# taz.de -- Filminstallation „Einen Frieden später“: Diese Liebe gab es nie
       
       > Elmar Hess erzählt in seiner Filminstallation „Einen Frieden später“ in
       > Kiel von unserer Sehnsucht nach eindeutiger Liebe in Zeiten anhaltender
       > Uneindeutigkeit.
       
 (IMG) Bild: Hätte stimmen können: Die Geschichte von Hannah und Harald
       
       Harald Thomas und Hannah Ewers lernen sich zufällig kennen, so gehört sich
       das für die Liebe. Sie, beschäftigt bei der Hamburger Hafenbehörde, hat an
       diesem Tag irgendwann Anfang der 1960er-Jahre keine Lust am Schreibtisch zu
       sitzen. Also kommt sie mit auf Inspektion, es geht an Bord der „Frieden“,
       ein Frachtschiff der DDR-Handelsmarine, das regelmäßig nach Südostasien
       fährt, um dort Schwergut zu laden: 1957 in Dienst gestellt, 10.000 Tonnen
       schwer, Heimathafen ist Rostock, 152 Kilometer Luftlinie von Hamburg
       entfernt. Zur Mannschaft der „Frieden“ gehört der Seemann Harald aus
       Rostock, der später sagen wird: „Diesen Dienstag werde ich nie vergessen.“
       
       Die beiden sehen sich, sie schauen sich an. Und dann passiert es: Sie
       sprechen miteinander, möchten nicht aufhören mit dem anderen zu reden, den
       sie zuvor noch nie gesehen haben, sie verabreden sich für den Abend, dann
       schlendern sie durch St. Pauli.
       
       Über Jahre werden sie sich treffen, heimlich. Immer dann, wenn die
       „Frieden“ in Hamburg, im für die DDR nichtsozialistischen Ausland Station
       macht. Zwischendurch schreiben sie sich Briefe, handschriftlich: „Bitte
       schreibe mir, schreibe mir irgendeine Nachricht“, schreibt sie. „Noch 28
       Tage, Hannah, dann bin ich in Hamburg, dann werden wir glücklich sein und
       voller Leben“, schreibt er.
       
       So geht das, bis eines Tages Harald sich inmitten seiner Kollegen zu der
       Bemerkung hinreißen lässt, wenn sie das nächste Mal Hamburg anlaufen, wird
       er dort aussteigen, um diesmal zu bleiben und zwar für immer.
       
       Die Staatssicherheit, die längst von ihnen weiß, unterbreitet ihm ein
       Angebot: Sie würde ihn laufen, ja gewähren lassen, wenn er im Gegenzug
       seine Geliebte aushorcht, ausspioniert und die so gewonnenen Erkenntnisse
       mitbringt und mit ihnen teilt. Er lehnt entrüstet ab, eine lange Haftstrafe
       folgt und es ist vorbei mit der Seefahrerei. Erst 1995, Harald hat seine
       Unterlagen in der Gauckbehörde eingesehen und einen Hinweis gefunden, macht
       er sich auf die Suche nach Hannah, die er schließlich in Tübingen finden
       wird.
       
       ## Glückliche Tage
       
       Das ist die Geschichte, die uns Elmar Hess in seiner umfassenden,
       begehbaren Filminstallation „Einen Frieden später“ nahebringt, zu sehen in
       der Stadtgalerie in Kiel. Hess verknüpft dabei diese
       Ost-West-Liebesgeschichte mit den großen Umbrüchen des vergangenen
       Jahrhunderts. Auf großen Filmleinwänden flackern Schnipsel aus
       Wochenschauen, Nachrichtensendungen und Dokumentationen: Goebbels brüllt,
       Ulbricht sächselt, Arbeiterchöre schmettern Arbeiterlieder, Soldaten
       marschieren auf und rennen bald in den Tod.
       
       Man sieht die brennende Reichshauptstadt Berlin, man sieht wie die Mauer
       gezogen wird und wie Menschen auf diese klettern, auf diese einhämmern. Man
       sieht all die Bilder, die unser kollektives Bildgedächtnis ausmachen und
       weiß sofort, was gemeint ist. So wie man sich ausmalen kann, wie das sein
       muss, wenn man als Paar ein paar Tage glücklich verbracht hat und nun soll
       das für Wochen und Monate wieder vorbei sein.
       
       Denn immer wieder kehrt Hess zu seinem deutsch-deutschen Liebespaar zurück,
       lässt uns an ihrem privaten Leben wie Glück und Unglück teilhaben. Der
       Besucher steht dann vor Vitrinen, in denen er Dokumente aus ihren beiden
       deutschen Leben versammelt hat: das blaue Hemd, das Harald trug, als er ein
       junger Pionier war, und die Urkunde zur Jugendweihe; die Autogrammkarte von
       Elvis Presley, die Hannah sicherlich sorgsam verwahrte und die Hülle eines
       Beatles-Albums.
       
