# taz.de -- Die Fußball-WM in Tschetschenien: Herzlich Willkommen in Grosny!
       
       > Ägyptens Mannschaft residiert in der Hauptstadt der russischen
       > Teilrepublik. Eingefädelt hat das die Fifa – trotz inhaftierter
       > Menschenrechtler.
       
 (IMG) Bild: PR-Auftritt: Tschetscheniens Präsident Kadyrow führt Ägyptens Starstürmer Salah durchs Stadion
       
       Grosny taz | Kinder spielen Fußball. Ein geschundener Ball, dessen gute
       Jahre lange zurückliegen, wird über eine Wiese zwischen Wohnhäusern
       getrieben. Herzlich Willkommen in Grosny! An einer fensterlosen Wand eines
       Gebäudes prangt eines dieser Riesenplakate, wie man sie derzeit in allen
       WM-Orten Russlands sehen kann. Das WM-Maskottchen, dieser Wolf mit
       Skibrille, lächelt die Kinder an.
       
       Auch Wladimir Putin schaut den kleinen Kickern zu. Ein riesiges Porträt des
       russischen Präsidenten prangt an der Achmat-Arena, dem Stadion von Grosny,
       keine 500 Meter von der Fußballwiese entfernt. In ein paar Minuten wird die
       ägyptische Nationalmannschaft dort eine Trainingseinheit abhalten. Die
       Kinder dürfen dann dem Bus hinterherwinken, der die Spieler die paar Meter
       vom Hotel zum Stadion fahren wird.
       
       Es ist eine Szene, wie für den Weltfußballverband gescriptet. Der einfache
       Sport, der ohne großen Aufwand überall gespielt werden kann, wo es eine
       halbwegs ebene Fläche gibt – als Kulisse für die Stars, die vielleicht auch
       einmal so gekickt haben wie die Kinder von Grosny an diesem Tag.
       
       Die Jungs träumen vielleicht davon, auch einmal eine Nacht in einem Hotel
       verbringen zu dürfen, wie es den Ägyptern für diese Weltmeisterschaft vor
       das Stadion gesetzt worden ist. Nobel ist es sowieso und nagelneu. Weil die
       Fußballer das Hotel sowieso nur im Mannschaftsbus verlassen dürfen, stören
       sie sich gewiss nicht daran, dass die dem Hotel vorgelagerten
       Empfangsgebäude noch nicht fertiggestellt sind. Sie werden sie gar nicht
       sehen.
       
       ## Überall Sicherheitspersonal
       
       Was aber selbst die Spieler bemerken werden, ist der irrwitzige
       Sicherheitsaufwand, der rund um das Hotel betrieben wird. Ein Volunteer im
       roten Fifa-Shirt erzählt, dass neben der regulären Polizei und Einheiten
       des Innenministeriums fünf verschiedene Sicherheitsfirmen damit beschäftigt
       sind, aufzupassen. Seinen Namen nennen wir an dieser Stelle lieber nicht.
       
       Er stammt aus Grosny, lebt seit einiger Zeit in Moskau und arbeitet daran,
       mal Journalist zu werden. Das soll nicht daran scheitern, dass sein Name
       mal in einer deutschen Zeitung aufgetaucht ist. Angst habe er nicht, sagt
       er. Aber er weiß, dass er schon auffällt, weil er Ramsan Kadyrow nicht als
       „seinen Präsidenten“ bezeichnet.
       
       Kadyrow ist Präsident der autonomen tschetschenischen Republik. Er ist
       omnipräsent in Grosny. Seinem Porträt kann man ebenso wenig entkommen wie
       dem von Wladimir Putin oder dem seines Amtsvorgängers und Vaters Achmat,
       nach dem das Stadion benannt ist und seit einem Jahr auch der russische
       Erstligaklub, der in der Arena kickt: Achmat Grosny. Streng schauen Vater
       und Sohn Kadyrow von den Plakaten, so streng wie das Heer von
       Sicherheitskräften, denen man auf Schritt und Tritt in der Stadt mit ihren
       über 250.000 Einwohnern begegnet.
       
       Als Fremder wird man hier schnell zum Beobachtungsobjekt. Irgendwann muss
       man den Pass vorlegen. Und irgendwann viel später hält neben einem an der
       Straße ein Auto, das Fenster wird heruntergelassen und der Polizeibeamte,
       der den Pass zuvor so intensiv begutachtet hat, fragt: „Alles in Ordnung,
       Andreas?“ Die Botschaft, die so vermittelt werden soll, ist eindeutig: Wir
       haben alles unter Kontrolle. Herzlich willkommen in Grosny!
       
