# taz.de -- Schwester des Revolutionärs Sankara: Heldin der Selbstermächtigung
       
       > Nach der Ermordung von Präsident Thomas Sankara ging seine Schwester
       > Blandine ins Ausland. Zurück in Burkina Faso kultiviert sie nun
       > Bio-Gemüse.
       
 (IMG) Bild: Bio-Revolutionärin: Blandine Sankara, Schwester von Thomas Sankara und Besitzerin der Farm „Yelemani“
       
       Burkina Faso, Westafrika. Kommt eine verletzte Frau zum Arzt. „Sie brauchen
       nur eine Lokalanästhesie“, versucht er sie zu beruhigen. „Bloß nichts
       Lokales!“, ruft die Frau entsetzt aus und verlässt das Krankenhaus.
       Blandine Sankara erzählt die Geschichte und lacht dabei grimmig. In
       elegantem burkinischem Baumwollgewand führt sie durch die blühenden
       Gemüsereihen ihrer Farm „Yelemani“. Das Wort heißt in der Lokalsprache
       Diaolu „Veränderung“.
       
       Überquellendes Grün, so weit das Auge reicht. Tomatenpflanzen, Spinat,
       Zucchini; Kräuter wachsen in recycelten Plastikflaschen. In traditioneller
       Anbauweise lockern Löcher den Boden auf, der so mehr Wasser speichern kann.
       Und dies alles mitten in der Subsahara Afrikas. 20 Kilometer von der
       Hauptstadt Ouagadougou entfernt liegt Sankaras Terrain, beim Dorf Loumbila,
       auf halbem Weg zu Christoph Schlingensiefs Operndorf.
       
       2008 übernahm Sankara dort ein chemisch verseuchtes Terrain. Zwölf Monate
       habe es gedauert, bis hier wieder etwas gewachsen sei. Für Blandine Sankara
       illustriert der Eingangswitz, was in ihrem Land schiefläuft: „Was lokal
       produziert wird, hat keinen Wert – schick ist nur, was aus Europa kommt.“
       Als sie in der Schweiz studierte, sei ihr dagegen aufgefallen, wie stolz
       die Menschen auf ihre lokalen Produkte gewesen seien. Mit der Biofarm
       Yelemani will sie daran anknüpfen.
       
       ## Präsident mit Gitarre und Fahrrad
       
       „Consommons burkinabé“, diesen Slogan gab in den achtziger Jahren
       eigentlich ihr Bruder Thomas Sankara aus. 1983 kam er mit einer Revolution
       an die Macht. Vier Jahre lang versuchte Sankara, der Che Guevara Afrikas,
       ein Land zu reformieren, das heute immer noch zu den ärmsten der Welt
       gehört. Auch als Präsident war er oft mit Gitarre und Fahrrad unterwegs. Er
       engagierte sich für Ernährungsautonomie, Umweltschutz und Frauenrechte,
       förderte das Bildungssystem, kämpfte gegen Korruption – aber auch gegen die
       Austrocknung und Verödung der Böden.
       
       Mit Yacouba Sawadogo, einem später mit dem alternativen Nobelpreis geehrten
       Bauern, war er befreundet. Sawadogo verwandelt mit traditionellen Methoden
       Wüste in Wald. Thomas Sankara gründete in Ouagadougou auch die
       Kunsthandwerksmesse SIAO, um so die innerafrikanische Produktion zu
       fördern.
       
       Doch dann wurde er vor 31 Jahren am Rande einer Konferenz in einem kahlen
       grauen Flur im Zentrum der Hauptstadt erschossen. Ein Mord, mutmaßlich
       beauftragt von seinem Jugendfreund Blaise Compaoré. Der war anschließend 27
       Jahre lang Präsident – und konservierte mit Korruption und Verbrechen die
       Armut. Als ihr großer Bruder Thomas ermordet wurde, war Blandine noch ein
       Teenager, zweitjüngste von elf Geschwistern.
       
       Die heute 51-Jährige kann sich noch genau erinnern, wie sie damals von der
       Schule nach Hause kam. Und wie sie das Gefühl hatte, zwei nahe Verwandte
       zugleich verloren zu haben – denn auch Blaise ging bis dahin in ihrem
       Familienhaus ein und aus. Nach dem Attentat wurde Blandine ins Ausland
       geschickt, ähnlich wie andere Geschwister und Verwandte von Thomas Sankara.
       Man fürchtete um das Leben der Familienmitglieder, deren Autos angezündet
       wurden.
       
       ## Rückkehr nach Ouagadougou
       
       2008 kehrte Blandine Sankara zurück nach Ouagadougou. Sie hatte in der
       Zwischenzeit in Genf Soziologie studiert. Es war die Zeit der großen
       Hungersnöte. Familien starben, Leute plünderten Geschäfte und demolierten
       öffentliche Gebäude. Und viele stellten dieselbe Frage wie sie: Warum soll
       ein Land, in dem 90 Prozent der Bevölkerung Bauern sind, von
       Nahrungsimporten und der Ölindustrie abhängig sein?
       