       Wir blicken auf die unscharfen, leicht verwackelten Fotos, die aber auch so
       genug Aussagekraft zu haben scheinen: Da küssen sich zwei und werden dabei
       beobachtet. Wir schauen auf das aufgeschlagene Telefonbuch von 1995,
       gespickt mit hastigen Notizen, um Harald durch das nun wiedervereinte
       Deutschland zu führen, als er sich auf die Suche nach Hannah macht.
       
       Nur gibt es zwischendurch Momente, wo man aus dem Tritt kommt. Wo man beim
       Schauen und beim Verfolgen der Geschichte irritiert ist. Die schönen,
       großen Schwarzweiß-Abzüge, die die beiden in den wertvollen und glücklichen
       Momenten ihres Lebens zeigen und die sehr exponiert an den Wänden hängen,
       wirken doch so, als hätte man die beiden hineinkopiert.
       
       ## Immer wieder Unstimmigkeiten
       
       Und folgt man den Tondokumenten, in denen vorzugsweise Harald als
       berichtender Erzähler spricht, merkt man hier und dort, dass die
       Chronologie der Ereignisse so nicht stimmen kann; jedenfalls nicht so, wie
       sie uns erzählt wird.
       
       Und die Hamburger Hafenbehörde, die Harald immer wieder benennt, die hieß
       doch nicht schon in den 1960er-Jahren 'Port Authority’, das ist doch ein
       Wort aus weit jüngeren Jahren! Und dann ist da dieses Foto, ein
       Schnappschuss, eine abendliche Ansicht des Hamburger Hafens, ein Dokument
       ihres Schmerzes, sie bleibt, er fährt, dabei wollen sie beide, dass sie
       zusammen bleiben – und im Hintergrund sieht man die Elbphilharmonie.
       
       Harald und Hannah hat es nie gegeben. Hess hat vielmehr Schauspieler
       engagiert, die in die Rollen geschlüpft sind, die sich Hess während eines
       Residenzstipendiums in Rostock ausgedacht hat. Alles, die Geburtsurkunden
       der beiden, ihre Briefe, die abgestempelten Protokolle der Stasi, die
       Gerichtsakten, die je ihr Dasein bezeugen, Hess hat diese Dokumente, die
       tatsächlich Exponate sind, in seinem Atelier fein säuberlich und eben
       täuschend echt produziert.
       
       Mit dieser Information, die man spätestens in der kleinen
       Ausstellungsbroschüre nachlesen kann, stürzt nun alles zusammen und auch
       nicht.
       
       ## Eine Enttäuschung?
       
       Denn man kann es sich jetzt schnell einfach machen und Hess’Projekt kalten
       Herzens als eine Arbeit über die Fragwürdigkeit nacherzählter Geschichten
       einordnen und gedanklich abheften; als Beleg, wie schnell es einem Künstler
       mit einem Mix aus einer emotional gut ausgesteuerten Liebesgeschichte und
       perfekt eingesetzten Medien gelingt, uns grundlegend zu täuschen und auch
       zu enttäuschen. Die Aufdeckung dieses Vorgehens inklusive.
       
       Aber so einfach will uns der Künstler nicht davonkommen lassen. Denn mag
       seine Ausstellungsarbeit ein Plädoyer für das Misstrauen gegenüber allem
       medial gestützten Erzählens und Berichtens sein, das so schwer auszuhalten
       ist, eine fundierte Analyse zum Nacherleben, wie bereitwillig wir einer
       vornehmlich privaten Geschichte Glauben schenken und daraus unsere
       Gedankenschlüsse über Geschichte als Historie ziehen – so löst sich davon
       unbeeindruckt die Geschichte von Harald und Hannah nicht spurlos auf.
       
       Denn quasi trotz allem Wissens, das ernüchtern und aufklären soll, schiebt
       sich nun immer mehr Nicht-Erzähltes ins Zentrum der zugleich so bilder- und
       filmgewaltigen Ausstellung: Was hat Hannah gemacht und gedacht, als Harald
       nicht wieder auftauchte? Was geschah mit Harald, als seine Haftzeit endete?
       Wie war das, als die beiden in Tübingen wieder aufeinandertrafen?
       
       Und nicht zuletzt: Wie gelingt es Hess eigentlich, dass wir Harald und
       Hannah so unbeeindruckt treu bleiben? Weil es gewiss eine solche
       Liebesgeschichte gegeben hat und gegeben haben muss – an anderen Orten und
       mit anderen Personen. Plus einem Gegenüber als großem Gegenspieler, der
       vieles, manchmal alles verhindert und dessen Tage zugleich von Anfang an
       gezählt sind.
       
       So bleibt: Trotz allem Schmerzes und aller Enttäuschung – man wünscht es
       Harald und Hannah, dass sie sich kennengelernt hätten.
       
       13 Apr 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Frank Keil
       
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