# taz.de -- Festivalempfehlung für Berlin: Geschlecht und Maschine
       
       > Das interdisziplinäre DICE-Festival rückt Frauen, nicht-binäre und trans
       > Künstler*innen in den Fokus. An verschiedensten Orten in Neukölln.
       
 (IMG) Bild: Born in Flamez ist nach einem feministischen Science-Fiction-Film benannt
       
       In ihrem „Cyborg-Manifesto“ aus dem Jahr 1985 sprach sich die feministische
       Autorin Donna Haraway dafür aus, Grenzen zu überwinden – seien es die
       zwischen Mensch und Maschine oder zwischen den Geschlechtern. Und man kommt
       schwer umhin, an Haraways Überlegungen zum Revolutionspotential von Cyborgs
       zu denken, wenn man die Musik von [1][Born in Flamez] hört.
       
       Denn das Projekt, das sich nach einem feministischen Science-Fiction-Film
       benannt hat, entzieht sich Genre- und Gendernormen – und sogar der
       Zuordnung zur menschlichen Spezies: „Ich bin eine Person, aber das Projekt
       ist transhuman, denn es entsteht ebenso aus der Arbeit des Computers wie
       aus meinen Körper“, schreibt uns Born in Flamez in einem Interview per
       Mail. „Elektronische Musik beinhaltet immer einen Austausch von Mensch und
       Maschine.“
       
       Born in Flamez eröffnete schon Shows für Stars der experimentellen
       Elektronik wie Daniel Lopatin alias Oneohtrix Point Never, wurde von
       Performance-Heldin Peaches als „King“ bezeichnet – und ist eine*r der Gäste
       beim [2][DICE Festival], das in diesem Jahr zum ersten Mal stattfindet.
       
       Wenn nun dieses internationale, interdisziplinäre Fest an drei Tagen
       Frauen, non-binäre und trans Künstler*innen in den Mittelpunkt rückt, ist
       das nicht nur eine politische, sondern auch eine ganz praktische
       Entscheidung: Wo schließlich können weibliche Kunstschaffende und
       Musiker*innen, die sich nicht im binären Geschlechtersystem verorten,
       einfach experimentieren – ohne am Plattendeck und überhaupt die Abweichung
       von der männlichen, weißen Norm zu sein?
       
       In Neuköllner Locations wie dem historischen Böhmischen Kirchensaal oder
       dem Club [3][Arkaoda] werden neben Konzerte und Partys auch Workshops,
       Panels und Vorträge stattfinden, die sich mit Themen wie Widerstand in der
       Türkei und mentaler Gesundheit befassen. Oder den Umgang mit modularen
       Synthesizern lehren.
       
       Die Musikmanagerin Caoimhe McAlister hat das Festival gemeinsam mit
       Danielle Kourtesis und Bade Kaya gegründet und kuratiert, viele weitere
       Unterstützer*innen komplettieren das Team. Schon im Namen des Festivals
       drückt sich die Ablehnung alles Starren und Unveränderlichen aus.
       
       „Der Namen DICE kann auf unterschiedliche Weise gelesen werden. Für uns
       steht der Name für all die Dinge, die sich unserer Kontrolle entziehen und
       unser Leben beeinflussen, ebenso für die zufälligen Begegnungen und
       Erfahrungen, die uns formen“, sagt McAlister. „Aber man kann das Ganze auch
       proaktiver interpretieren: Als Symbol dafür, Chancen wahrzunehmen, es
       darauf ankommen zu lassen, das Beste aus den Karten zu machen, die du in
       diesem Spiel bekommen hast.“
       
       Unter den Performenden sind die Spoken-Words-Künstlerin [4][Moor Mother],
       die auch beim parallel stattfindenden Jazzfest auftritt; interdisziplinär
       agierende Musiker*innen wie das Duo FAKA aus Südafrika, die griechische
       Pianistin und Elektronikpionierin Lena Platonos sowie die britische
       Künstlerin Planningtorock – und eben Born in Flamez.
       
       In den Tracks der im Sommer erschienenen EP „Impossible Love“ dekonstruiert
       Born in Flamez verschiedenste Spielarten der elektronischen Musik von
       Techno bis Grime und fügt sie neu zusammen: zu einem perkussiven, manchmal
       sperrigen, immer hochspannenden Sound, der nicht von dieser Welt zu sein
       scheint, doch schließlich durch den Einsatz der menschlichen Stimme zu
       größter Intensität findet.
       
       Jene Utopie der Entgrenzung, die Donna Haraway in ihrem „Cyborg-Manifesto“
       entwarf, scheint Born in Flamez – eine Bühnenpersona frei von Alter,
       Herkunft und Geschlecht – längst zu verkörpern. „Ich finde nicht, dass eine
       Spezies irgend eine andere übertrumpfen sollte. Aber ich glaube, in
       gewisser Weise sind die meisten von uns längst transhuman. Schließlich sind
       die verschiedensten Arten von Prothesen bereits Teile unseres Körpers und
       Alltags, zum Beispiel Kontaktlinsen, Schrittmacher, Gehhilfen und so
       weiter“, sagt Born in Flamez.
       
       Schon immer hätten wir in komplexen Abhängigkeitsverhältnissen zu unseren
       Werkzeugen gelebt. Künstler*innen wie Born in Flamez zeigen, dass es nicht
       nur Spaß macht, über die Auflösung von Geschlechtern, Rollen und
       Vorstellungen nachzudenken – sondern auch, dass es gar nicht so schwer ist.
       
       Das Thema Identität, findet Born in Flamez, werde in unserer Zeit zugleich
       viel zu ernst und nicht ernst genug genommen. Einerseits beschleunige die
       Fixierung auf Identität den Kapitalismus, fördere somit den Ausverkauf des
       einzelnen Selbst; „andererseits kämpfen so viele von uns dafür, ernst
       genommen zu werden.
       
       Wir werden nicht als die Individuen anerkannt, die wir sind oder sogar
       dafür schikaniert“, sagt Born in Flamez. Solange Menschen dafür umgebracht
       werden, Geschlechtsidentitäten zu haben, die nicht der Norm entsprechen,
       sei Identitätspolitik extrem wichtig. „Wenn ich mir eine ideale
       Post-Gender-Welt vorstelle, gäbe es einerseits eine Million Geschlechter,
       und gleichzeitig müssten wir nie wieder irgendwo ein Kreuzchen setzen.
       Niemand würde aufgrund seiner Gender-Identität beurteilt werden.“
       
       Vom DICE-Festival verspricht sich Born in Flamez spannende Tage. „Berlin
       ist sehr gut darin, utopische Räume zu erschaffen. Ich glaube, dass dieses
       Festival einen Raum für die verschiedensten queeren Menschen bieten wird“,
       schreibt Born in Flamez. „Das Line-Up sieht aus, als könnte es die
       Grundlage für einen interessanten Dialog darüber sein, wie wir eine weniger
       deprimierende Zukunft gestalten können.“ Und das ist bekanntermaßen
       dringend nötig.
       
       Dieser Text erscheint im taz.plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg
       immer Donnerstags in der Printausgabe der taz
       
       31 Oct 2018
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Julia Lorenz
       
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