       In der Schweiz hatte sie auch den Zusammenhang von afrikanischer Armut und
       westlicher Landwirtschaftssubvention studiert: „Ein Land kann sich nicht
       entwickeln, wenn sein Markt überschwemmt wird von billigen, schlechten
       Produkten aus dem Ausland.“ Und so begann sie, lokale Produkte aus Burkina
       Faso aufzuwerten, um die Burkiner dafür zu interessieren. Sie propagierte
       gleichzeitig Anbaumethoden, die die Umwelt schützen. „Wenn sich die Idee
       der Ernährungsautonomie durchsetzt“, so Sankara, „wird es in Burkina Faso
       keinen Hunger mehr geben.“
       
       Zunächst konnte sie 34 Frauen aus der dörflichen Nachbarschaft dafür
       gewinnen, die zwei Hektar große Farm Yelemani zu bewirtschaften. Sie bot
       auch Alphabetisierungs- und Fortbildungskurse an. Doch vielen dauerte es zu
       lange, bis hier mit natürlichem Kompost wieder etwas wuchs. Sie empfanden
       das als Zeitverschwendung. „Sie kauften sich lieber Kunstdünger aus der
       Tüte, viele kehrten zurück auf die eigenen Felder“, sagt sie.
       
       Sechs Frauen sind geblieben und arbeiten heute bei ihr. Guter Biokompost
       braucht 60 Tage, um zu einem solchen zu werden. Dafür ist man nun
       unabhängig von den Düngerpreisen. „Wir essen gesünder, und es ist gut für
       die Natur“, sagt auch Jeanne Talato Savadogo, die auf Yelemani ackert.
       
       ## Nachfrage nach Biogemüse wächst
       
       Bald soll auch ein Restaurant entstehen – Blandine Sankara sammelt auf
       Vortragsreisen in der Schweiz und Kanada noch Geld dafür. Auch der
       Wasserturm auf dem Gelände ist so finanziert worden. Anfangs sei sie noch
       selbst auf die burkinischen Märkte gefahren, um ihr Biogemüse zu
       verkaufen. Zur Erntezeit ist es rund zweimal teurer als das konventionelle,
       in der Dürrezeit aber genauso günstig. Heute hat sie einen großen Kreis von
       Abnehmern, lässt die Bestellungen ausliefern, ist über kleine Cafés oder
       lokale Biomärkte organisiert. Mittlerweile übersteige die Nachfrage das
       Angebot. Und Yelemani wächst.
       
       Blandine Sankara und ihre Mitarbeiter*innen gehen auch in die Schulen, um
       Kinder für biologische Anbaumethoden zu sensibilieren. Mit acht
       Grundschulen arbeiten sie enger zusammen, haben bunte Lerntafeln und Comics
       kreiert, erzählen von den besten Pflanzzeiten und traditionellen
       burkinischen Gemüsesorten. Der Yelemani-Newsletter verbreitet lokale
       Rezeptideen unter dem Titel „Jenseits von Tô“ (dem traditionellen
       Maisbrei). Etwa für Maniok-Kokos-Kuchen, Tamarindenkonfitüre oder
       Raupensamoussa.
       
       Die politischen Verhältnisse arbeiten für Blandines Ideen. 2014 fand in
       Burkina Faso erneut ein Wechsel statt. Die friedliche Bewegung junger
       Graswurzelaktivisten des „Bürgerbesens“ (Le Balai Citoyen) stürzte Blaise
       Compaoré. Eine neue, demokratisch gewählte Regierung übernahm den Vorsitz.
       
       Die Sicherheitslage in Burkina Faso gilt zwar weiterhin als diffizil, die
       Arbeitslosigkeit ist gestiegen, und Blaise Compaoré sitzt weiterhin ohne
       Prozess in der Elfenbeinküste, doch Thomas Sankara scheint in Burkina Faso
       heute so allgegenwärtig wie kaum zuvor. Seine Ideen scheinen das Land zu
       beflügeln, er war ein Held der afrikanischen Selbstermächtigung, ein
       schöner Mann, dessen Gesicht von T-Shirts und Mauern blickt, von dem Songs,
       Romane, Filme und Graffitis künden.
       
       ## Gratismedikamente und Hilfsprogramme
       
       Im November vermeldete die Messe für Kunsthandwerk SIAO in Ouagadougou
       Rekordbesucherzahlen. „Consommons burkinabé“ war ihr Leitspruch. Angeblich
       sollen auch die stillgelegten Baumwollfabriken des Landes wieder in Betrieb
       gehen. Und immerhin gibt es jetzt auch Gratismedikamente für Kinder und
       Hilfsprogramme für die Straßenkinder.
       
       Auch Blandine Sankara gehört zu Le Balai Citoyen und hat 2014 für den
       Wechsel gekämpft. Sie lebt allein im früheren Haus ihres großen Bruders im
       Stadtviertel Bilbalogo. Jährlich zum Todestag trifft sich hier die Familie
       zu Ingwerlimonade, Bissap und Maniokkuchen, um seiner zu gedenken. Blandine
       kämpft heute aber vor allem auch gegen Konzerne wie Monsanto und deren
       genmanipuliertes Saatgut.
       
       Sie organisiert Demonstrationen, hält Vorträge und reist dafür auch ins
       Ausland. „Wir können mit afrikanischen Traditionen sehr weit kommen – wenn
       wir sie nur wertschätzen und benutzen“, sagt sie, bevor sie lächelnd
       aufsteht und uns verabschiedet.
       
       23 Dec 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dorothea Marcus
       
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