# taz.de -- Zeitgenössische Fotokunst aus China: Die neuen Blumen des Bösen
       
       > Die Ausstellung „Life and Dreams“ in der Walther Collection bei Neu-Ulm
       > zeigt: In der chinesischen Kunst gibt es noch immer kritische Positionen.
       
 (IMG) Bild: Still aus Lu Yangs Video-Installation „Delusional Mandala“, 2015
       
       Die Hoffnung, Liu Xia, die Witwe des Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo,
       könne endlich von Beijing nach Berlin ausreisen, hat sich erneut
       zerschlagen. Deshalb, so lasen wir es zuletzt, steht mehr den je zu
       befürchten, dass Hausarrest und Isolation die virtuose Poetin und
       Fotografin umbringen. Der Besuch einer Ausstellung mit zeitgenössischer
       chinesischer Fotografie und Medienkunst ist in diesem Moment nicht einfach
       business as usual. Kann eine solche Ausstellung da interessieren, gar
       überzeugen?
       
       Sie kann es. Schlicht, weil „Life and Dreams“, wie die von Christopher
       Phillips kuratierte Ausstellung aus den Beständen der Walther Collection
       heißt, noch einmal mehr deutlich macht, wie schändlich und tragisch die
       politische Entwicklung in China derzeit verläuft. Denn in Burlafingen bei
       Neu-Ulm, wo die Walther Collection ihren Sitz hat, werden noch immer einige
       wenige Künstler aufgeboten, die den eigenen, kritischen Standpunkt
       verteidigen.
       
       Zum Beispiel Mo Yi, der in seiner bislang 49-teiligen Fotoinstallation
       „5.16 Notice“ (2014) Propagandaaufnahmen von Mao mit Kommentaren in roter
       Farbe übermalt, die besagen, dass sich die Kommunistische Partei Chinas für
       die Grausamkeiten der von ihr und Mao Zedong am 16. Mai 1966 ausgerufenen
       Kulturrevolution bei der Bevölkerung entschuldigen will.
       
       Das möchte die KP freilich mitnichten, die sich schon längst exkulpiert
       hat, indem sie die Kulturrevolution als das alleinige Werk Maos und seiner
       Viererbande betrachtet. Diese Festschreibung infrage zu stellen erfordert
       Mut. Zumal Mo Yi, der vor seinem künstlerischen Erfolg schon als
       Fußballprofi Karriere gemacht hatte, seine Installation jedes Jahr um ein
       neues Mao-Bild erweitern wird, so lange, bis die Partei sich entschuldigt.
       Man muss in Deutschland also schon in die Provinz fahren, um auf eine
       wirklich relevante, weil riskante zeitgenössische Auseinandersetzung mit
       der Kulturrevolution zu treffen.
       
       ## Die Volksdiktatur ist kein Idyll
       
       Die Staatlichen Museen zu Berlin verklärten noch vor einem halben Jahr in
       ihrer Ausstellung „Arbeiten in Geschichte“ die Volksdiktatur zum Idyll. Mit
       dem Künstler Cao Kai und im Einvernehmen mit der Gesellschaft für
       Deutsch-Chinesischen kulturellen Austausch erkannten die Verantwortlichen
       in den damaligen Ereignissen ein einziges gigantisches Rockkonzert mit
       Superstars wie Mao Zedong, John Lennon, Pol Pot, Bob Dylan oder Che
       Guevara. Frauen waren auf diesem Konzert natürlich unerwünscht.
       
       In Ulm finden sich unter vierundvierzig Positionen immerhin sieben
       Künstlerinnen, das sind knapp 16 Prozent. Zum Vergleich: Die dezidiert um
       Diversität bemühte und deshalb von der Bundeskulturstiftung geförderte
       Ausstellung „Hello World“ in Berlin kommt nur auf rund 10 Prozent. Die
       Künstlerinnen gehen ihre Sache nicht weniger radikal an als ihre männlichen
       Kollegen. Und sie sind nicht weniger gefährdet.
       
       Als Ende der 1990er Jahre eine in China bis dahin unerhörte Freiheit der
       Kunst dazu verführte, sich über deren tatsächliche Möglichkeiten zu
       täuschen, stellte Chen Lingyang ihre Serie „Twelve Flower Months“
       (1999–2000) vor. Einmal im Monat, zur Zeit ihrer Menstruation,
       fotografierte sie ihre Vulva in verschiedenen Spiegeln, die von kargen
       Blumenarrangements begleitet waren. Ein Blutsfaden oder -tropfen auf der
       Haut ist ebenfalls immer im Bild. Die zwölf keineswegs obszönen, vielmehr
       delikat und wohlbedacht inszenierten Motive sorgten für einen solchen
       Skandal, dass die Künstlerin für zehn Jahre untertauchte.
       
