# taz.de -- Debatte Rot-Rot-Grün ohne Perspektive: Verantwortliche Gesinnungsethiker
       
       > Rot-Rot-Grün scheint rechnerisch unmöglich. Darüber kann sich die
       > Linkspartei freuen: Es bewahrt sie vorerst vor quälenden
       > Selbstfindungsprozessen.
       
 (IMG) Bild: Solange die Linke nicht weiß, wie sie etwa zu Auslandseinsätzen steht, sollte sie nicht mitregieren
       
       Weiß noch jemand, wofür die [1][Chiffre R2G] steht? Na gut, sie spielt ja
       auch in den derzeitigen Koalitionsüberlegungen nur noch theoretisch eine
       Rolle: eine Regierung von SPD, Linkspartei und Grünen, also Rot-Rot-Grün –
       oder, wer es ganz kurz mag: R2G.
       
       Eigentlich sprechen nur noch SPD-Rechte wie Klaus von Dohnanyi davon, der
       am Samstag in der Welt erneut vor R2G warnte („ein Verhängnis für die
       Bundesrepublik“) und so die Erinnerung lebendig hält. Die Dohnanyis, Kahrs
       und Oppermanns der SPD wollen nicht mit der Linkspartei paktieren, auch die
       Grünen-Realos sind mehr als skeptisch – und rein demoskopisch ist eine
       solche Regierung ausgeschlossen.
       
       Erleichtert dürfte darüber vor allem [2][die Linkspartei sein]. Nicht weil
       Mitglieder und Wähler grundsätzlich etwas dagegen hätten, wenn jemand aus
       der Linkspartei mal ein Bundesministerium leiten würde oder auch nur eine
       Gesetzesinitiative – 34 gab es in dieser Legislaturperiode – die Chance
       hätte, umgesetzt zu werden. Die beiden Parteivorsitzenden und der männliche
       Spitzenkandidat Dietmar Bartsch sind bekennende R2G-Fans. Sahra Wagenknecht
       ist zwar nicht enthusiastisch, aber wenn’s drauf ankäme, wäre sie dabei.
       
       ## Wichtige Fragen nicht geklärt
       
       Es hapert also nicht am Willen. Aber an den Möglichkeiten, unter anderem
       den eigenen. Die Linkspartei ist einfach noch nicht bereit für eine
       Bundesregierung. Sie hat wichtige Fragen, die garantiert irgendwann in den
       nächsten vier Jahren aufgerufen werden, nicht geklärt: Für welches Europa
       steht sie eigentlich? Für ein Europa der Nationalstaaten, die solidarisch
       aus dem Euro aussteigen, oder für eine EU, die mehr zusammenhält als nur
       die Währung? Und wie ist das mit Auslandseinsätzen der Bundeswehr? Sind sie
       zu billigen, wenn die UN das Mandat erteilt, wenn es etwa um die Umsetzung
       des Friedensabkommens in Darfur geht – Gewaltanwendung eingeschlossen? Oder
       lehnt man alle Auslandseinsätze grundsätzlich ab und löst die Bundeswehr
       auf? Ist Gewalt ein legitimes Mittel der Politik, wenn Bruderstaaten wie
       Venezuela sie praktizieren?
       
       Es sind Fragen, die sich nicht mal rasch zwischen zwei
       Sondierungsgesprächen klären lassen. Um sie zu beantworten, muss sich die
       Linkspartei über ihre Rolle in der bundesdeutschen Parteienlandschaft und
       über ihr Selbstverständnis klar werden. Ist sie Protestpartei und
       Sammelbewegung, die sich bereithält fürs letzte Gefecht, den Kapitalismus
       zu kippen? Oder sieht sie sich als Korrektiv marktliberaler Politik und ist
       bereit, auf Regierungsebene Verantwortung zu übernehmen? In den Ländern
       scheint die Frage geklärt – die Linkspartei ist in drei Bundesländern an
       der Regierung beteiligt und stellt in einem davon den Ministerpräsidenten;
       auch im Saarland stand sie bereit. Doch der Pragmatismus der Landesebene
       ist nicht ohne Weiteres auf die Bundesebene übertragbar.
       
