# taz.de -- Fußball-WM in Russland: Putins Restrisiko? Die Bürger
       
       > Russland hat die Fußball-Weltmeisterschaft wieder für einen
       > Modernisierungsschub genutzt. Der gilt aber nicht für seinen Umgang mit
       > Kritik.
       
 (IMG) Bild: „Schaut her, was wir auf die Beine stellen können“: letzte Vorbereitungen vor dem Luschniki-Stadion in Moskau
       
       Moskau taz | Die Idee kam Moskaus Bürgermeister Sergej Sobjanin erst in
       letzter Minute: Arbeitgebern in der Hauptstadt empfahl er, Mitarbeitern am
       Eröffnungstag der Fußball-Weltmeisterschaft freizugeben.
       
       Im September möchte sich der Stadtvater wieder wählen lassen. Doch das war
       nicht der einzige Grund, den Wählern die unerwartete Freude zu bereiten.
       Wichtiger dürften verkehrs- und sicherheitstechnische Überlegungen gewesen
       sein. Je weniger sich auf der Straße abspielt, desto reibungsloser
       verlaufen die Feierlichkeiten. Menschen werden in Russland schnell mal als
       Störfaktor empfunden. „Kein Mensch, kein Problem“, diese Formel prägte
       Diktator Josif Stalin einst.
       
       Inzwischen geht es ziviler zu. Dennoch stellen die Bürger auch bei der
       Fußball-Weltmeisterschaft ein Restrisiko dar, die der Bürokratie das Leben
       erschweren. Darunter sind die Studenten der [1][Moskauer Staatlichen
       Lomonossow Universität (MGU)]. Auf ihrem Campus durfte die Fifa die
       Fanmeile der WM einrichten. Russen sprechen von „Fanzona“.
       
       Die MGU thront auf den Sperlingsbergen oberhalb der Stadt. Von hier aus
       schaut man über Moskau, auch das von Grund auf umgebaute zentrale
       [2][Luschniki-Stadion], in dem die Feierlichkeiten und das Endspiel
       stattfinden werden, liegt der Fanmeile quasi zu Füßen. Diesen Blick wollte
       die Fifa den WM-Besuchern nicht vorenthalten.
       
       ## 12 Stunden Verhör für einmal „Njet fanzony“
       
       „Das Problem ist, wir haben jetzt Prüfungen“, sagt Ilja. Der 20jährige
       Mathematikstudent möchte seinen vollen Namen nicht nennen, weil die
       Studenten wegen ihres Protestes schon in die Mühlen der Sicherheitsapparate
       gerieten. Vor einem Jahr hatten sie bei der Fifa einen Antrag gestellt, die
       Fanmeile zu verlegen. Ohne Reaktion. Sie hätten nichts gegen Fußball, sagt
       Ilja, der Lärm störe einfach. Mehr als 6.000 Menschen wohnen in dem
       34-geschossigen Trakt. „Wir können nicht einfach ausweichen“, sagt Ilja.
       
       Vergangene Woche wurde ein Aktivist vom Geheimdienst aus der Prüfung
       geholt. Zwölf Stunden Verhör, ohne Anwalt. Freunde und Verwandte erfuhren
       nicht, was los war, erzählt Ilja. Der Student hatte auf ein WM-Schild „njet
       fanzony“ – keine Fanmeile – gesprayt. Die Anklage wegen Vandalismus war
       erst nach Intervention der Unileitung beim Innenministerium wieder fallen
       gelassen worden. Deswegen seien sie aber noch nicht aus der Schusslinie, so
       Ilja. Handys wurden eingesammelt, bei einigen waren Accounts geknackt. Die
       Studenten sollen sich überwacht fühlen.
       
       Fifa-Chef Gianni Infantino ist unterdessen mit dem Gastgeber sehr
       zufrieden. In Wladimir Putins Umgebung lächelt er unentwegt. Das werde die
       schönste und beste WM verkündet der Schweizer seit Wochen. Moskau und die
       Fifa haben sich immer gut verstanden. Die Freude am großen Geld verbindet,
       der Regierungsstil auch.
       
       Kremlchef Putin wird das Ereignis nutzen, um sein ramponiertes Image
       aufzubessern. Seit Vergabe der WM Ende 2010 hat sich einiges angehäuft:
       Annexion der Krim, Besetzung der Ostukraine, Intervention auf Seiten Assads
       im Syrienkrieg und hartnäckiges Leugnen der Giftgaseinsätze des Diktators;
       Abschuss des Flugzeugs der malaysischen Airline MH 17 mit fast 300 Toten
       2014 über der Ukraine, der noch nicht endgültig geklärte Fall des früheren
       Doppelagenten Sergej Skripal in englischen Salisbury. Nicht zuletzt
       Einmischungen in die US-Präsidentschaftswahlen und Versuche, auch in
       Frankreich und Deutschland in IT-Netzwerke vorzudringen.
       