       ## Die Angst geht um
       
       Marit Cremer arbeitet von Deutschland aus für Memorial, das russische
       Netzwerk für Menschenrechtsaktivistinnen. Den Reporter hat sie mit den
       Worten „Seien Sie schön vorsichtig!“ nach Grosny verabschiedet. Die Angst
       geht um in Tschetschenien, [1][nicht erst seit Ojub Titiew im Januar
       verhaftet worden ist].
       
       Dem Leiter des tschetschenischen Memorial-Ablegers wird illegaler
       Drogenbesitz vorgeworfen. Niemand glaubt, dass das stimmt. Mit seiner
       Verhaftung ist die Arbeit für Memorial in Grosny unmöglich geworden. Die
       letzten Aktivistinnen hätten die Stadt verlassen, sagt Julia Orlowa aus dem
       Moskauer Büro der Menschenrechtsorganisation.
       
       Dabei gäbe es gewiss genug zu tun. [2][Schwule gelten als Freiwild in der
       Stadt]. Als im vergangenen Jahr wohl mehr als 20 Männer wegen ihrer
       Homosexualität von ihren Familien regelrecht hingerichtet worden sind,
       haben all die Sicherheitskräfte, die sonst so omnipräsent sind, nichts
       gesehen. Doch die Repressalien können alle treffen.
       
       Wer in Eigeninitiative handelt, was auch immer er macht, muss mit dem
       Besuch des Geheimdienstes rechnen, wird drangsaliert, von den
       Steuerbehörden genervt und immer wieder gefragt, ob er nicht für die
       Staatssicherheit arbeiten wolle. Nur wenige haben die Kraft, sich gegen die
       Organe zu wehren. Eine Frau, die von den Anwerbeversuchen des
       Geheimdienstes berichtet möchte ebenfalls nicht, dass ihr Name in der
       Zeitung steht.
       
       ## Wurmfortsatz der Republik
       
       Sie weiß, dass Tschetschenien mehr als nur ein eitriger Wurmfortsatz am
       Darm der Russischen Föderation ist. Die Teilrepublik ist ein Baustein im
       Fundament von Putins Haus. Nach zwei blutigen Unabhängigkeitskriegen konnte
       sich das Land nur beruhigen, weil Putin eine Art Sicherheitsdeal verhandelt
       hat. Achmat Kadyrow kämpfte gegen Russland, bevor er sich Putin unterwarf.
       
       Nun durfte er beginnen, einen islamischen Staat als Teil der Russischen
       Föderation aufzubauen. Zudem stellen die Tschetschenen so etwas wie eine
       Sicherheitsreserve für Putin. Immer wieder sind es Tschetschenen, die Morde
       an RegimekritikerInnen ausführen. Auch die Tötung des russischen
       Oppositionspolitiker Boris Nemzow im Februar 2015 mitten in Moskau unweit
       des Kremls [3][wurde von Tschetschenen durchgeführt].
       
       Dass auch die Fußballweltmeisterschaft nach Tschetschenien gekommen ist –
       nicht als Spielort, aber immerhin als WM-Quartier der ägyptischen
       Mannschaft – ist daher gewiss kein Zufall. Die Fifa beteuert auf
       taz-Nachfrage, wie sehr sie sich den Menschenrechten verpflichtet sieht.
       Das stehe schließlich auch in den Statuten des Verbands. „Prinzipiell
       widerspricht jede Menschenrechtsverletzung, die mit den Aktivitäten der
       Fifa in Zusammenhang steht, den Werten der Fifa.“
       
       Doch weil nun ja die Verhaftung von Ojub Titiew nicht ganz direkt mit
       Fifa-Angelegenheiten zu tun habe, könne der Weltverband in der
       Angelegenheit gar nichts machen. Die Fifa hat einen mitfühlenden Brief an
       die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch geschrieben, in dem sie
       bedauert, was Titiew widerfährt – und hat doch gleichzeitig die ganze Stadt
       Grosny mit Fifa-Plakaten tapeziert und die großen Straßen im Verbandslook
       mit Fahnen ausgestattet.
       