       Die Linkspartei ist eine Partei, die wie keine andere Gegensätze
       vereinbart. In ihr tummeln sich Menschen, die der Soziologe Max Weber einst
       als Gesinnungsethiker bezeichnete – Idealisten, die ihre Handlungen danach
       beurteilen, ob sie gut gemeint sind. Dem Gesinnungsethiker stellte Weber
       den Verantwortungsethiker entgegen; heute würde man ihn Realpolitiker
       nennen. Der guckt pragmatisch auf den Ertrag seiner Handlungen und wirft
       hinderliche Prinzipien auch mal über Bord. Weber beschrieb Extreme des
       politischen Handelns.
       
       Auf Linkspartei-Bundesparteitagen sitzen diese Extreme im gleichen Saal.
       Das ist schon eine Leistung, wenn man bedenkt, dass gerade linke Parteien
       schnell zur Spaltung neigen, wenn eine Gruppe meint, dass die andere von
       der reinen Lehre abweicht. In Frankreich traten sechs irgendwie linke
       Parteien bei den Präsidentschaftswahlen gegeneinander an.
       
       ## Spaltertendenzen elegant kanalisiert
       
       Die Linke hat Spaltertendenzen elegant kanalisiert, indem sie
       unterschiedliche Strömungen akzeptiert, die wie Parteien in der Partei
       agieren – mit eigenen Satzungen, Webseiten und Treffen. Da gibt es das
       Forum Demokratischer Sozialismus, das viele Reformer aus den ostdeutschen
       Landesverbänden bindet und als eine Art linke SPD wahrgenommen wird.
       
       Da gibt es die emanzipatorische Linke, die für das bedingungslose
       Grundeinkommen wirbt und Berührungspunkte zu Grünen hat. Auf der anderen
       Seite des Spektrums stehen die Antikapitalistische Linke und die
       Kommunistische Plattform, wo sich die Gesinnungsethiker treffen, die Angst
       davor haben, dass mit einer Regierungsbeteiligung der Ausverkauf linker
       Grundsätze beginnt.
       
       Die Linke präsentiert sich als „gleichsam informelles Mehrparteienbündnis
       mit (…) mit konträren Vorstellungen über ihre Rolle und ihren
       Gebrauchswert“, wie Cornelia Hildebrandt von der parteinahen
       Rosa-Luxemburg-Stiftung bereits 2010 analysierte. Am Befund hat sich wenig
       geändert. Vielleicht agieren die verschiedenen Strömungen heute nicht mehr
       so verbissen gegeneinander wie damals; das heißt jedoch noch nicht, dass
       sie miteinander agieren.
       
       Die Gefahr, dass das Projekt Linkspartei implodiert, wenn man
       Grundsatzfragen zur Abstimmung stellt, ist zweifellos da. Aber dennoch muss
       die Linke einen Weg finden, sich geschlossen und pluralistisch zugleich zu
       präsentieren. Sie muss gerade in den hier angesprochenen heiklen Fragen
       deutlich machen, was sie will, statt nur zu agitieren, was gar nicht geht.
       
       ## Weber widerlegen
       
       Kurz: Sie muss Weber widerlegen – und verantwortliche Gesinnungsethiker
       hervorbringen. Ein solcher Selbstklärungsprozess machte es den
       R2G-Kritikern bei Grünen und SPD dann auch nicht mehr so einfach, die Linke
       für das Scheitern dieser Option verantwortlich zu machen. Vielmehr ließen
       sich mit linken SPDlern und Grünen Vorstellungen für ein gemeinsames
       Regierungsprojekt R2G entwickeln.
       
       Denn eines ist klar: Egal, wie hoch oder wie tief man die Linkspartei
       schätzt – am Ende ist nicht sie es, die darüber entscheidet, ob 2021 eine
       Regierung links der CDU gebildet wird. Sondern die SPD. Die Linkspartei
       kann die SPD vor sich hertreiben. Sie muss das aber wirklich wollen.
       
       21 Sep 2017
       
       ## LINKS
       
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