# taz.de -- Berichten über die Türkei: Arbeit unter Repressionen
       
       > Über kaum ein Land berichten deutsche Medien derzeit so viel wie über die
       > Türkei. Doch die Berichterstattung ist schwierig geworden.
       
 (IMG) Bild: Yücel ist der erste Korrespondent, der nicht kurz nach seiner Verhaftung wieder freigelassen wurde
       
       Berlin taz | „Türkeikorrespondent müsste man jetzt sein“, schrieb der
       Welt-Korrespondent und ehemalige taz-Mitarbeiter Deniz Yücel im Juli aus
       seiner Haft in Istanbul. „Man dürfte, ja müsste die Zeitung oder den Sender
       vollklatschen mit Berichten, Analysen und Kommentaren.“ Nur ist genau das
       spätestens seit dem Putschversuch im Juli 2016 schwieriger geworden: Mehr
       als 300 JournalistInnen sind seitdem festgenommen worden, über 150 Medien
       geschlossen, ausländische JournalistInnen aus dem Land gedrängt worden.
       
       Schon seit Anfang 2016 bekommen KorrespondentInnen die Repressionen zu
       spüren, mit denen kritische türkische JournalistInnen seit Jahren zu
       kämpfen haben. Deniz Yücel ist der erste Korrespondent, der nicht kurz
       nach seiner Verhaftung wieder freigelassen wurde. Seine Inhaftierung im
       Februar führte zu einer diplomatischen Krise zwischen Berlin und Ankara.
       Die Welt hat im August Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für
       Menschenrechte in Straßburg eingereicht. Der Verlag beanstandet eine
       Verletzung seiner Pressefreiheit, weil die grundlose Inhaftierung seines
       Korrespondenten eine unmittelbare Vor-Ort-Berichterstattung aus der Türkei
       unmöglich mache. Die Welt hat seit neun Monaten keinen festen
       Korrespondenten mehr vor Ort.
       
       Deutsche Redaktionen reagieren unterschiedlich auf diese Bedrohungslage.
       Spiegel Online zog im März 2016, schon vor dem Putschversuch, seinen
       Korrespondenten ab, weil seine Akkreditierung nicht verlängert wurde. Wer
       aus der Türkei berichtet, muss jedes Jahr seine Presseakkreditierung
       verlängern, die bei ausländischen ReporterInnen wiederum an die
       Aufenthaltsgenehmigung gekoppelt ist. Die Akkreditierung nicht zu erteilen
       oder zu verlängern ist ein beliebtes Druckmittel der türkischen Regierung.
       „Die Entscheidung, ob eine Akkreditierung verlängert wird oder nicht,
       treffen die Behörden weitgehend willkürlich“, sagt Britta Sandberg,
       Ressortleiterin der Spiegel-Auslandsredaktion.
       
       ## Keine Namen, kein Risiko
       
       Seit November 2016 hat der Spiegel wieder einen Korrespondenten in der
       Türkei. Die Redaktion sei ständig in Kontakt mit ihm, sagt Sandberg. „Wir
       entscheiden gemeinsam immer wieder neu, ob für unseren Korrespondenten das
       Risiko, in der Türkei zu bleiben, noch vertretbar ist.“
       
       Wie hoch das Risiko ist, wird auch bei der Recherche zu diesem Text
       deutlich: Einige Medien wollen sich nicht zu dem Thema äußern, um ihre
       KorrespondentInnen und deren Arbeit nicht zu gefährden. Alle
       GesprächspartnerInnen wägen sehr bedacht ab, was sie sagen. Zum Schutz der
       Korrespondenten werden in diesem Text keine Namen genannt, auch auf Wunsch
       der JournalistInnen.
       
       Ein Korrespondent aus Istanbul erzählt, wie sich seine Arbeit seit der
       Verhaftung Deniz Yücels verändert hat: „Wenn Kollegen verhaftet werden,
       macht man sich natürlich Gedanken, ob man nicht selber irgendwann verhaftet
       wird“, sagt er, der seinen Namen aus Angst vor Repressalien nicht in der
       Zeitung lesen will. „Wenn man zum Beispiel jemanden von der
       Gülen-Organisation interviewt, ist das nach türkischer Lesart
       Terrorpropaganda. Man fragt sich dann, ob etwas passieren kann“, erzählt er
       am Telefon. Er berichte trotzdem weiter kritisch über die Gülen-Bewegung.
       „Manche Geschichten muss man machen, einfach weil das journalistisch
       geboten ist. Die psychologische Ebene darf keinen Einfluss auf die
       Berichterstattung haben.“
       
       ## Sicherheit und Terrorgefahr
       
       Neben dem psychischen Druck, dem Türkei-KorrespondentInnen ausgesetzt sind,
       gebe es konkrete Einschränkungen in der Berichterstattung, sagt er. „Man
       kann kaum noch Geschichten über die Kurdenproblematik machen.“ Ein anderer
       deutscher Korrespondent berichtet, dass sich viele GesprächspartnerInnen
       infolge des Ausnahmezustands und der Verhaftungswellen nicht mehr in der
       Öffentlichkeit äußern wollten. Einige Quellen seien im vergangenen Jahr
       versiegt, einige AnsprechpartnerInnen stünden nicht mehr zur Verfügung.
       
