# taz.de -- Debatte SPD in der GroKo: Eine Partei schafft sich ab
       
       > Die SPD droht an Fehlern aus der Vergangenheit zu scheitern. Sie ist so
       > sehr mit ausbessern beschäftigt, dass Innovation keinen Platz mehr hat.
       
 (IMG) Bild: Die letzte Schicht ist es noch nicht für die SPD, aber es geht bergab
       
       Nicht die Großen Koalitionen von 2005 und 2013 sind für den Niedergang der
       SPD verantwortlich, sondern ihre „Agenda“-Politik, die im Bündnis mit der
       Union modifiziert fortgesetzt wurde. Dass die SPD nach 1998 die Hälfte
       ihrer Wähler verloren hat, ist einerseits der Enttäuschung vieler Menschen
       über ihre Regierungspraxis geschuldet – und andererseits der Tatsache, dass
       sie ihre Stammklientel, die damals noch aus Facharbeitern bestand, durch
       eine Prekarisierung der Arbeitswelt mit zerstört hat. Unter dem
       Damoklesschwert von Hartz IV akzeptierten Belegschaften, Betriebsräte und
       Gewerkschaften schlechtere Arbeitsbedingungen und sinkende Löhne. Heute ist
       der Niedriglohnsektor, in dem fast ein Viertel aller Beschäftigten tätig
       sind, das Haupteinfallstor für Erwerbs-, Kinder- und spätere Altersarmut.
       
       Statt eine progressive und innovative Kraft im deutschen Parteiensystem zu
       sein, fungiert die Sozialdemokratie vor allem als politischer
       Reparaturbetrieb, der die Folgeschäden eigener Fehlentscheidungen zu
       beheben sucht. Ausgerechnet an Stellen, wo der vorliegende
       Koalitionsvertrag eine sozialdemokratische Handschrift trägt, geht es gar
       nicht mehr um gesellschaftlichen Fortschritt, der viele junge Menschen
       mitreißen und für die SPD begeistern könnte, sondern bloß um die
       Wiederherstellung eines früheren Zustands und die Revision eines
       Rückschritts, den Minister und Abgeordnete der Partei selbst herbeigeführt
       haben. Die soziale Gerechtigkeit wurde häufig mit Füßen getreten. Dadurch
       untergrub die SPD ihre Glaubwürdigkeit und entfernte sich weit von
       politischer Gradlinigkeit. Während die Echternacher Springprozession nach
       dem Motto „Zwei Schritte vorwärts, einen Schritt zurück!“ ans Ziel gelangt,
       wenngleich verspätet, schafft es die SPD nach dem Motto „Zwei Schritte
       zurück, einen Schritt vorwärts!“ nie dorthin.
       
       Für das Linsengericht einer Rückkehr zur paritätischen Finanzierung der
       gesetzlichen Krankenversicherung hat die SPD ihre Kernforderung nach
       Einführung der Bürgerversicherung fallengelassen. Es war jedoch die
       damalige SPD-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt, die das Prinzip der
       paritätischen Beitragszahlung durch Einführung des Zusatzbeitrags der
       Versicherten in Höhe von 0,9 Prozent ihres Bruttoeinkommens zum 1. Juli
       2005 ausgehebelt hatte.
       
       Das von 53 Prozent zur Jahrtausendwende auf 48 Prozent vor Steuern
       gesunkene Rentenniveau wollen CDU, CSU und SPD laut Koalitionsvertrag auf
       diesem Niveau bis zum Jahr 2025 gesetzlich absichern. Für die Talfahrt des
       Sicherungsniveaus hatte ebenfalls die rot-grüne Koalition gesorgt, als sie
       die sogenannte Riester-Treppe und den „Nachhaltigkeitsfaktor“ in die
       Rentenanpassungsformel einführte.
       