       ## Beziehungsprobleme mit dem Westen
       
       Die Unterstützung EU-feindlicher rechter Kräfte europaweit ist im Vergleich
       dazu eher eine Kleinigkeit. Eine ideologische Geschmacksfrage, sozusagen.
       Ach ja, auch das staatlich sanktionierte Doping der russischen Athleten bei
       den Winterspielen in Sotschi 2014 wäre fast unterschlagen worden.
       
       Russlands Verhältnis zum Westen ist nicht erst seit Kremlchef Putin
       schwierig geworden. Das Land oszilliert seit jeher zwischen
       widersprüchlichen Emotionen. Einerseits fühlt es sich angezogen,
       gleichzeitig aber auch fremd und vom Westen abgestoßen.
       
       Seit der Krim unterstreicht Moskau trotzig die eigenständige Rolle, die es
       mit konservativen Werten aufrüstet. Selbstgerecht entschied es sich für
       eine isolierte Randstellung. Gleichzeitig dürstet es den Kreml jedoch nach
       Anerkennung, die diese WM trotz Krise einbringen soll. Dieser innere Riss
       bremst die Entwicklung zur offenen Gesellschaft. Ein Spalt, der oft auch
       durch die Menschen selbst verläuft. Mehr als 600.000 Touristen besuchen die
       WM. Manch einen dürfte dieser Bruch gelegentlich stutzig machen.
       
       Russland wird sich zweifelsohne von seiner besten Seite zeigen. Die
       WM-Städte haben sich herausgeputzt. Wenn sie sich von europäischen Städten
       unterscheiden, dann vor allem, weil sie frischer und moderner wirken als
       jene im alten Europa. Auch die Jugend macht keine Ausnahme in Kleidung und
       Freizeitverhalten.
       
       „Schaut her, was wir alles auf die Beine stellen können.“ Dieses Signal
       sendet Moskau in die Welt, meint der in Russland geborene Sporthistoriker
       Peter Kaiser.
       
       Modernisierung geschieht in Russland meist schubweise. Großveranstaltungen
       wie Olympische Spiele und Weltmeisterschaften sind willkommene Anlässe. Mit
       einem Schlag wird das Land für die Zukunft fit gemacht. Diese
       Erneuerungsmaßnahmen bieten gleichzeitig auch Gelegenheit, die eigene
       Klientel zu begünstigen und politische Gefolgschaft zu sichern. Das erklärt
       nicht zuletzt, warum in Russland die Olympischen Spiele in Sotschi die
       teuersten aller Zeiten waren. Auch die Fußball-WM fällt mit rund 12
       Milliarden Euro kostspieliger aus als frühere. Kurzum: Hier haben sich
       Planer nicht verrechnet, die Elite erhält vielmehr über Umwege Zuteilungen
       aus dem Staatssäckel.
       
       ## Seit einem Monat im Hungerstreik
       
       Kritik an der üppigen Selbstversorgung wird unterdessen erstickt. So ist es
       wohl kein Zufall, dass der Antikorruptionskämpfer und Putin-Herausforderer,
       Alexei Nawalny, zurzeit in einer mehrwöchigen Haft sitzt – wegen einer
       vermeintlichen Ordnungswidrigkeit. Auch seine Pressesprecherin und
       Mitarbeiter aus den Regionalbüros wurden prophylaktisch erst einmal aus dem
       Verkehr gezogen.
       
       Im Vergleich [3][zu Oleg Senzow] und Ujub Titijew haben sie es unterdessen
       noch gut getroffen. Der tschetschenische Leiter des Memorialbüros in
       Grosny, Titijew, sitzt seit Monaten im Nordkaukasus in U-Haft. Bei einer
       Kontrolle waren dem Menschenrechtler wohl Drogen untergeschoben worden. Der
       ukrainische Regisseur Senzow befindet sich in einem Lager im Hohen Norden.
       Er soll Terroranschläge auf Brücken und Denkmäler auf der Krim vorbereitet
       haben. 2014 erhielt er eine 20jährige Lagerstrafe. Senzow ist seit einem
       Monat im Hungerstreik. Er fordert die Freilassung von 60 ukrainischen
       Häftlingen. Sein Tod würde die WM in Russland überschatten.
       
       Der aussichtslosen russischen Mannschaft, der „sbornaja“, begegnete der
       Kremlchef gleichwohl mit Nachsicht. Gewöhnlich geht es Putin um Sieg und
       nicht ums Dabeisein. Diesmal setzt er nur aufs Durchhalten: „Hingabe,
       kämpferischen und kompromisslosen Fußball“, fordert der Kremlchef.
       
       13 Jun 2018
       
       ## LINKS
       
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