# taz.de -- Lidokino 6 – Präzise Beobachtungen: Die Wut aufgreifen
       
       > Das Venedig-Filmfestival zeigt die Ferrante-Saga als Serie, einen Western
       > mit Potenzial und eine Dokumentation über rassistische Morde in den USA.
       
 (IMG) Bild: Der Regisseur Roberto Minervini (2. von links) erzählt von rassistischen Verbrechen in Louisiana
       
       Serien sind das neue Romanformat. War man früher von einem fesselnden Buch
       nicht mehr wegzubekommen, ist es heute der Bildschirm, an dem man Folge für
       Folge in sich hineinschauen kann. Was aber erfreulicherweise keine
       Einbahnstraße ist. Gelesen wird schließlich immer noch. Und Bücher werden
       schon mal als Vorlage für Serien genommen. Wie „L’amica geniale“ [1][nach
       der Erfolgstetralogie von Elena Ferrante.] In Venedig durfte man die ersten
       beiden Folgen der von HBO und Rai produzierten Serie schon mal anschauen.
       
       Vorab gab es jedoch die Sorge, ob der kunstvoll beiläufige, zugleich
       präzise beobachtende Stil Ferrantes ohne substanzgefährdende Verluste in
       Bilder eines Serienformats übersetzt werden kann. Und selbstverständlich
       ist die Serie nicht das Buch – dann bräuchte man sie ja nicht.
       
       [2][Der Regisseur Saverio Costanzo] hat mit den beiden Hauptdarstellerinnen
       für die Kindheit der beiden Protagonistinnen, Elisa Del Genio als die
       erzählende Elena und Ludovica Nasti als ihre Klassenkameradin Lila, zwei
       großartige Schauspielerinnen gefunden, die die Gegensätzlichkeit dieser
       zwei Freundinnen so einfach wie perfekt verkörpern. Hier die blasse,
       still-schüchterne Elena, da die dunkle, schlagfertige Lila mit einem kaum
       altersgemäßen abgebrühten Lächeln.
       
       Auch die anderen Rollen wie die der Lehrerin von Elena und Lila oder des
       gefürchteten Nachbarn Don Achille können mit markig gewählten Typen
       überzeugen. Für die Dreharbeiten wurde fast ein komplettes Viertel
       aufgebaut, um das Neapel der fünfziger Jahre zu rekonstruieren. Die Musik
       von Max Richter gibt unaufdringlich effektiv gesetzte Stimmungen dazu. Am
       liebsten würde man gleich weitergucken.
       
       ## Brutale Morde an Afroamerikanern
       
       Dafür gibt es dann immerhin Alternativen. Wie den zwischen albern und
       hartgesotten tastenden Western „The Sisters Brothers“ des französischen
       Regisseurs Jacques Audiard. John C. Reilly und Joaquin Phoenix spielen die
       Brüder Eli und Charles Sisters, die als Killer im Westen der USA einen
       Goldsucher erledigen sollen. Audiard jongliert dabei auf komische Art mit
       dem Genre, erzählt gegen den Großteil der Erwartungen und bietet [3][den
       Coen-Brüdern mit ihrer „Ballad of Buster Scruggs“] ernstzunehmende
       Konkurrenz, vor allem, weil er selbst die zynischen Ansätze der Handlung
       klug unterläuft.
       
       Noch ein Film, der von einem Europäer in den USA gedreht wurde, ist der
       Dokumentarfilm „What You Gonna Do When the World’s On Fire?“ [4][von
       Roberto Minervini.] In Schwarz-Weiß-Bildern erzählt er von rassistischen
       Verbrechen in Louisiana, die dort im Juli 2017 begangen wurden, brutale
       Morde an Afroamerikanern. Sein Film setzt nach den Verbrechen ein,
       porträtiert Angehörige im Alltag und Aktivisten der New Black Panther Party
       bei ihren Versuchen, auf eigene Faust unter Anwohnern der Opfer zu
       ermitteln oder die Unterstützung der Regierung bei der Aufklärung der
       Verbrechen zu erhalten. Wobei die neuen Black Panther recht ambivalent in
       Erscheinung treten.
       
       Minervini arrangiert seine Bilder wie in einem Spielfilm, kontrastreich
       ausgeleuchtet, behutsam arrangiert, sodass man den Eindruck hat, er wolle
       weniger selbst agitieren als die Würde seiner Protagonisten herausstellen.
       Das mag ein wenig von der Wut, die der Film aufgreift, abschwächen. Als
       Hinwendung zu den Opfern kann man den Ansatz allemal gutheißen. Und zu
       sehen, wie die bei der Premiere anwesende Laiendarstellerin Judy Hill von
       der Vorführung und dem Applaus zu Tränen gerührt war, war bewegend.
       
       3 Sep 2018
       
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