# taz.de -- WM im Süden Russlands: In Rostow sind sogar Polizisten nett
       
       > Die Stadt zeigt sich dieser Tage von ihrer südländischen Seite. Wer die
       > Fußball-WM als Party erleben will, der sollte nach Rostow reisen.
       
 (IMG) Bild: Hoch zu Pferde: Donkosaken in Rostow vor dem Spiel Brasilien gegen die Schweiz
       
       Rostow am Don taz | Die Sonne brennt auf den Bahnhofsvorplatz. Wer kann,
       sucht sich ein Fleckchen Schatten. Die zwei WM-Freiwilligen, denen man ein
       kleines Pult vor den Bahnhof gestellt hat, kauern sich auf dem kleinen
       Stückchen Schatten zusammen, das von dem Tischchen auf das Pflaster
       geworfen wird.
       
       Sie haben gerade nichts zu tun. Es ist Fan-Wechsel in Rostow am Don. Ein
       paar Männer aus Uruguay sind schon da, aus Saudi-Arabien werden nicht allzu
       viele Fans erwartet. Vielleicht ist das ganz gut. Die Stadt muss durchatmen
       nach der großen Party, die sie bei ihrer WM-Premiere erlebt hat.
       
       Es war einer dieser wunderbaren Tage, an dem sich feucht geschwitzte Körper
       aneinander reiben, ohne dass sich jemand daran stört. Einer dieser Tage,
       die erst enden, wenn die Sonne längst wieder am Himmel steht. In Rostow
       wird auch Party gemacht, wenn die Fifa die Stadt nicht beflaggt hat.
       
       Auf der zentralen Straße, der Bolschaja Sadowaja, die sich über die Jahre
       zu einer bunten Prachtstraße gemausert hat, flanieren die Rostower auf dem
       Weg zu den Partylocations unten über die Promenade am Ufer des Don, der
       hier kurz vor seiner Mündung ins Asowsche Meer schon recht gewaltig
       daherfließt.
       
       Jetzt sind die meisten Brasilianer wieder abgereist. Sie werden schwärmen
       von dieser Stadt, die sich verliebt hat in die Farben Grün und Gelb. Es
       wurde gejohlt, gehupt, gejubelt am Tag des Spiels. Russlands Süden hat sich
       von seiner südländischen Seite gezeigt.
       
       ## Keine Englischkenntnisse
       
       Wer die WM als Party erleben will, der sollte nach Rostow reisen. Roaring
       Rostow. Es gibt sogar freundliche Polizisten in der Stadt. Touristenpolizei
       steht auf der Armbinde der zwei Sicherheitskräfte, die vor dem Bahnhof in
       der prallen Sonne stehen müssen, weil man für sie keinen Helpdesk aufgebaut
       hat. „Wir machen das Gleiche wie die Volunteers“, sagt einer der beiden.
       „Mit dem Unterschied, dass wir kein Englisch können.“
       
       Sie zeigen den unkundigen Gästen der Stadt, so gut es eben geht, wo ihre
       Unterkunft ist, sagen ihnen, wie sie zum Stadion kommen und sorgen dafür,
       dass sie nicht von einem Taxifahrer übers Ohr gehauen werden, indem sie die
       Preisverhandlungen mit den Chauffeuren übernehmen. Polizisten überall in
       der Stadt haben sich mitgefreut, als Tausende Brasilianer und Schweizer die
       Stadt geflutet haben, sind nicht einmal eingeschritten, als ein paar
       Hoffnungsfrohe sich mit „Need Ticket“-Schildern vor der neuen Rostow-Arena
       postiert haben.
       
       Sie haben gesehen, wie sich Menschen angefreundet haben. „Hast du gewusst,
       dass man in der Schweiz deutsch spricht!“, fragt ein Mädchen ihre Freundin
       auf dem Weg zum Stadion. „Du hast es gut, du hast Deutsch in der Schule.
       Was heißt ‚Guten Tag‘?“
       
       Ob sie später wirklich einen dieser merkwürdigen Männer mit Kuhglocken und
       rotem Trachtenhend angesprochen haben, werden die Uniformierten nicht
       mitbekommen haben. Dafür lachen sie, als brasilianische Fans salutieren und
       salutieren zurück. Wie gut, werden sie sich vielleicht denken, dass uns
       diese merkwürdige Rockerin die Party von Rostow nicht verhagelt hat.
       
