# taz.de -- US-Autor Charles Willeford: Ohne ihn kein Pulp Fiction
       
       > Er suchte und fand den Wahnsinn in der Mitte der Gesellschaft: Der
       > US-Schriftsteller Charles Willeford wäre an diesem Mittwoch 100 geworden.
       
 (IMG) Bild: Kulisse der Kriminalromane rundum Hoke Moseley: Miami
       
       Man möchte nicht Hoke Moseley sein. Man möchte nicht mit 42 Jahren
       schütteres Haar, zehn Kilo Übergewicht und einen traurigen Ausdruck im
       zerfurchten Gesicht haben. Und auf gar keinen Fall möchte man jeden Abend
       sein Gebiss in Reinigungslösung einlegen und morgens als Erstes die
       blaugrauen Kunstzähne wieder einsetzen, damit man wenigstens nur so alt
       aussieht wie man tatsächlich ist.
       
       Aber Hoke Moseley, Kriminaler bei der Mordkommission im Miami Police
       Department, ist kein unglücklicher Mensch, nur einer mit konkreten
       Herausforderungen: Vorgesetzte, Geld, Wohnung, Ex-Frau, pubertierende
       Töchter, Sex – und nicht zuletzt natürlich die Welt da draußen, die
       US-amerikanische Wirklichkeit im Miami der mittleren 1980er Jahre.
       
       Um in dieser Welt klarzukommen, hat ihm sein Schöpfer, der heute vor
       hundert Jahren geborene und 1988 verstorbene Schriftsteller Charles
       Willeford, vor allem eines mit auf den Weg gegeben – eine Philosophie:
       „Wenn ein Mann eine professionelle Haltung zu seiner Arbeit entwickelt,
       wird er vermutlich Erfolg haben, wo andere versage“, bündelte Willeford
       seine Lebenserfahrung (heute, unter weitaus besseren gesellschaftlichen
       Bedingungen, könnte da auch „Frau“ stehen. In seiner Zeit und aus der
       Perspektive seiner Protagonisten war Willeford gnadenlos, also
       fortschrittlich, was das Geschlechterverhältnis angeht, mit Sätzen wie:
       „Davon abgesehen, dass sie für das Bedürfnis eines Mannes sorgen, haben
       Frauen nicht viel Freude im Leben.“
       
       Willefords Arbeits- und Lebenshaltung war vom Existenzialismus geprägt, als
       praktisch anwendbarer Philosophie für den modernen Städtebewohner. Deren
       Prämissen lauteten: Jeder Mensch ist einzig und allein selbst dafür
       verantwortlich, was er ist. Die eigenen Handlungen bestimmen die Identität.
       Wer diese Regeln störrisch ablehnt oder leichtsinnig missachtet, muss in
       der kapitalistischen Welt zwangsläufig scheitern; und zwar unabhängig
       davon, ob er ein mehr oder weniger rechtschaffener Polizist oder ein
       krimineller Soziopath ist. In Willefords Worten: „The business of America
       is business.“
       
       ## Erfolg erst kurz vor seinem Tod
       
       Der Schriftsteller Willeford selbst wurde allerdings erst vier Jahre vor
       seinem Tod „vom Erfolg heimgesucht“, wie es im Nachwort zu „Neue Hoffnung
       für die Toten“, dem zweiten Roman der vierteiligen Hoke-Moseley-Reihe,
       heißt; und als der Erfolg kam, „ergab er sich nicht ohne Gegenwehr“.
       „Erfolg“ im Willeford’schen Sinne bedeutet nämlich eben nicht Anpassung. In
       der Auseinandersetzung mit der Moderne, die ihr gottverlassenes Spiel mit
       einem treibt, gilt es, sich nicht unterkriegen zu lassen.
       
       Praktisch ist diese Philosophie, ist der ganze, von ihm selbst
       „Naturalismus“ genannte schriftstellerische Ansatz Willefords deswegen,
       weil er an exakt beschriebenen Alltagserfahrungen andockt – etwa der
       kurzzeitigen Verwirrung, in die Moseley im letzten Band der Reihe gestürzt
       wird, als sein Chef ihn befördert: „Der neue Chief hatte den Posten mit
       seinem eigenen Mann besetzen wollen, aber mit der Zeit würde er lernen, daß
       Hoke Moseley niemandem gehörte als sich selbst.“
       
       Alle, die in einer Hierarchie arbeiten – und wer täte das nicht? – wissen,
       dass Beförderungen nicht den Beförderten belohnen, sondern den Beförderer
       absichern sollen: Eben diesem Schicksal als bravem Exekutor der von oben
       herab delegierten Anweisungen gilt es im Arbeitsleben beständig sich zu
       entziehen – eben weil man niemand anderem gehört als sich selbst. Wer die
       Moseley-Romane liest, muss sich nicht für Krimis, für Miami, seine
       großartig analysierten Diversitäten oder den abgebrühten Humor Willefords
       interessieren (wobei sich einiges entgehen lässt, wer das nicht tut:
       „Niemand schreibt einen besseren Kriminalroman als Charles Willeford“,
       lautet das viel zitierte Urteil des erfolgreicheren Kollegen Elmore
       Leonard).
       
       Wollen wir also doch zumindest ein klein wenig wie Hoke Moseley sein?
       Stellen wir die Frage zurück. Bevor nämlich Willeford den Durchbruch
       schaffte, hatte er schon fast ein Dutzend Paperback-Romane veröffentlicht,
       über versoffene Maler, Gebrauchtwagenverkäufer, Hahnenkämpfer und
       hochstaplerische Pfarrer.
       