       Um neue Bilder des eigenen Ich, der Familie, der Geschlechter und der
       Gesellschaft geht es denn auch im Grünen Haus, in dem drei Bilder aus Chen
       Lingyangs Zyklus zu sehen sind. Zunächst schaut Hao Jingbans Video „Off
       Takes“ (2016) noch einmal zurück in die Zeit von 1950 bis 1970, aus der die
       faszinierenden Amateurfilmaufnahmen stammen, von Paaren beim Standardtanz,
       die sie kompilierte und mit Interviews und Statements von heute ergänzte.
       Die Aufnahmen entstanden klandestin in provisorischen, nur temporär
       hergerichteten Tanzsalons, denn zur Zeit ihres Entstehens war
       Gesellschaftstanz in China als Ausdruck westlicher Dekadenz verboten.
       
       ## Rasantes Organwachstum
       
       Illegal ist auch die Sexarbeit, die in zwei verschiedenen Arbeiten
       thematisiert wird. Zhang Hai’er porträtiert in „Bad Girls“ (1987–89) ihre
       Protagonistinnen, während Xu Yong sich in „This Face“ (2011) auf ein
       Callgirl konzentriert und beobachtet, wie Zi U ihr Erscheinungsbild über
       den Tag hinweg verändert und für jeden Kunden eine neue Persönlichkeit
       entwickelt.
       
       Im Grünen Haus ist noch die hinreißende Videoarbeit „Delusional Mandala“
       (2015) zu finden, in der die Künstlerin Lu Yang ihren 3-D-Avatar erschafft,
       und zwar beeinflusst von Kultfilmen des Anime- und Science-Fiction-Genres
       wie der Ästhetik des tibetischen (!) Buddhismus. Gehirnschalen werden
       aufgebohrt und Lebern wie eine Art Blumen gezüchtet – man glaubt hinterher,
       die 16 rasantesten Minuten Virtual Reality seines Lebens gesehen zu haben.
       Überhaupt sind die Videoarbeiten der Ausstellung exzeptionell.
       
       Vollkommen mitgenommen stolpert man aus Yang Fudongs Videoinstallation
       „East of Que Village“ von 2007, die auf zwei gegenüberliegenden Wänden die
       Kehrseite der extremen Urbanisierung Chinas, nämlich den trostlosen Alltag
       in einem entvölkerten Bauerndorf, zeigt. Es scheinen dort die verwilderten,
       ausgehungerten Hunde – trotz aller Kämpfe um Futter − mehr
       Gemeinschaftsleben und Solidarität zu entwickeln als die übrig gebliebenen
       Dorfbewohner.
       
       Die Ausstellungsräume der Walther Collection sind über drei freistehende
       Gebäude verteilt. Yang Fudongs Video läuft im Weißen Kubus, einem tief in
       die Erde gegrabenen Neubau, der es erlaubt, lichtempfindliche Fotografie
       mit einem Mix aus Kunst- und eben Tageslicht zu zeigen. Im Weißen Kubus
       geht es um urbane Utopien und vor allem die Künstlergemeinschaft East
       Village, die Aufbruchstimmung zu Beginn der 1990er Jahre.
       
       ## Die relevanten Protagonisten der Bejiinger Kunstszene
       
       Die experimentelle Kunstszene testete die Möglichkeiten der Fotografie,
       wobei die Dokumentation krasser Performances eine gewichtige Rolle spielte,
       bildete das kreative Zentrum doch der in China traditionell tabuisierte
       nackte Körper.
       
       Zhuang Huis Serie „One and Thirty – Artist“ (1995/1996), die sich über die
       gesamte Breite einer acht Meter hohen Sichtbetonwand des Kubus entfaltet,
       zeigt sämtliche relevanten Protagonisten der damaligen Kunstszene Beijings.
       Zhuangs Serie liegt das Prinzip zugrunde, dass er die einzelnen Mitglieder
       einer je 30-köpfigen, genau definierten Gruppe porträtiert, wobei er sich
       selbst immer dazugesellt.
       
       Die Gruppe der Bauern „One and Thirty – Peasant“ ist im Schwarzen Haus zu
       sehen, und zwar in der bescheidenen Originalgröße des Vintageprints. Zu
       ihrer Entstehungszeit wäre es dem Künstler unmöglich gewesen, die Fotos so
       groß hochzuziehen, wie sie nun im Weißen Kubus als Neuprints zu sehen sind.
       
       Im Schwarzen Haus, wo es um die Politik der Vergangenheit und Gegenwart
       geht, thematisiert der Videokünstler Zhang Peili in seiner 1991
       entstandenen Arbeit „Water (Standard version from Cihai Dictionary)“ die
       problematische politische Kultur Chinas, indem er eine eigene Version der
       staatlichen Fernsehnachrichtensendung noch monotoner macht, durch eine
       ununterbrochene Wiederholung der hohlen Phrasen, die der Abstumpfung und
       Geschichtsfälschung zugleich dienen.
       
       Wie in der Walther Collection zu sehen, boomte zu diesem Zeitpunkt gerade
       die experimentelle chinesische Kunst, wobei Fotografie und Medienkunst sich
       als wichtige Genres etablierten. Man hätte nicht gedacht, dass Zhangs
       Video 25 Jahre später aktueller sein könnte denn je.
       
       1 Jul 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Brigitte Werneburg
       
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