# taz.de -- Politologin über Populismus: „Wahres Volk gegen angebliche Elite“
> Mit dem politischen Populismus in Zeiten der sozialen Medien beschäftigt
> sich jetzt eine Vorlesungsreihe in Kiel. Ein Gespräch mit der
> Organisatorin Esther Ademmer.
(IMG) Bild: Gegen die Kanzlerin, gegen offene Grenzen – oder gleich gegen das demokratische System? „Merkel muss weg!“-Demo in Hamburg, März 2018
taz: Frau Ademmer, Populismus – ist das nicht zuallererst ein Kampfbegriff?
Populist ist doch immer der andere, während man selbst, tja, der bessere
Demokrat ist? Der einzig wahre? Anders gefragt: Wie definiert eine
Politikwissenschaftlerin Populismus?
Esther Ademmer: Die Politikwissenschaft bemüht sich um einen konkreten
Populismus-Begriff. Der ist natürlich in der Literatur natürlich nicht
unumstritten.
Was zeichnet den denn aus?
Eine gängige Definition sieht als Wesensmerkmal des Populismus – ohne
spezifischen Fokus auf Rechts- oder Linkspopulismus – die künstliche
Abgrenzung: die eines sogenannten „wahren Volks“ von einer irgendwie
gearteten „Elite“. Dahinter steht die Idee eines homogenen Volkskörpers,
der auch ein homogenes Interesse vertritt. Populisten beanspruchen fürs
sich dieses Interesse als einzige zu vertreten. Und als Konfliktpartei, auf
der anderen Seite, steht eine ebenfalls relativ homogene Elite. Populismus
ist daher das Gegenteil von Pluralismus im Sinne von Meinungsvielfalt und
Heterogenität. Populismus grenzt sich damit auch ab vom Elitismus, der die
Idee vertritt, dass es eine Elite geben kann, die bessere Entscheidungen
trifft als so eine plurale Gesellschaft.
Wollte man sehr wohlwollend sprechen: Ist Populismus nicht einfach das
Absolutsetzen des Mehrheitsprinzips – das ja zentral ist für Demokratien?
Zentrales Prinzip einer demokratischen Gesellschaft ist nicht nur das
Mehrheitsprinzip, sondern es gibt auch die Idee grundlegender Rechte, etwa
für Minderheiten. Ein grenzenloses Mehrheitsprinzip kann es also nicht
geben in einem modernen demokratisch verfassten Staat, wie wir ihn kennen.
Diese Sichtweise ist, wie gesagt, umstritten. Gerade gab es eine [1][neue
Studie im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung], die mit einem ähnlichen
Begriff von Populismus operiert. Auch der ist kritisiert worden, etwa, dass
er nicht beinhalte, welche Einstellung Menschen zum Thema Migration haben.
Einem [2][Interview mit einem Ihrer IfW-Kollegen, Christoph Trebesch],
entnahm ich, dass Wirtschaftskrisen zuverlässig gesellschaftliche
Polarisierung zur Folge haben, gerade auch der Parteienlandschaft. Und
davon profitieren dann insbesondere rechtspopulistisch zu nennende Kräfte.
Wie erklärt sich das?
Wir haben unter anderem Manuel Funke im Programm, der mit Christoph
Trebesch zusammenarbeitet. Er wird über „Populists in Power“ sprechen,
populistische Regierungen also, und zu solchen Fragen sicher Erhellendes
sagen können.
Anmoderiert wird Ihre Veranstaltungsreihe unter Hinweis darauf, da sei
etwas auf dem Vormarsch, weltweit. Wenn es nicht wirtschaftlich grundierte
Verunsicherung ist: Welche anderen Themen, welche anderen Faktoren
begünstigen populistisches Denken und Reden?
Um diese Fragen wird es in dieser Veranstaltung gehen. Es gibt verschiedene
Erklärungsangebote, darunter eines, das eher auf solche wirtschaftlichen
Zusammenhänge setzt; ein anderes läuft eher über eine Art kultureller
Ablehnung; ein drittes versucht die Interaktion zwischen diesen beiden
herauszustellen. Was unsere Reihe gerne leisten würde, ist das Aufsplitten
entsprechend den verschiedenen Phänomenen. Also nicht von einem einzelnen,
großen Phänomen auszugehen, sondern eben die verschiedenen Teilaspekte, in
denen sich das Phänomen manifestiert, in den Blick zu nehmen.
Welche sind das?
Etwa das Wahlverhalten beim Brexit, die Ablehnung von Migration, der
Aufstieg populistischer Parteien. Für jedes davon gibt es Erklärungen, mal
mehr von der einen, mal mehr von der anderen Warte. In der Literatur gibt
es beispielsweise die Stimmen, die sagen: Mit einem individuellen
wirtschaftlichen Betroffensein lässt sich nur bedingt erklären, warum
Menschen Migration ablehnen.
Sondern?
Das hat oft zu tun mit neuen – oder auch mal gar nicht so neuen –
Werteorientierungen, bei denen sich Kosmopoliten und Kommunitaristen
gegenüberstehen. Ein interessantes Erklärungsangebot für das Aufkeimen des
Populismus besagt dagegen, dass Globalisierung und ihre ökonomischen Folgen
politische Gegenreaktionen provozieren. Ob die dann ins rechts- oder
linkspopulistische driften – ob also eher eine ökonomische Elite das
Feindbild stiftet oder Immigranten –, das hängt davon ab, welcher
Globalisierungsschock wie klar sichtbar ist in einer Gesellschaft. Das war
zu Beginn der Krise in Griechenland beispielsweise, wo das Ökonomische sehr
deutlich in Erscheinung tritt, anders als momentan in Deutschland, wo die
ökonomische Dimension ja sehr viel weniger stark wirkt. Über Fragen zu
Einstellungen zu Migration wird Alexander Schmidt-Catran sprechen, über den
Brexit Thiemo Fetzer von der Universität Warwick. Der thematisiert dabei
sicher auch, welche Rolle Immigration und die Austeritätspolitik beim
Brexit gespielt haben.
Man möchte sich ja gar nicht ausmalen, was hierzulande los wäre, wären die
ökonomischen Kennziffern wirklich schlecht – und nicht vor allem gefühlt.
Wie gesagt, persönliche Deprivation erklärt nur bedingt, warum Menschen
feindlich eingestellt sind gegenüber Migrant*innen. Es hilft, scheint mir,
diese Dinge möglichst auseinander zu halten. Ist es nun Ablehnung von
Migration, die die Menschen in die Arme populistischer Parteien treibt?
Oder eine Ablehnung des politischen Systems? Das sind alles Debatten, die
bei uns eine Rolle spielen werden.
5 Oct 2018
## LINKS
(DIR) [1] https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/aktuelle-meldungen/2018/oktober/deutschlands-mitte-wird-populistischer/
(DIR) [2] https://kurier.at/wirtschaft/warum-von-finanzkrisen-immer-rechtspopulisten-profitieren/400118630
## AUTOREN
(DIR) Alexander Diehl
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