       ## Quer durch den Südwesten der USA getrampt
       
       Bevor er das tat, war er Soldat gewesen, auf den Philippinen und bei der
       Kavallerie, um es schließlich zum mehrfach ausgezeichneten
       Panzerkommandanten zu bringen. Über das Sterben und Töten im Kampf gegen
       Nazideutschland hat er außer einiger ultrabrutaler Skizzen unmittelbar nach
       Kriegsende nichts veröffentlicht. Andere, sagte er, hätten den Horror schon
       ausreichend beschrieben. Bevor er 1935 bei der Altersangabe schummelte – er
       war erst 16 –, um zur Army zu können, war er schon Vollwaise geworden,
       seine Eltern starben früh an Tuberkulose.
       
       Er wuchs bei seiner Großmutter in L. A. auf, bis die in der Großen
       Depression ihren Job verlor und sich nicht mehr um ihren Enkel kümmern
       konnte. Gerade mal dreizehn Jahre alt, schloss sich Willeford den Tausenden
       „Road Kids“ an, die im Südwesten der USA von einem Obdachlosencamp zum
       nächsten trampten. Davon erzählt der erste Teil seiner Biografie, „I was
       looking for a street“ („Ein Leben auf der Straße“) – eines der bewegendsten
       Bücher, die Sie da draußen antiquarisch erwerben können.
       
       Der zweite, unübersetzte Teil, „Something about a soldier“, ist nicht
       weniger großartig, hier erfahren Sie Dinge über Manila und über Pferde, von
       denen Sie möglicherweise nie gedacht hätten, dass Sie sie wissen wollen.
       Was ein Mensch alles mit Tieren tut, um als Mensch nicht zu scheitern,
       davon erzählt der Roman „Cockfighter“(1972), der [1][1974 wunderschön und
       total erfolglos von Monte Hellmann] mit Waren Oates und Harry Dean Stanton
       verfilmt wurde und als „Hahnenkampf“ 1990 bei Ullstein auf Deutsch
       erschien.
       
       Der Schriftsteller Sven Heuchert, der vergangenes Jahr mit seinem
       Debütroman „Dunkels Gesetz“ dem deutschen Krimi wieder Stil und Wahnsinn
       geschenkt hat, erzählt auf Anfrage, was ihn an „Hahnenkampf“ fasziniert:
       „Willefords vorzüglicher Roman ‚Cockfighter‘ ist vielleicht der beste
       Beweis, dass eine gute Geschichte nicht unbedingt auch einen sympathischen
       Protagonisten benötigt.
       
       ## Kein Raum für Small Talk oder Befindlichkeiten
       
       Frank Mansfield, der von Willeford erschaffene Charakter, ist ein Archetyp
       – ein von seiner Leidenschaft Getriebener, ein obsessiver Einzelgänger, der
       alles seinem persönlichen Ziel unterordnet, den ,Cockfighter of the Year
       Award' zu gewinnen. Bis dahin legt er ein Schweigegelübde ab. Das Schweigen
       macht durchaus Sinn. Die archaische Welt, die Willeford porträtiert, ist
       von ritualisierter Gewalt geprägt, aber auch von tiefer Hingabe – da bleibt
       kein Raum für Small Talk oder Befindlichkeiten.
       
       Willeford gelingt das Kunststück, diesen grausamen und selbstsüchtigen Mann
       seine Geschichte erzählen zu lassen, ohne den Leser mit dem erhobenen
       Zeigefinger belehren zu wollen. Was dieses Buch zu einem Meisterwerk macht,
       ist die Ambivalenz, das Oszillierende, Uneindeutige von Willefords Prosa,
       die sich nie bekennt und nie urteilt, sondern immer der eigenen Kraft
       vertraut. Autoren, die ihre Figuren erklären oder zwischen den Zeilen mit
       ihrer Agenda auftauchen, sind mir zutiefst suspekt, weil sie weder an die
       Schlüssigkeit des eigenen Schaffens noch an die Mündigkeit des Publikums
       glauben.“
       
       So weit – und nun, zum Schluss, schnell wieder zurück: zu Hoke Moseley. In
       dieser Figur hat Willeford die Summe seiner Existenz gezogen, vom
       dreizehnjährigen Herumtreiber bis zum Professor für Englische Literatur und
       Philosophie in Miami – den Beruf hatten wir vorher vergessen. Der Titel von
       Willefords Masterarbeit lautet: „New Forms of Ugly: The Immobilized Hero in
       Modern Fiction“.
       
       Detective Moseley ist das Auslaufmodell einer globalen Reihe von Männern,
       die sich selbst als Über-Ich eingesetzt haben, weil es – von der Army
       abgesehen, die nicht nach kapitalistischen Regeln funktioniert – keine
       gesellschaftliche Institution gibt, die irgendwie Anspruch erheben könnte,
       moralische Normen setzen zu können. Diese gelähmten, gefährlichen,
       grausamen Männer hat Willeford als die normalen Männer gezeichnet und dafür
       mit Jahrzehnten der Missachtung als Schriftsteller bezahlt – bis die Zeit
       dann reif war und [2][Quentin Tarantino ihn zu seinem Vorbild erhob].
       Moseley ist einer der stärksten und witzigsten Kompromisse der
       Weltliteratur, ein Asozialer, der sich dazu durchringt, die Welt besser zu
       machen, weil es zumindest nicht schaden kann. Sein Schöpfer, Charles Ray
       Willeford, liegt in Arlington begraben, auf einem Heldenfriedhof.
       
       2 Jan 2019
       
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