       An den Konferenztischen deutscher Redaktionen wird schon seit Längerem
       darüber gesprochen, ob das Arbeitsrisiko für KorrespondentInnen in der
       Türkei noch vertretbar ist. Unterschiedlich ist die Einschätzung, wie
       wichtig es ist, einen festen Korrespondenten in der Türkei zu haben. Die
       Süddeutsche Zeitung (SZ) hat derzeit keinen festen, will den
       Korrespondentenplatz im neuen Jahr aber wieder besetzen. „Die Türkei ist
       zurzeit eines der wichtigsten Berichterstattungsländer. Wir halten es für
       unsere Pflicht, von dort zu berichten“, sagt der Leiter des
       Auslandsressorts, Stefan Kornelius. „Wir haben auch nicht den Eindruck,
       dass das nicht geht.“ Dennoch prüft auch die SZ genau, inwiefern
       ausländische JournalistInnen Risiken ausgesetzt sind. Die Sicherheit der
       KorrespondentInnen sei bei der SZ grundsätzlich ein Thema, nicht zuletzt
       wegen der Terrorgefahr. „Seit den traumatischen Erfahrungen mit Egon
       Scotland hat Sicherheit für uns Priorität“, sagt Kornelius. Der SZ-Reporter
       Egon Scotland wurde 1991 bei der Berichterstattung über den jugoslawischen
       Bürgerkrieg in Kroatien getötet.
       
       ## Journalisten als Spione und Agenten
       
       Ein weiteres Druckmittel der türkischen Regierung, unliebsame Berichte zu
       verhindern, ist öffentliche Stimmungsmache gegen kritische JournalistInnen.
       Das hat auch die SZ schon zu spüren bekommen: Die Titelseite einer
       regierungsnahen Zeitung veröffentlichte ein Foto und den Namen des
       ehemaligen Türkeikorrespondenten der SZ zu einer Zeit, als der noch im Land
       war. Das ist bereits mehreren deutschen Journalisten passiert. Der
       Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan bezeichnete ausländische
       KorrespondentInnen wiederholt öffentlich als Spione und Agenten. Damit
       werden sie zur Zielscheibe für Angriffe von Erdoğan-AnhängerInnen
       gemacht.
       
       Dennoch halten es auch die öffentlich-rechtlichen Sender für wichtig, „in
       dieser angespannten Lage weiter vor Ort präsent zu sein“, sagt ein Sprecher
       des ZDF. Ähnlich die ARD: „Die aktuelle Drohkulisse wird niemals dazu
       führen, dass wir unsere journalistischen Standards verlassen. Wir erwarten,
       dass die ARD aus der Türkei uneingeschränkt berichten kann“, sagt Christian
       Nitsche, Chefredakteur des BR, der für die ARD die TV-Berichterstattung aus
       der Türkei verantwortet. „Aber wir betrachten mit großer Sorge, dass sich
       in der Türkei die Arbeitsbedingungen für deutsche Journalisten deutlich
       verschlechtert haben.“
       
       ## Sicherheitsrisiko abwägen
       
       Andere Redaktionen sind vorsichtiger. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung
       hat ihren Korrespondenten schon 2015 abgezogen; damals, um näher an den
       Geschehnissen in Griechenland zu sein. Er berichtet jetzt aus Griechenland
       über die Türkei. Die taz schickt gelegentlich einen Reporter in die Türkei
       und erwägt vorher jedes Mal das Sicherheitsrisiko. Die Zeit hat bereits
       seit 2013 keinen festen Korrespondenten mehr in der Türkei. „Bis letztes
       Jahr haben wir Reporter in die Türkei geschickt, aber das ist seit Anfang
       des Jahres sehr viel schwieriger geworden“, sagt Holger Stark, Leiter des
       Investigativressorts und Mitglied der Chefredaktion. „Die Verhaftung von
       Deniz Yücel war auf jeden Fall einer der Gründe dafür, dass wir noch mehr
       darüber nachdenken, welche Geschichte es wert ist, dass wir jemanden in die
       Türkei schicken.“
       
       Wenn die Zeit ReporterInnen in die Türkei schickt, wird jeder Schritt mit
       dem Ressortleiter abgesprochen. Sie nutzen Verschlüsselungsapps und sind
       vorsichtig bei Telefonaten. „Wir sind uns bewusst, dass die Recherche unter
       Aufsicht von Polizei und Geheimdiensten steht“, sagt Stark.
       
       Für die Berichterstattung über die Türkei ist diese Entwicklung
       problematisch. Wenn die ausländischen JournalistInnen nach und nach das
       Land verlassen, werden Medien von außerhalb über die Türkei berichten. Um
       ein Gespür für die gesellschaftlichen Bruchstellen eines Landes zu haben,
       muss man jedoch den Alltag dort erleben, muss im Austausch mit der
       Bevölkerung bleiben. Wenn sich in den Redaktionen immer häufiger die Frage
       stellt, welche Geschichte es wert ist, dass ReporterInnen vor Ort sind,
       bleibt wenig Raum für differenzierte Blicke auf die Türkei. Dem Bild der
       Türkei im Ausland wird das nicht guttun.
       
       Auch wenn die Lage ernst ist – hoffnungslos ist sie nicht. Der Alltag geht
       in der Türkei trotz Ausnahmezustand und Verhaftungswellen weiter.
       JournalistInnen berichten weiter; wenn ihre Zeitung geschlossen wird,
       gründen sie neue Nachrichtenportale. Auch viele ausländische
       JournalistInnen machen trotzdem weiter. Manche versuchen, neben den
       Berichten über Menschenrechtsverletzungen auch positive Geschichten zu
       erzählen, die es in der Türkei nach wie vor gibt. „Seit Peter Steudtner
       frei ist, sind alle deutschen Korrespondenten etwas entspannter“, erzählt
       der Korrespondent aus Istanbul. Steudtners Verhaftung sei ein richtiger
       Schock gewesen. „Wir hätten nicht erwartet, dass sie so weit gehen. Damals
       haben viele darüber nachgedacht zu gehen. Natürlich hoffen wir, dass jetzt
       auch Meşale Tolu und Deniz Yücel freikommen.“
       
       18 Nov 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Elisabeth Kimmerle
       
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