# taz.de -- Punkrocker Jürgen Engler: „Du brauchst deine Feindbilder“
       
       > Stumpfe Punks und Drogenabstinenz: Male war eine der ersten deutschen
       > Punkbands. Jetzt spielt sie beim Düsseldorfer „Lieblingsplatte-Festival“.
       
 (IMG) Bild: Die Düsseldorfer Punkband Male gab es nicht lange. Hier zu sehen bei einem ihrer Auftritte
       
       taz: Herr Engler, 40 Jahren nach dem Entstehen wirkt Ihr Album „Zensur &
       Zensur“ wie aus einer anderen Zeit. In Songs wie „Großeinsatz“ wird
       Düsseldorf als Kriegsgebiet beschrieben, in dem Punks gegen Gangs und
       Polizei kämpften. Das war zu dick aufgetragen, oder? 
       
       Jürgen Engler: Heute kann man sich das vielleicht nicht mehr vorstellen,
       aber es gab schon überall Fronten. Wenn du Ende der Siebziger als Punk
       'rumgelaufen bist, warst du ständig in Gefahr. Wenn du Stachelhaare
       hattest, hörtest du Sprüche wie: „Unter Hitler wärst du vergast worden.“
       Dann gab es Rocker, die ständig in den Ratinger Hof kamen und Punks
       verkloppen wollten. Aber wir haben uns die Fronten natürlich auch selbst
       geschaffen, denn wir haben uns abgegrenzt, waren gegen die alle. Du
       brauchst deine Feindbilder. Mit Feindbildern wirst du kreativ; erst, wenn
       du dich radikal von der Vergangenheit abgrenzt, kannst du Neues schaffen.
       Darum ging es ja bei Punk.
       
       Wie war das, diese Songs jetzt für das Konzert wieder zu proben? 
       
       Es fühlte sich an, als hätten wir sie vor ein paar Tagen zuletzt gespielt.
       Das geht fast wie von selbst. Diese Songs sind im System, auf der
       Festplatte – das geht nicht raus.
       
       Male und Die Toten Hosen verbindet ja eine gemeinsame Geschichte. Erst
       waren die Gruppen befreundet, dann haben sie sich in Songs („Jürgen Engler
       gibt 'ne Party“, „Die Toten Hosen Ihre Party“) gegenseitig gedisst – wie
       kam das? 
       
       „Jürgen Engler gibt 'ne Party“ war 1982 die erste Toten-Hosen-Single. Der
       Song entstand, weil Campino zu dieser Zeit stinkig war, dass ich der Szene
       den Rücken zugekehrt hatte. Außerdem hatte ich eine Freundin, auf die er
       wohl auch scharf war. Mit dem Lied wollte er mich durch den Kakao ziehen.
       Für mich war das eigentlich cool – es wurde immerhin die Nummer 1 der
       Alternative-Charts! Campino und ich hatten dann zwei Jahre lang keinen
       Kontakt, aber das hat sich schnell wieder gelegt. Als Male sich in den
       Neunzigern wieder zusammenfanden, haben wir mit „Die Toten Hosen Ihre
       Party“ in schlechtem Deutsch gekontert. Heute sind Campino und ich gute
       Freunde, er hat uns gerade erst bei den Proben besucht. Könnte also sein,
       dass er am Samstag auch ein Lied mitsingt.
       
       Warum haben Sie sich damals vom Punk abgewendet? 
       
       Ein Grund war, dass wir mit Male bei einem gemeinsamen Konzert mit The
       Clash 1980 so mies behandelt wurden. Wir waren während der
       London-Calling-Tour deren Vorgruppe, und die Geschichte war für mich
       ziemlich enttäuschend. Erst haben wir keinen Soundcheck bekommen. Von
       unserer mickrigen Gage von 200 D-Mark haben wir trotzdem die Hälfte an den
       Techniker abdrücken müssen. Und dann hatten wir nicht mal Monitore auf der
       Bühne! Das war eine Verarsche. Direkt nach der Clash-Story, im Spätsommer
       1980, haben wir uns aufgelöst. Dann habe ich mit Die Krupps weitergemacht.
       Aber es ist nicht unüblich, dass englische Bands ihre Supportgruppen nicht
       gut behandeln.
       
       Haben Sie das mit Male öfter erlebt? 
       
       Nicht mit Male. Aber als wir Anfang der Achtziger mit Die Krupps als
       Vorband von Siouxsie and the Banshees unterwegs waren, wiederholte sich die
       Geschichte. Wir reisten mit einem Opel Kadett durch die Gegend, während
       Siouxsie drei Sattelschlepper hatten. Da wusste ich: Wir sitzen nicht im
       selben Boot. Manchmal denke ich, wenn wir mit Pink Floyd oder solchen Bands
       getourt wären – gegen die wir ja eigentlich protestiert haben -, wären wir
       wahrscheinlich besser behandelt worden. Zudem wurde Punk zu jener Zeit so
       prollig und asi – das war überhaupt nicht mein Ding. Ich hatte den
       Eindruck: die Leute wussten überhaupt nicht mehr, warum sie das machen. Die
       wollten nur die Sau rauslassen.
       
