# taz.de -- Neuer Verein für Selbsthilfe: Superarm und super drauf
       
       > KundInnen der Berliner Tafel in Neukölln haben den Verein „Die
       > Superarmen“ gegründet und helfen denen, die noch weniger haben. Jetzt
       > suchen sie einen Raum.
       
 (IMG) Bild: Vier der „Superarmen“: Eva-Maria Koppien, stellvertretende Schatzmeistern, Christa Vieten, Vereinsvorsitzende (vorne, von links). Herbert O. Ganswirth, Öffentlichkeitsarbeit, Wolfgang Retzlaff, stellvertretender Vorsitzender (hinten, von links)
       
       Berlin taz | Zehn Hackenporsche parken im Hof hinter dem Gemeindezentrum
       der Neuköllner Magdalenenkirche. Die EigentümerInnen sitzen ringsum auf
       weißen Plastikstühlen, einige auch auf dem Sitz ihres Rollators. Manche
       rauchen und quatschen, einer strickt, andere starren Löcher in die Luft.
       Eine Frau im roten Kittel verteilt Apfelschorle in Plastikflaschen. „Du
       bist die Beste!“, bedankt sich Christa Vieten.
       
       Die 70-Jährige residiert mit einem kleinen Trupp am Rande des Hofs unter
       einem Gartenpavillon. Jemand hat Geburtstag und hat Käsekuchen mitgebracht,
       die Sonne scheint, es wird gescherzt. Das sind sie, die „Superarmen“ – und
       wie jeden Donnerstag treffen sie sich bei der Essensausgabe von „Laib &
       Seele“ der Berliner Tafel.
       
       2015 fing alles an, erzählt Vieten, die Vereinsvorsitzende. „Da haben wir
       als kleines Dankeschön für die Tafelmitarbeiter Osterkörbchen gebastelt.
       Die haben sich gefreut!“ Die Rentnerin schüttelt so begeistert den Kopf,
       dass die Silber-Ohrringe fliegen. Ermutigt von diesem Erfolg stellten ein
       paar Tafel-KundInnen ein Sommerfest auf die Beine. 2017 wollten sie dann
       das Katzenhaus in Lichtenrade unterstützen, in dem eine Kundin ehrenamtlich
       tätig ist, und organisierten einen Stand beim Straßenfest am Richardplatz
       mit Grill, Tombola, Trödel und Live-Musik.
       
       „1.000 Euro haben wir eingenommen, aber wir hatten über 900 Euro Kosten.“
       Wieder fliegen die Ohrringe, diesmal aus Empörung. „Ob wir denn kein Verein
       wären, haben sie beim Ordnungsamt gefragt, dann wäre die Standmiete viel
       niedriger.“ Die Idee war geboren und im Januar gründeten sieben
       Tafel-KundInnen die „Superarmen“.
       
       ## Resoluter Einsatz für noch Ärmere
       
       Inzwischen sind sie zu zehnt, 20 dürften es ruhig werden, so Vieten – gern
       gesehen wären auch Jüngere und Menschen mit anderen Sprachkenntnissen. Ziel
       des Vereins: gegenseitige Hilfe, etwa beim Ausfüllen von Anträgen für
       Rente, Grundsicherung oder Wohngeld. „Unser Herbert hat auch eine Dame
       versorgt, eingekauft und sie zum Arzt begleitet. Aber sie ist grade
       verstorben.“
       
       Vieten selbst kümmert sich um eine Frau, die von ihrem Pflegedienst
       schlecht betreut werde und einen Rechtspfleger habe, der ihr die Katzen
       verboten habe. „Wir gehen jetzt mit ihr zum Amtsgericht, wollen ihre Pflege
       übernehmen.“ Das traut man der energischen Frau durchaus zu, obwohl sie
       selbst auf einen Rollator angewiesen ist für längere Strecken.
       
