, so Schüler zur taz. Die so
       attackierten Franz und Klee wollten mit der taz nicht reden. Öffentlich
       versicherten sie, die Vorwürfe seien haltlos. Doch die CDU-Bundespartei
       sieht das offenbar anders. Sie schloss sich Schülers Selbstanzeige an, „um
       Schaden von der Partei abzuwenden“. Es drohen sechsstellige Strafzahlungen
       nebst Anwaltskosten. Auch die Staatsanwaltschaft erkannte einen
       Anfangsverdacht wegen Untreue.
       
       ## Die Grünen als lachende Dritte?
       
       Jetzt soll es für die CDU im OB-Wahlkampf ihr Kandidat, der
       Dachdeckermeister Eberhard Seidensticker, richten. Doch auch bei ihm sorgte
       die Finanzkrise wohl für Verwirrung. Zunächst hatte er seinen
       CDU-Vorsitzenden Franz aufgefordert, das Parteiamt ruhen zu lassen. Wenige
       Tage später, auf einem Krisenparteitag, mochte er die Forderung nicht
       wiederholen. Stattdessen rief er die Parteifreunde zur Geschlossenheit auf.
       
       Lachende Dritte im OB-Wahlkampf könnte die Vorsitzende der grünen
       Rathausfraktion werden, Christiane Hinninger. Sie spielt in dem Drama um
       Schüler, Gerich, Lorenz, Franz und Klee bislang nicht mal eine Nebenrolle.
       Theaterintendant Laufenberg wagt keine Prognose, wie die Sache ausgeht.
       „Es ist wie immer bei Shakespeare. Der eine ist besonders schlau, der
       andere raffgierig, ein Dritter mag blauäugig sein und das Ganze in seinen
       Folgen nicht überblicken, aber es sind immer die verschiedenen Charaktere,
       die eine Geschichte spannend machen.“
       
       14 Feb 2019
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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