       Ähnlich verhält es sich mit der geplanten Abschaffung der Abgeltungssteuer
       auf Kapitalerträge in Höhe von 25 Prozent, welche die Bezieher von
       Dividenden, Zinsen und Veräußerungsgewinnen gegenüber Arbeitnehmern
       privilegiert, die ihrerseits Löhne und Gehälter mit bis zu 42 Prozent
       versteuern müssen. Der damalige SPD-Finanzminister Peer Steinbrück hatte
       die Abgeltungssteuer in der ersten Großen Koalition unter Angela Merkel zum
       1. Januar 2009 eingeführt.
       
       ## Es fehlen die Konturen
       
       Auch die zeitlich begrenzte Aussetzung des Familiennachzugs für
       Flüchtlinge, die nur subsidiären Schutz genießen, hatte die SPD 2016 im
       „Asylpaket II“ mit beschlossen. Dass es künftig laut Koalitionsvertrag
       monatlich 1.000 Familienangehörigen subsidiär Geschützter ermöglicht werden
       soll, nach Deutschland zu kommen, ohne dass eine großzügigere
       Härtefallregelung für den Familiennachzug greift, ist ebenfalls politisch
       wenig ruhmreich.
       
       Auf ihrem Bonner Sonderparteitag hat die SPD mehrere Forderungen
       beschlossen, die erfüllt sein müssten, damit den Mitgliedern die Ergebnisse
       von Koalitionsverhandlungen mit CDU und CSU zur Urabstimmung vorgelegt
       werden. Als erste Bedingung firmierte die Abschaffung der sachgrundlosen
       Befristung von Arbeitsverhältnissen. Hätten es die SPD und ihr damaliger
       Bundeskanzler Gerhard Schröder gewollt, wäre diese den Unternehmen 1985 von
       CDU/CSU und FDP eingeräumte Möglichkeit schon nach dem Regierungswechsel
       1998 beseitigt worden.
       
       Dem laut SPD-Parteitagsbeschluss notwendigen „inhaltlichen und
       organisatorischen Neuaufstellungsprozess“ fehlen bisher die Konturen,
       sowohl programmatisch als auch strukturell und personell. Der häufige
       Wechsel im Parteivorsitz ist kein Ausdruck der Stärke, sondern der
       Schwäche. Um wieder glaubwürdig zu werden, reichen die im
       Bundestagswahlkampf angekündigten Korrekturen an der Agenda 2010 jedenfalls
       nicht aus. Ohne eine grundsätzliche und nachhaltig wirksame Abkehr von
       dieser Art neoliberaler Reformpolitik hat die älteste Partei des Landes
       keine Zukunft mehr.
       
       Statt die pragmatische Linie des Regierungsflügels von Helmut Schmidt über
       Gerhard Schröder zu Martin Schulz fortzusetzen, muss sich die Partei wieder
       in die Tradition von August Bebel und Willy Brandt stellen. Brandt hat es
       mit seiner Ost- und Entspannungspolitik, dem Versprechen, mehr Demokratie
       wagen zu wollen, und dem Programm der inneren Reformen seinerzeit
       geschafft, aus einer Juniorpartnerschaft mit der Union heraus den
       Regierungs- und Politikwechsel herbeizuführen.
       
       Anders als damals verkörpert die SPD heute keine überzeugende Alternative
       zu den übrigen Parteien. Was sie braucht, sind neue Köpfe mit
       fortschrittlichen Ideen. Eine politische Aufbruchstimmung verbreiten weder
       Olaf Scholz noch Andrea Nahles, die beide schon SPD-Generalsekretär/in und
       Minister/in in einer Großen Koalition waren. So misslich es für die Partei
       war, in den Regierungskoalitionen unter Angela Merkel dezimiert zu werden:
       Noch existenzgefährdender dürfte es für sie werden, in den politischen
       Abstiegsstrudel am Ende von Merkels Kanzlerschaft zu geraten.
       
       12 Feb 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christoph Butterwegge
       
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