# taz.de -- Ebony Bones über Feminismus: „Stimmen, die wir nicht hören wollen“
       
       > Ein Gespräch mit der britischen Musikerin Ebony Bones über subtile Formen
       > der Zensur, ihre Punksozialisation und Frauen im Produzentensessel.
       
 (IMG) Bild: „Frauen müssen die Kontrolle über den Sound erlangen“, sagt Ebony Bones
       
       taz am wochenende: Ebony Bones, bei Ihrer letzten Veröffentlichung haben
       Sie die Ursprünge von moderner Dance Music im Diskosound der Siebziger
       erforscht. Auf Ihrem neuen Album gibt es nun viele Elemente von Clubmusik
       wie House, Dubstep, und Footwork, aber kombiniert mit klassischer Musik.
       Haben Sie Ihren Ansatz weitergedacht? 
       
       Ebony Bones: Ich möchte mich immer wieder herausfordern und nie zwei Mal
       das gleiche machen. Insofern ist das Album eher eine Abkehr von der EP. Ich
       versuche klassische Musik anders zu denken, als man sie kennt. Auf meinem
       Album sind elektronische Beats über einem Orchester platziert, ich bringe
       klassische Musik in die Clubs. Ich finde, diese Gegenüberstellung ist etwas
       Einzigartiges.
       
       Dazu haben Sie mit zwei großen Orchestern zusammen gearbeitet: dem Beijing
       Philharmonic Orchestra und dem Symphony Orchestra of India. 
       
       Klassische Musik ist eigentlich ein elitäres Genre. Sie wird meistens für,
       über und von weißen Männern gemacht. Ich denke, meine Auseinandersetzung
       damit hat etwas mit meinem Punk-Background zu tun: Ich will gewohnte
       Perspektiven und Wahrnehmungsmuster in Frage stellen.
       
       Wie lief die Zusammenarbeit mit den beiden Orchestern? 
       
       Alles fing damit an, dass mich das Beijing Philharmonic Orchestra
       eingeladen hat. Sie hatten meine Arbeit für Yoko Ono gehört, woraufhin ich
       ihnen einige Partituren von mir geschickt habe. Ich hatte großen Respekt
       und anfangs auch etwas Angst, weil ich nicht wusste, wie wir uns
       verständigen können. Wir hatten zwar einen Übersetzer – und das Tolle war:
       Wir haben mehr über die Musik kommuniziert.
       
       Sie sind in London geboren, leben allerdings schon seit Jahren an vielen
       Orten der Welt. Sind Sie mittlerweile sesshaft geworden? 
       
       Absolut nicht. Nach dem Brexit-Referendum und der Trump-Wahl wollte ich zum
       grassierenden Nationalismus in Großbritannien und den USA Abstand bekommen.
       Darum bin ich nach Tokio gegangen, um das Album zu komponieren. So konnte
       ich viel besser reflektieren, was zu Hause passiert. Obwohl ich sagen muss,
       dass ich mich im Vereinigten Königreich nie wirklich zu Hause gefühlt habe.
       
       Ihr Album ist nach der biblischen Figur der Nephilim benannt. Wie schlägt
       sich das in der Musik nieder? 
       
       „Nephilim“ behandelt verschiedene Formen von Zensur. Von der sehr
       offensichtlichen in China, bis hin zu den eher subtileren Formen, die wir
       im Westen beobachten können: Sie bestehen darin, dass wir Stimmen, die wir
       nicht hören wollen, keine Aufmerksamkeit schenken. Das hat mich dann zu
       bestimmten Büchern der Bibel geführt. Menschen treffen auf Basis der Bibel
       Entscheidungen, dabei gibt es so viel, was daraus nicht bekannt ist – eins
       dieser Bücher beinhaltet die Nephilim.
       
       In Ihrem Song „No Black In The Union Jack“ samplen Sie die „Rivers Of
       Blood“-Rede, die der britische Rechtsradikale Enoch Powell vor ziemlich
       genau 50 Jahren gehalten hat. Was hat es damit auf sich? 
       
       Die Rede wurde verbannt, weil es sich um Hassrede handelt. Darum habe ich
       darüber nie etwas in der Schule gelernt, eigentlich nie von Powell und
       seiner National Front gehört. Anstatt sich mit jemandem auseinander zu
       setzen, mit dem wir nicht einverstanden sind, wurde Powell einfach unter
       den Teppich gekehrt. Aber diese Ansichten verschwinden nicht einfach, sie
       treten wieder an die Oberfläche – oft auf sehr negative Weise.
       
       In dem Song skandieren Sie lauthals „Send Them Back“. Haben Sie nicht
       Angst, dass das falsch verstanden werden könnte? 
       
