# taz.de -- Horrorklassiker „Suspiria“ neu verfilmt: Mit Schuld und Scham
       
       > Luca Guadagnino macht den Kultfilm „Suspiria“ zur feministischen Orgie.
       > Er hat ein Meisterwerk geschaffen, das die menschliche Natur seziert.
       
 (IMG) Bild: Die Tanzakademie bietet einen Kosmos weiblicher Liebe und Solidarität
       
       Berlin, 1977: Die schüchterne Susie Bannion [1][(Dakota Johnson),] reist
       aus ihrer Kleinstadt in Ohio nach Berlin, um sich bei der renommierten
       Tanzschule Madame Blancs (Tilda Swinton als [2][Pina-Bausch-Lookalike]) zu
       bewerben. Schnell wird Suzie klar, dass es sich um keine gewöhnliche
       Tanzschule handelt.
       
       So viel zu den Ähnlichkeiten mit Dario Argentos „Suspiria“, dem
       Horrorklassiker aus dem Jahr 1977. In Wirklichkeit ist Luca Guadagninos
       Remake jedoch [3][nicht bloß eine Hommage an Argentos Film,] sondern geht
       deutlich darüber hinaus: Er verhält sich wie ein Metafilm zu seinem
       Vorbild.
       
       Der Hauptaspekt des Films ist – ganz anders als bei Argento – die
       Komplexität der weiblichen Natur. [4][Alle einer Frau von der Gesellschaft
       aufgezwungenen Lebensabschnitte] werden von Luca Guadagnino seziert,
       zerstört und schließlich neu definiert. Eine Frau ist mehr als eine
       unschuldige Tochter, eine naiv-sexuelle junge Frau oder eine barmherzige
       Mutter. Guadagnino geht sogar so weit, dass er die Charakteristika dieser
       Rollenbilder vermischt und den gegensätzlichen Altersgruppen zuweist.
       
       Wir sehen Suzie als Mädchen masturbieren, [5][sehen junge Tanzschülerinnen,
       die reifer und weiser wirken] als ihre Lehrerinnen, die ihre
       hedonistischen Züge frei ausleben, oder sehen Mütter, die ihre Kinder
       verachten. Männer existieren nur außerhalb der Gemäuer, sie sind Objekte
       absichtlicher Belustigung, letztlich irrelevant. Die einzig männliche
       Figur, der Psychoanalytiker Klemperer, wurde von Tilda Swinton mit Make-up
       gespielt.
       
       ## Die Mutigen und Ehrlichen
       
       Generell ist außer der Prämisse nichts aus Argentos Version
       wiederzuerkennen. Die Farben wirken im Vergleich zum Neon des Vorgängers
       trist bis bieder und die Figuren haben eine melancholische Tiefe, während
       die Frauen im Original fast kindlich wirkten (eine Anekdote besagt, dass
       Argento „Suspiria“ ursprünglich mit Kinderdarstellern drehen wollte).
       
       Auch die historischen Elemente – von vielen als überflüssig und verwirrend
       bezeichnet – sind richtig am Platz. Das Nazi-Regime, die politischen
       Unruhen des Deutschen Herbsts und der Hexenzirkel in der Ballettschule
       haben viele Gemeinsamkeiten: In allen Situationen geht es um Machtspiele
       und Minderheiten, die diesen ausgesetzt sind.
       
       Die Mutigen und Ehrlichen werden als Erstes zum Opfer, und wer sich
       widersetzt, an dem wird ein Exempel statuiert. Nur in der Gruppe, im
       Geheimen kann man sich sicher fühlen. Die Tanzakademie bietet einen Kosmos
       weiblicher Liebe und Solidarität, doch gleichzeitig wird sie zum Schauplatz
       absoluten Betrugs und gegenseitiger Zerstörung.
       
       So gelingt es Guadagnino erneut, Psychogramme des Alltags mit der Politik
       und ihrer medialen Inszenierung zu kontrastieren. [6][So wie sich bei „A
       Bigger Splash“ (2015) die europäische Flüchtlingspolitik] dezent und
       grausam im Hintergrund abspielt, während sich die Boheme in ihren Villen
       erbittert bekämpft, so ist auch bei „Suspiria“ die RAF im Radio zu hören,
       während die Tanzschule intern ihre eigenen Kämpfe austrägt.
       
       ## Perfide Gewaltszenen
       
       Gegen die perfiden Gewaltszenen allerdings wirkt die „große“ Politik
       draußen wie eine Schlacht von Jungs im Sandkasten. „Wir brauchen Schuld und
       Scham, aber nicht deine“, sagt Suzie am Ende des Films zum gebrochenen Mann
       Klemperer.
       
       Guadagnino hat mit seinem „Suspiria“ ein komplexes Meisterwerk geschaffen,
       das der menschlichen, vor allem der weiblichen Natur auf den Grund geht.
       Wer einen nach den [7][Regeln des Genres spielenden Horrorfilm] erwartet,
       ist hier fehl am Platz. Es geht vielmehr um den ganz realen Horror, der
       einen im Alltäglichen anspringt. Guadagnino hat Argentos Werk komplett
       zerstört, um etwas Neues, etwas Besseres zu erschaffen.
       
       15 Nov 2018
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Johannes Bluth
       
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