# taz.de -- Kolumne Flimmern & Rauschen: Der die Wochenschau sezierte
       
       > Geschichtsprofessor Heinrich Bodensieck war einer, der es verstand, die
       > Medien zu erklären – und zwar präzise und hanseatisch kühl.
       
 (IMG) Bild: Logo der „Wochenschau“. Bodensieck durchdrang die Mediengeschichte Deutschlands
       
       Der Mann trug an britische Reservisten gemahnende Pullover – aber natürlich
       in Blau – und sprach norddeutsch. Aus der Gegend von Kiel. Und er konnte
       einen zur Verzweiflung bringen, wenn er morgens im Seminar als Erstes
       sagte: „Letzte Woche, beim Tafelbild, da hab ich Ihnen bei der Wochenschau
       zur Nachfolgediskussion um Stalin etwas Falsches angeschrieben. Das war ein
       Donnerstag, kein Mittwoch.“
       
       Erraten – die Geschichte ist schon etwas länger her (Tafelbild!) und spielt
       an der Uni, wobei wir die Wandzeichnung der vergangenen Woche natürlich
       längst vergessen hatten. So konnte keiner wirklich was mit der präzisen
       Teilkorrektur anfangen – außer ihm: Heinrich Bodensieck, Professor für
       neuere und neueste Geschichte an der Uni Dortmund nahm’s genau und
       fotografierte nach jeder Sitzung seine Tafelbilder, auch wenn es noch gar
       keine Digitalkameras gab.
       
       Warum nun hier von ihm die Rede ist? Weil es bei ihm flimmerte und
       rauschte. Bodensieck war den Medien, ihrer Rolle in Zeitgeschichte und
       Politik verfallen. Sein Steckenpferd war die Wochenschau, also die
       Kinonachrichten, ohne die man sich Form, Funktion und Ansprechhaltung der
       „Tagesschau“ bis heute nicht erklären könnte.
       
       Ihre Rolle im Dritten Reich und im Ost-West-Konflikt waren Bodensieck
       Herzensangelegenheit. Nicht akademisch verstaubt, sondern möglichst
       authentisch. Und so saßen wir immer wieder in einem fast fensterlosen
       Gelass mit Projektionsmöglichkeit und spielten Kino. Die perfide, ja
       perverse Ideologie und Wirkung der angeblich so unverfänglichen
       „Feuerzangenbowle“ erschließt sich eben am besten aus der Großdeutschen
       Wochenschau zur Kinopremiere im Januar 1944.
       
       ## Ansteckende Begeisterung
       
       Und wie konnte er sich ereifern, dass er UFA-Filme aus der NS-Zeit auch zu
       wissenschaftlichen Zwecken für verhältnismäßig stolze Summen bei der
       bundeseigenen Murnau-Stiftung ausleihen musste, die die von den Alliierten
       1945 indizierten Filme bis heute verwaltet. Während dieselbe Stiftung dem
       rechtsradikalen Presseklub des Dr. Frey gestatte, die meisten dieser
       Propagandafilme als VHS für kleines Geld über seine National-Zeitung zu
       verschleudern.
       
       Bodensieck war auch ein großer Kenner der DDR-Presse, einmal war er einer
       kleinen Weltsensation beim SED-Hauptblatt [1][Neues Deutschland] auf der
       Spur, doch dann kam die Wende und dem zu Forschungszwecken in Berlin
       weilende („Nur mein Hüftleiden hielt mich ab, selber auf die Mauer zu
       klettern“) Bodensieck blieb die große Beachtung erspart.
       
       Er hat sie auch nicht wirklich gebraucht, er, der ehemalige
       Volksschullehrer im Hochschuldienst: So viel ansteckende Begeisterung,
       Erklärbegabtheit und hanseatisch-unterkühlten Witz gab es selten. Nun ist
       Heinrich Bodensieck im Alter von 88 Jahren gestorben. Und weil keine
       Wochenschau dazu was machen wird, steht es hier.
       
       Medienprofi Steffen Grimberg (früher taz, NDR und ARD, jetzt MDR) bringt
       jeden Mittwoch Unordnung in die aufgeräumte Medienwelt.
       
       6 Feb 2019
       
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