# taz.de -- Politologe über „Degrowth“-Konzept: „Von Fixierung auf Wachstum lösen“
       
       > Die Degrowth-Bewegung diskutiert, wie eine Post-Wachstums-Ära aussehen
       > kann. Effizienz reiche nicht, sagt der Politologe Norbert Nicoll.
       
 (IMG) Bild: „Fliegen ist zu billig“, sagt Politikwissenschaftler Norbert Nicoll
       
       taz: Herr Nicoll, Sie fordern, [1][die Politik müsse sich vom Ziel des
       Wachstums verabschieden]. Welche neuen Ziele braucht sie denn? 
       
       Norbert Nicoll: Die Politik sollte sich von der Fixierung auf das Wachstum
       lösen und am besten direkt bei den Stoffströmen und Umweltbelastungen
       ansetzen. Wir müssen runter mit den Emissionen, wir brauchen neue
       Instrumente, um Wohlstand zu messen, und wir müssen auf Waren und
       Dienstleistungen Preise vergeben, die in sozialer und ökologischer Hinsicht
       ehrlich sind. Nehmen wir den Verkehr: [2][Fliegen ist zu billig], der
       öffentliche Verkehr dagegen oft zu teuer. Gegensteuern ließe sich mit
       Kerosinsteuern und mehr Mittel für den öffentlichen Verkehr.
       CO2-Emissionen lassen sich begrenzen, indem die Politik etwa die Vorgabe
       macht, dass sie jedes Jahr um 2 Prozent sinken müssen. Dann wäre man in 50
       Jahren bei Null. Der Wandel der Wirtschaft würde kommen.
       
       Auch eine Gesellschaft ohne Wachstum wird soziale Sicherungssysteme
       brauchen. Wie lassen sich diese finanzieren? 
       
       Wir müssen den Naturverbrauch verteuern, beispielsweise indem wir
       Ökosteuern erheben, die allerdings sozial gerecht auszugestalten sind. Wir
       brauchen auf jeden Fall mehr Umverteilung. Es gibt enorme Vermögen.
       Konzerne müssen Steuern zahlen. Finanztransaktionen gehören besteuert, und
       Steuerparadiese müssen geschlossen werden.
       
       In einer Gesellschaft ohne Wachstum zahlen Konzerne oder Banken kaum noch
       Steuern.
       
       Es wird Branchen geben, die noch wachsen und auch Gewinne machen. Alles,
       was mit Energieerzeugung zu tun hat, mit Pflege, Bildung, Gesundheit,
       demografischem Wandel, Recycling, Effizienz – das sind Bereiche mit guten
       Zukunftsaussichten.
       
       Die Bereiche Soziales, Bildung und Kultur werden nach dem heutigen Modell
       durch Steuereinnahmen und Renten finanziert, die durch die Produktivität
       unserer Wirtschaft entstehen. Woher nimmt man das Geld, wenn die Industrie
       schrumpft? 
       
       Da gibt es verschiedene Konzepte. Man muss aber ehrlich sein: Die
       Degrowth-Bewegung hat ein Endziel vor Augen, der genaue Weg dahin bleibt
       jedoch oft schwammig. Wirtschaft und Gesellschaft sind komplex. Den Stein
       der Weisen hat noch niemand gefunden.
       
       Welche Rolle können Technologien wie die Biotechnologie oder die
       Digitalisierung spielen? 
       
       In einigen Technologien liegen sicherlich Potenziale, die Wirtschaft besser
       und gerechter zu machen. Das ist aber kein Selbstläufer, sondern muss auf
       jeden Fall durch den Gesetzgeber gesteuert werden.
       
       Die Fraunhofer-Gesellschaft hat vor gut einem Monat ein [3][Konzept]
       vorgestellt, das sie „biologische Transformation“ nennt. Damit strebt sie
       Ziele wie Nachhaltigkeit oder eine Dezentralisierung der Produktion an –
       und will dafür Mittel der Technik einsetzen. Was halten Sie denn von diesem
       Ansatz?
       
       Ich bin da skeptisch. Ich kann zwar nicht in die Zukunft blicken, aber ein
       Blick zurück in die Geschichte zeigt: Durch Technik sind oft Probleme
       entstanden, die Forscher vorher nicht gesehen haben. Zudem laufen die
       Kurven von Wirtschaftsleistung, Emissionen und Energieverbrauch fast
       parallel. Man hat die notwendige Entkopplung auf globaler Ebene trotz aller
       Effizienzbemühungen und neuer Technik in der Vergangenheit nicht geschafft.
       
       Es ist interessant, dass sowohl Sie als auch die Forscher des
       Fraunhofer-Instituts Nachhaltigkeit und Dezentralisierung anstreben,
       trotzdem aber überhaupt nichts voneinander wissen wollen. 
       
       In der Tat laufen da zwei Debatten nebeneinander her, die total unverbunden
       sind. Da haben wir zum einen die Effizienzdebatte, die vor allem auf
       technologischen Fortschritt setzt und in Wirtschaft und Politik dominant
       ist. Sie passt sehr gut zur herrschenden Kultur und zum herrschenden
       ökonomischen Dogma. Was die Verfechter des Postwachstums sagen, steht
       dagegen quer zum herrschenden Modell. Beide Seiten stehen sich derzeit
       sprachlos gegenüber. Dabei ist klar: Mit Effizienz allein kommen wir nicht
       weiter, wir brauchen mehr Strategien, etwa die Konsistenzstrategie, das
       heißt, wir müssen in Kreisläufen wirtschaften; die Suffizienzstrategie,
       also das Leben im rechten Maß, sowie Resilienzstrategien, die uns weniger
       anfällig gegenüber Krisen und Schocks machen. Wir brauchen alle, eine
       Strategie allein wird nicht reichen.
       
       30 Jul 2018
       
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