       Julia Tschitscherina heißt die Sängerin, die kurz vor der WM in die
       Schlagzeilen gekommen war, weil die Fifa ihr den Auftritt auf dem Fanfest
       von Rostow, für den man sie gebucht hatte, wieder gecancelt hat.
       
       ## Kind im Kampfanzug
       
       Tschitscherina hat nach Jahren als schmalzige Rockröhre ihr Herz für die
       Aufständler im Donbass entdeckt und ist zur Propagandasängerin der Kämpfer
       für die der Ukraine abgerungenen Republiken Donezk und Lugansk geworden. Im
       Video zu ihrem Lied „An vorderster Front“ bilden Kämpfer im Ukrainekrieg
       den Chor. „Das ist unser Land und wir werden es halten“, heißt es darin.
       Auch ein Kind im Kampfanzug singt mit.
       
       Das alles war dann doch zu viel für die Fifa. „Fußball sollte politisch
       neutral sein“, teilte der Weltverband im schönsten Fifa-Sprech auf
       taz-Anfrage mit. „Die mit dem Fußball zusammenhängenden Veranstaltungen
       sollten von den Verbänden, den Spielern oder anderen Individuen nicht als
       Plattform für das Verbreiten von politischen Statements genutzt werden.“
       
       Um ein Haar hätte eine Sängerin den Krieg um die Ostukraine, der keine 200
       Kilometer von Rostow entfernt tobt, ins Fifa-Land getragen. Via Facebook
       hatte Tschitscherina die Rostower aufgefordert, die „Fifafaschisten“ zu
       boykottieren, die Straßen mit Flaggen der ostukrainischen Scheinrepubliken
       zu schmücken und bei geöffneten Fenstern ihre Lieder ganz laut zu spielen.
       Vergeblich. In der Stadt war kein Kriegsgeheul zu vernehmen. Niemand wollte
       an den Krieg denken an diesem Tag.
       
       Auch am Denkmal für die „Helden des Donbass“, das vor ein paar Monaten in
       einem Rostower Erholungspark vom Freiwilligenverband für die russischen
       Kämpfer in der Ostukraine aufgestellt worden ist, war nichts von
       Kriegsstimmung zu spüren. Kinder radelten mit ihren Spielzeugbikes um die
       Säule.
       
       ## „Sodomisten“ unerwünscht
       
       Auch Fans sind manchmal wie kleine Kinder. Wie glücklich es erwachsene
       Männer machen kann, den Mannschaftsbus ihres Teams mit den bloßen Händen zu
       berühren, auch das konnte in Rostow bestaunt werden. Tränen flossen gar,
       als der Bus mit den Schweizer Spielern nach dem 1:1 gegen Brasilien in die
       Straße zum Teamhotel unweit der Bolschaja Sadowaja einbog. Wenn die Fans
       den Boulevard ganz bis zum unteren, ein wenig billigeren Ende
       entlanggegangen wären, sie hätten das Geschäft, auf dem ganz groß der Name
       German Sterlikow prangt, nicht übersehen können.
       
       Für die WM hat der Betreiber des Bioladens das Schild über dem Eingang, mit
       dem „Sodomisten“ bedeutet wird, dass sie unerwünscht sind, ins Englische
       übersetzen lassen. „Faggots not allowed“, steht da nun und die Verkäuferin
       im Laden mag auf Nachfrage wirklich gar nichts schlimm daran finden.
       
       „Abartig“ seien Schwule und auch nicht anders als solche, die es mit Tieren
       oder Kindern treiben. „Ihr Ausländer denkt anders, aber das ist gegen die
       Bibel, gegen Gott“, sagt die Verkäuferin. Sie ist von der Mission des
       homophoben orthodoxen Fundamentalisten German Sterlikow, der die
       Bioladenkette in Russland aufgebaut hat, derart überzeugt, dass sie wie im
       Wahn spricht.
       
       Nein, sagt sie noch, Proteste gebe es keine, gegen das Schild. Wie auch, es
       seien doch eh alle der Meinung, dass das schon seine Richtigkeit habe, was
       da stehe. Außerdem gebe es ja so etwas wie Meinungsfreiheit. Von dem Laden
       sind es nur ein paar Minuten Fußweg bis zum Bahnhof, wo die beiden
       Freiwilligen ihren Schattenplatz jetzt verlassen. Ein Zug hat Dutzende Fans
       ausgespuckt. Die nächste Party kann beginnen. Roaring Rostow ist dann
       wieder ein Außenposten der heilen Welt.
       
       20 Jun 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Rüttenauer
       
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