# taz.de -- Die Wahrheit: Verfickter neuer Tonfall
       
       > Die Bundestagswahl hat den Umgangston der öffentlichen Debatte ins
       > Dissonante verschoben. Endlich geht der beherzte Griff ohne Umweg in die
       > Kloake.
       
 (IMG) Bild: Podium für Gauland, den Geschichtsklitterer („Mitte“ rechts): das Talk-Studio von Markus Lanz
       
       Liebe Leserinnen und Leser . . . oder lassen Sie mich zeitgemäßer,
       ehrlicher und robuster beginnen: Verachtete Champagnerlinke,
       Eigenheimfaschisten, Arschgeigen, Fotzengesichter, Volksverräter,
       Kinderficker und KZ-Kommandanten – let’s face it: Die Bundestagswahl hat
       den Umgangston nun auch in der öffentlichen Debatte ins Dissonante
       verschoben. Eine redepolitische Wende um 180 Grad.
       
       Wo zuvor auf Samtpfötchen um Probleme herumgeschwänzelt wurde, geht nun der
       beherzte Griff ohne Umweg tief in die Kloake. Eine deutliche Duftmarke hat
       hier die neue SPD-Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles gesetzt, als sie der
       Union in Aussicht stellte: „Ab morgen kriegen sie in die Fresse!“
       
       Anderswo „grabben“ wir uns alle längst bei der „pussy“, und das mit viel
       Erfolg sogar bei den Damen. „Fresse“ ist da schon ein guter Anfang für
       jemanden, der, die Älteren erinnern sich, vor Jahr und Tag noch glaubte,
       mit dem Nachträllern des Titellieds von „Pippi Langstrumpf“ als frech und
       volksnah gelten zu können – zumal sogar Goebbels, die Allerältesten
       erinnern sich, immer lieber von „Visagen“ gesprochen hat.
       
       So reden wir also jetzt? So redet das „liebe Volk“ (Björn Höcke) schon
       lange, wenn ihm im Verkehr jemand die Vorfahrt nimmt („Wichser!“). Nun
       endlich sind die Filterblasen der Stammtische und digitalen Swingerclubs
       endlich geplatzt, ihr zähflüssiger Eiter dringt in jede Ritze des
       Establishment. Jawohl, Ritze.
       
       Ah, tut das gut! Es hat etwas Befreiendes, wenn die rhetorischen Hüllen
       fallen und die moralischen Bremsklötze weggeschubst sind. Immerhin will
       selbst die engagierte Trillerpfeifenlinke ausweislich ihrer „FCK
       AFD“-T-Shirts den politischen Gegner nicht etwa diskursiv stellen, sondern
       „fckn“ oder sogar ficken, also richtig schön aggressiv durchnudeln.
       
       In der Tourette-Republik Deutschland werden künftig andere Saiten abgezogen
       und zweimal um die Handgelenke gewickelt, um damit jede fruchtbare
       Auseinandersetzung zu strangulieren. Die Breitmaulkröte von der SPD hat das
       vollumfänglich verstanden. Erst wird die Scheiße mit Schmackes an die Wand
       geworfen und hinterher zum „Scherz“ erklärt. Wer’s trotzdem riecht und gut
       findet, kann einer „Kampfeslust“ applaudieren, die, Hand aufs Herz, dem
       Säufer aus Würselen irgendwie abging.
       
       In diesen neuen Wind müssen auch wir Schreiberlinge unser Fähnchen hängen,
       wollen wir nicht den Anschluss verlieren. Bald werden auch in Talkshows die
       Dinge beim Namen genannt, wird Gregor Gysi mit „Giftzwerg“, Alexander
       Gauland als „Dörrfleisch“ und Christian Lindner (von Claus Strunz,
       vorpreschend, bereits am 30. August auf Sat.1) als „scharf“ angesprochen.
       
       Der reaktionäre Hochstapler Wilhelm von Humboldt brabbelte viel, wenn der
       Tag lang war. Als blindes Huhn fand er aber auch mal ein Korn: „Sprache ist
       gleichsam die äußere Erscheinung der Völker; ihre Sprache ist ihr Geist und
       ihr Geist ihre Sprache, man kann beide nie identisch genug denken.“
       
       29 Sep 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Arno Frank
       
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