       Die hat sie in letzter Zeit öfter zurückgelegt, vor allem für den größten
       Traum der „Superarmen“: ein eigener Raum als Treffpunkt zum „Quatschen und
       Spielen“, mit Beratungsstunden für Hilfesuchende. „Es soll auch ein Platz
       sein, wo Leute für kleines Geld ihren Geburtstag feiern können“, erklärt
       Vieten. Mit der Raummiete, so hofft sie, könnten sie dann vielleicht sogar
       die Miete tragen.
       
       ## „Wir sind arm, aber super dran, weil wir Freunde haben“
       
       Um Startkapital zu sammeln, machen die „Superarmen“ jetzt jeden Sonntag
       einen Flohmarktstand beim Hansamarkt in Weißensee. Die Verkaufsobjekte
       sammeln sie bei Wohnungsentrümpelungen, allein dafür ist Vieten viel
       unterwegs. Das Traumhäuschen hat sie auch schon gefunden, ein verwunschenes
       Gartengrundstück mitten im Kiez. Selbstredend hat sie schnell
       herausgefunden, wem es gehört, und einen „lieben Brief“ an den Besitzer
       geschrieben. Leider habe er noch nicht geantwortet.
       
       Dennoch: Allein das Aktivsein wirkt. „Ich bin so happy, dass ich gebraucht
       werde“, sagt Vieten. „Das hält jung und fit.“ So erklärt sie auch den Namen
       des Vereins: „Wir sind zwar arm, aber super dran, weil wir Freunde haben.“
       
       Vereinskollege Wolfgang Retzlaff stimmt zu. Der Grafiker, der 20 Jahre lang
       eine Country-Zeitschrift herausbrachte und damit nicht schlecht verdiente,
       wie er sagt, gestaltet das Vereinsheft Neukölln Cool mit Berichten über den
       Verein, den Kiez und Anzeigen der lokalen Geschäfte. Und das, obwohl er
       beinahe blind ist. „Wenn ich das nicht mehr machen kann, möchte ich nicht
       mehr leben“, sagt der 66-Jährige. 250 Euro Rente plus Grundsicherung
       bekomme er. „Wenn ich das hier nicht hätte“, er zeigt auf die Ausgabestelle
       der Tafel, „dazu die Suppenküche jeden Tag, wäre das Leben echt beschissen.
       Hätte nie gedacht, dass es so weit kommt. Ich habe immer geschuftet!“
       
       ## 50 Jahre Arbeit und dann?
       
       Vieten nickt. 50 Jahre hat sie gearbeitet, „viel in Teilzeit wegen der
       Kinder“; mit 14 eine Lehre als Hauswirtschafterin, dann lange Köchin in
       einer Kita, zuletzt Pförtnerin in der Senatsverwaltung für Bildung. Nicht
       mal 1.000 Euro Rente habe sie nun, die Hälfte gehe für die Miete drauf. Arm
       fühlt sie sich trotzdem nicht, „ich kann gut mit Geld umgehen“. Und sparsam
       kochen, auch dank der Zutaten von der Tafel. „Das reicht fast für die ganze
       Woche.“
       
       Nur selten, so Vieten, gebe es hier zu wenig Essen, meistens sei genug da
       für die rund 80 KundInnen. „Das war früher manchmal anders“, erinnert sie
       sich – seit 6 Jahren kommt sie her. Stundenlang hätten die Leute in der
       Schlange gestanden, noch dazu auf der Karl-Marx-Straße in aller
       Öffentlichkeit. Heute gibt es die Stühle im Hinterhof, von den Superarmen
       besorgt. Jeder zahlt 1 Euro und kriegt eine Nummer, die aufgerufen wird.
       „Darum müsste eigentlich auch keiner mehr so zeitig kommen.“ Vieten zeigt
       auf die Uhr, es ist 12, die Essensausgabe beginnt nicht vor 2.
       
       Warum es trotzdem schon so belebt im Hof ist? „Viele Arme sind doch eher
       einsam. Und wir sind ja eine gute Gemeinschaft.“
       
       5 Oct 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Susanne Memarnia
       
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