       Auf „Zensur & Zensur“ klingt eine Wir-gegen-die-Erzählung an, die Punks
       gegen den Rest, zum Beispiel in der Zeile „Irgendwann werden wir die Sieger
       sein“. Sie haben in Jürgen Teipels Punkbuch „Verschwende Deine Jugend“ auch
       über die Punkszene gesagt: „Das war kein Miteinander“. Gab es denn
       überhaupt ein Wir-Gefühl? 
       
       Wir waren schon irgendwie eine Gemeinschaft, aber es gab auch Konkurrenz
       und Sticheleien. Eigentlich haben all die frühen Bands aber ein gutes
       Verhältnis zueinander gehabt. Vor ein paar Tagen habe ich zum Beispiel Gabi
       Delgado von DAF wiedergetroffen, der hat sich darüber tierisch gefreut. Die
       Krupps und DAF sind 1981 mal zusammen getourt – und ich habe mit Gabi,
       Peter Hein und Markus Oehlen auch eine gemeinsame Band gehabt, das
       Deutschland Terzett. Das war ein Fun-Projekt.
       
       Es gab Parallelen zwischen Ihnen und DAF. Denen wurde Punk auch zu stumpf. 
       
       Die haben sich auch aus der verwahrlosenden Szene abgeseilt. Bands wie The
       Exploited gründeten sich – das ging in eine andere Richtung als das, was
       Punk zu Beginn war. Weder The Clash noch die Sex Pistols noch die Buzzcocks
       oder Wire haben so eine Musik gemacht. Das war viel intellektueller, nicht
       so stumpf. Als es nur noch ums Rumprollen und Saufen ging, haben wir uns
       abgegrenzt und weiterentwickelt.
       
       Bei Male waren Sie auch allesamt Antialkoholiker, oder? 
       
       Damals ja. Ich bin es immer noch. Ich habe immer noch nichts angerührt,
       weder Drogen, noch Alkohol, Kaffee und Zigaretten. Wie mein guter Freund
       Nicky Garratt, der bei den UK Subs spielte.
       
       „Polizei, Polizei“ wurde in den Achtzigern von Slime gecovert, die ja auch
       eher der räudigen Fraktion angehören – hat Sie das gestört?
       
       Nein. Wenn jemand die Nummern vernünftig interpretiert, ist das doch okay.
       Das ist eine der Nummern gewesen, die sich am meisten dafür geeignet hat.
       Viele andere Male-Stücke sind nicht so geeignet für die
       1-2-3-4-Punk-Gemeinde.
       
       Hat Sie Punk denn ab Anfang der Achtziger gar nicht mehr interessiert? 
       
       Ich habe ja weiter mein Ding gemacht, Punk ist tief in mir drin. Ich habe
       immer versucht, den Rebellen in mir zu bewahren. Wir haben uns mit Die
       Krupps nie nach irgendwelchen Marktgesetzen gerichtet. Wir machen, was wir
       wollen – und darauf bin ich auch stolz.
       
       Wie haben Male mit ihrem Werk Die Krupps beeinflusst? 
       
       Unser erstes Album mit den Krupps, „Volle Kraft voraus!“, war für mich
       nichts anderes als eine Punk-Platte mit elektronischen Mitteln. Ich habe
       die Keyboards gespielt wie eine Gitarre. Auch textlich gab es Parallelen zu
       meiner alten Band – bei Male waren die Texte nur etwas plakativer. Die
       erste Mini-LP der Krupps – „Stahlwerksynfonie“ war dagegen stark von Lou
       Reeds „Metal Machine Music“ beeinflusst – diese Musik wollten wir auf den
       Ruhrpott ummünzen. Ich hatte seinerzeit gerade Pere Ubu gesehen, David
       Thomas hantierte da mit einer Flex herum und schlug mit einem Hammer auf
       einem Amboss ein. In diese Richtung wollten wir gehen. So entstand eine
       Industrial-Rock-Krach-Platte.
       
       Was hat Sie eigentlich nach Austin verschlagen? 
       
       Ich wollte schon immer weg aus Deutschland. Auch als ich noch in Düsseldorf
       lebte, habe ich viel Zeit in England und Amerika verbracht. Ich zog
       zunächst nach New York, 1995 bin ich dann nach Austin gezogen. Als wir mit
       den Krupps in Houston Videoclips drehten, lernte ich meine damalige Frau
       kennen. Sie meinte, Austin könnte mir gefallen – eine liberale Stadt, nicht
       zu groß, Musikhochburg. Sie hatte Recht.
       
       Ist Ihnen Deutschland in all den Jahren fremd geworden? 
       
       Nö, es ist ja alles wie immer! Ich komme immer gern zu Besuch und spiele
       hier, aber ich bin froh, dass ich weg bin. Mir geht's wunderbar da drüben.
       
       8 Dec 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jens Uthoff
       
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