# taz.de -- Kommentar Antisemitismusvorwürfe: Kurios, naiv, hilflos
       
       > Die Bank für Sozialwirtschaft will prüfen, ob die NGO „Jüdische Stimme“
       > antisemitisch ist. Deutsche darüber entscheiden zu lassen ist gefährlich.
       
 (IMG) Bild: Aktivist*innen der „Jüdischen Stimme“ vor dem Bundesjustizministerium in Berlin
       
       Je autoritärer Regierungen agieren, desto mehr müssen sie auf Abschottung
       gegen Kritik setzen. Diese Mechanik ist in Ungarn, Polen und Russland zu
       beobachten. In illiberalen Demokratien stehen stets NGOs, Intellektuelle
       und KünstlerInnen, die sich der Regierungskontrolle entziehen, unter
       Generalverdacht. [1][In diese Richtung bewegt sich seit Längerem], in
       letzter Zeit rasant die israelische Regierung. Medien und Künstler werden
       in Israel an die Kandare genommen. Das 2018 verabschiedete
       Nationalstaatsgesetz degradiert arabische Israelis offiziell zu Bürgern
       zweiter Klasse.
       
       Jizchak Herzog, Oppositionsführer und früher Minister unter Netanjahu, hat
       wohl recht mit der Diagnose, dass Israel an „Nationalismus erkrankt“ ist.
       Neuerdings versucht Netanjahu sogar Deutschland auf Kurs zu bringen. Die
       Bundesregierung solle gefälligst NGOs, die die Besatzung kritisieren, nicht
       unterstützen. Auch die exzellente Jerusalem-Ausstellung des [2][Jüdischen
       Museums in Berlin geriet ins Visier], weil sie nicht nur die jüdische,
       sondern auch die arabische Sicht zeigt.
       
       Dass die Bank für Sozialwirtschaft nun auf Druck rechter Israelis und Juden
       wissenschaftlich prüfen lassen will, ob die zionismuskritische Organisation
       „Jüdische Stimme“ offiziell antisemitisch ist oder nicht, verrät wenig
       Empfindsamkeit für deutsche Geschichte.
       
       Deutsche befinden zu lassen, ob Juden als antisemitisch gelten, ist mehr
       als eine kuriose, zwischen Naivität und Hilflosigkeit schillernde Idee. Sie
       ist gefährlich, weil sie, wie die Verfasser des Protestaufrufs zu Recht
       bemerken, Netanjahus Spiel bedient, jede scharfe Kritik an der Besatzung
       als antisemitisch zu denunzieren.
       
       Auch das jährliche [3][Antisemitismus-Ranking des Simon-Wiesenthal-Centers]
       ist der Versuch, alle Zweifel an der israelischen Regierung moralisch mit
       dem wahllosen Gebrauch des Antisemitismus-Vorwurfs zu diskreditieren.
       
       Nein, Kritik an Netanjahu ist kein Verrat an der Freundschaft mit Israel,
       im Gegenteil. Kritik ist der Sauerstoff der Demokratie. Nur ängstliche
       Regierungen fürchten sie so sehr, dass sie sich dagegen immunisieren
       müssen.
       
       11 Jan 2019
       
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