       Bei dieser Rede handelt es sich um eine der rassistischsten Äußerungen, die
       je in Großbritannien getätigt worden sind. Powell vergleicht die Stellung,
       die People Of Colour 20 Jahre später haben würden, mit Sklaverei – aber
       andersherum: Er meint, die Schwarzen werden die Sklavenhalter sein. Und
       deswegen wurde die Rede verbannt. Aber ich finde es wichtig, darüber zu
       sprechen, weil dahinter dieselben Ansichten stehen, die nun zum Brexit
       geführt haben. Viele Leave-Wähler sind von diesem Menschen inspiriert. Und
       ich denke, genau das passiert heute in vielen Ländern Europas. In
       Großbritannien ist es auch darum interessant, weil wir eine besondere
       Kolonialismusvergangenheit haben – und dennoch wurde entschieden, wir
       möchten weder ImmigrantInnen bei uns haben, noch Teil von Europa sein. Mein
       Album wirft genau diese Fragen auf, wo wir in der Gesellschaft stehen.
       
       Ihr Song „Police And Thieves“ stammt ursprünglich von dem jamaikanischen
       Sänger Junior Murvin, wurde aber auch von The Clash gecovert. Können Sie
       sich erinnern, wann Sie ihn zuerst gehört haben? 
       
       Ja! Der Song ist eine karibische Hymne. Mein Vater hatte einen Plattenstand
       am Flohmarkt in Brixton und meine Kindheit war davon geprägt, mich durch
       die Plattenkisten zu wühlen. Diesen Song habe ich oft gespielt. Aber die
       Clash-Version ist genauso gut.
       
       Sie lassen ihn dubbiger als das Original erklingen und von einem Kinderchor
       singen: „Police and thieves in the streets / Scaring the nation with their
       guns and ammunition“. 
       
       Songs bekommen oft eine ganz andere Wirkung, wenn sie von Kindern gesungen
       werden. Gerade in diesem Fall: Das Stück ist sehr düster und geisterhaft.
       Wenn man bedenkt, was momentan gerade in den USA passiert, finde ich, dass
       diese Zeilen von Kindern gesungen ein kraftvolles Statement sind.
       
       Sie haben auch dieses Album wieder komplett eigenständig produziert. Wieso
       ist Ihnen gerade das wichtig? 
       
       Erstens, weil ich als Produzentin angefangen habe. Zweitens gibt es mit
       weniger als fünf Prozent viel zu wenig Frauen im Produzentensessel und als
       Toningenieurinnen. Das heißt, die Leute, die entscheiden, was wir hören,
       repräsentieren nicht unbedingt diejenigen, die Musik hören und kaufen. Das
       ist ein Problem!
       
       Oft arbeiten Künstlerinnen mit männlichen Produzenten. Am Ende reden dann
       alle über die Arbeit des Produzenten, nicht über die, die künstlerische
       Arbeit geleistet hat. 
       
       Das stimmt, man konzentriert sich zu wenig auf die Künstlerin. Das liegt
       aber auch daran, dass die Arbeit von Produzenten so essentiell ist: Sie
       sind die Architekten des Sounds und treffen am Ende die Entscheidungen.
       Deswegen ist es gerade so wichtig, dass auch in diesem Bereich Frauen mehr
       Chancen bekommen. Sie müssen die Kontrolle über den Sound erlangen, die
       momentan noch bei Männern liegt. Wir haben keinen Mangel an Künstlerinnen,
       sondern an Produzentinnen. Ich bin sicher, dass sich das ändert: langsam,
       aber sicher.
       
       Feminismus ist zuletzt massentauglicher geworden, gleichzeitig gibt es eine
       sehr antifeministische Regierung in einem der mächtigsten Staaten der Welt.
       Geht diese Massentauglichkeit des Feminismus in die richtige Richtung? 
       
       Feminismus ist tatsächlich ein Schlagwort geworden. Aber man kann die
       wahren Intentionen von Menschen immer durch ihr Handeln beurteilen. Es gibt
       Frauen, die sich Feministinnen nennen und dennoch eine sehr patriarchale
       Regierung unterstützen. Ich denke, das ist ein Indikator dafür, wie weit
       Feminismus vorangeschritten ist: In den USA hatten Frauen die Möglichkeit,
       das erste Mal eine Frau zur Präsidentin zu wählen, und viele haben sich
       dagegen entschieden. Ich bin nicht sicher, ob alle, die sich Feministinnen
       nennen, die gleiche Definition von Feminismus haben. Für mich geht es
       darum, als Frau andere Frauen zu unterstützen. Letztendlich bedeutet
       Feminismus einfach nur Gleichberechtigung.
       
       24 Jul 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Diviam Hoffmann
       
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