       ## Keiner will es gewesen sein
       
       Dass Grosny zur WM-Stadt werden konnte, das sei ohnehin allein die
       Entscheidung des ägyptischen Verbands gewesen, so die Fifa. Der habe die
       Stadt als Ort des Mannschaftsquartiers ausgewählt. Der Manager von Ägyptens
       Nationalmannschaft will sich zu Menschenrechtsfragen nicht äußern. Auf eine
       Feststellung legt er allerdings wert: Die Liste mit den möglichen
       Teamquartieren sei den Verbänden von der Fifa zugestellt worden. Die Stadt
       Grosny stand darauf, sagt Ihab Leheta. Keiner will es also gewesen sein und
       doch hat die WM nun auch in Tschetschenien Quartier bezogen.
       
       Ramsan Kadyrow ließ sich die Gelegenheit zu einem gemeinsamen Foto mit
       einen der großen Stars des Weltfußballs natürlich nicht entgehen. Er ließ
       den an der Schulter verletzten ägyptischen Stürmer Mohamed Salah aus dem
       Hotelzimmer holen, um sich mit ihm fotografieren lassen zu können. Was er
       getan hat, damit Grosny auf der Liste mit dem möglichen
       Mannschaftsquartieren steht, wird im Dunklen bleiben. Herzlich willkommen
       in Grosny! Herzlich Willkommen im Fifa-Fußball-WM-Land Russland!
       
       15 Jun 2018
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Opposition-im-Nordkaukasus/!5475444
 (DIR) [2] /Homophobie-in-Tschetschenien/!5405526
 (DIR) [3] /Urteil-zum-Mordfall-Boris-Nemzow/!5425838
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Rüttenauer
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Frauen-WM 2019 
 (DIR) WM-taz 2018: Neben dem Platz
 (DIR) Tschetschenien
 (DIR) Menschenrechte
 (DIR) Ägypten
 (DIR) Tschetschenien
 (DIR) Frauen-WM 2019 
 (DIR) WM-taz 2018: Auf dem Platz
 (DIR) Frauen-WM 2019 
 (DIR) WM-taz 2018: Neben dem Platz
 (DIR) Frauen-WM 2019 
 (DIR) WM
 (DIR) Memorial
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Politik und Fußball-WM: Seid umschlungen!
       
       Ägyptens Spieler Mo Salah verhilft Tschetscheniens Herrscher Kadyrow zu
       zwei Propagandaauftritten. Jetzt fühlt er sich instrumentalisiert.
       
 (DIR) WM im Süden Russlands: In Rostow sind sogar Polizisten nett
       
       Die Stadt zeigt sich dieser Tage von ihrer südländischen Seite. Wer die
       Fußball-WM als Party erleben will, der sollte nach Rostow reisen.
       
 (DIR) Russlands Team bei der WM: Misstrauen und Mut
       
       Der Auftaktsieg hat Russland viel Ballast von den Schultern genommen. Das
       Abschneiden ist eine Staatsangelegenheit geworden.
       
 (DIR) WM in Tschetschenien: Grüne Schatten
       
       Ausländische Besucher werden in Grosny auf Schritt und Tritt von der
       Polizei verfolgt. Die sitzt manchmal auch mit am Abendbrottisch.
       
 (DIR) Ausstellung in Berlin: Russischer Fußball, historisch gesehen
       
       Eine Ausstellung im Deutsch-Russischen Museum erzählt die sehr politische
       Geschichte des Fußballs in Russland und der Sowjetunion.
       
 (DIR) Fußball-WM in Russland: Putins Restrisiko? Die Bürger
       
       Russland hat die Fußball-Weltmeisterschaft wieder für einen
       Modernisierungsschub genutzt. Der gilt aber nicht für seinen Umgang mit
       Kritik.
       
 (DIR) Gegen die Fifa protestieren: Vergesst Putin! Wir schauen jetzt WM!
       
       Sinkende Einschaltquoten könnten die Fifa davon überzeugen, eine Fußball-WM
       nicht an autoritäre Staaten zu geben, heißt es. Stimmt nicht ganz.
       
 (DIR) Opposition im Nordkaukasus: Memorial geht es an den Kragen
       
       Das Büro der Menschenrechtler in Inguschetien wird durch Brandstiftung
       verwüstet. In Tschetschenien sitzt ein Vertreter der Organisation in
       U-Haft.