# taz.de -- Debatte SPD als Oppositionspartei: Wählt sie ab!
       
       > Die SPD wird die Wahl verlieren – und das ist auch gut so. Wer die
       > Sozialdemokratie erhalten will, muss sie jetzt in die Opposition
       > schicken.
       
 (IMG) Bild: Die SPD sollte es besser in der Opposition versuchen
       
       Hier steht nichts Schadenfrohes zu lesen. Dieser Text ist einer des Kummers
       – dass nämlich eine Partei, die sich aus ihrer Geschichte unter anderem das
       Verdienst anheften darf, sich dem Nationalsozialismus nicht ergeben zu
       haben, dem Untergang geweiht ist. Und zwar durch eigenes Verschulden. Die
       Rede ist von der SPD, die am kommenden Sonntag das schlechteste Ergebnis
       der Nachkriegszeit einfahren wird. Und das ist auch gut so.
       
       Die Niederlage der SPD wird auf mittlere und lange Sicht ein Segen für
       diese Partei sein, denn sie kommt als politische Organisation der Figur
       eines Dauererschöpften gleich. Der Partei ist weitgehend klar, dass Angela
       Merkel nicht besiegt werden kann, jedenfalls nicht aus einer Konstellation
       heraus, in der sie selbst mit der Union und ihrer Kanzlerin alliiert.
       
       Das Debakel hat auch mit einem unzulänglichen Angebot der SPD selbst zu
       tun. Sie ist die Partei der klassischen Industriearbeiterschaft und der im
       öffentlichen Dienst Beschäftigten. Das kann ihr nicht verübelt werden, aber
       schon, dass sie die Fühlung zu jenen eingebüßt hat, die zu ihrer
       Kernkundschaft zählen müssten: den prekär Beschäftigten, den Unsicheren,
       den nicht tariflich gut Abgesicherten. Jenen, die nicht mal mehr zu
       fantasieren vermögen, dass ihre Einkommen ohne tägliche Existenzangst
       reichen und ihre Renten für ein würdiges Alter.
       
       Die SPD kann sich nur in der Opposition erneuern, sie braucht überhaupt
       eine Distanz zum realexistierenden Regierungsgeschehen, um, falls ihr dies
       geistig und organisatorisch noch möglich ist, Distanz zum eigenen Tun seit
       Beginn von Gerhard Schröders Kanzlerschaft zu finden. Diese Partei wird
       ohnehin schwächer werden, und das wird sie erst recht, buhlte sie weiterhin
       um Teilhabe an einer Koalition mit der Union. Wenn sie weiter dem
       Glaubenssatz ihres früheren Vorsitzenden Franz Müntefering folgt –
       „Opposition ist Mist!“ –, wird sie sich 2021 hinter der AfD wiederfinden:
       marginalisierter denn je.
       
       ## Die SPD hat aufgegeben
       
       Die Granden der SPD würden am liebsten weitermachen wie bislang – Sigmar
       Gabriel, Andrea Nahles und Thomas Oppermann, am wenigsten gewiss noch
       Martin Schulz: Man hat den Kampf um eine echte politische Alternative
       aufgegeben und wird ihn deshalb auch aus dieser Position heraus nie
       gewinnen können. Mag es auch Wähler*innen geben, die kundig anerkennen,
       ohne die Sozialdemokraten hätte es eben bestimmte Reformen in den
       vergangenen vier Jahren nicht gegeben: Es sind nicht so viele, die dies so
       sehen, die Kanzlerin hätte sonst nicht den jetzt schon garantierten Erfolg.
       
       Zu einer kämpferischen Reformationsstimmung würde auch gehören, sich von
       einer Anmutung zu verabschieden, die auf allzu große Nähe zum
       grünalternativen Kulturmilieu deutet. Sozialdemokraten fehlt inzwischen
       überhaupt das Ruppige, das glaubwürdige Selbst(-bild) von Maloche und
       Mühsal, das sie von den Grünen unterscheidet. Sie könnte, wie es im Übrigen
       in der Ära Willy Brandts üblich war, sich dem kulturellen Mainstream der
       Republik öffnen. Um es schroff zu formulieren: mehr Kleingartenverein mit
       Gartenzwergen als Urban Gardening mit Hippieappeal, mehr Achtsamkeit
       Handwerksgesell*innen gegenüber als Gymnasiast*innen. Diese Partei könnte
       so wieder kulturell anschlussfähig werden für jene Proletarisierten, die
       sich partout mit dieser satt aussehenden SPD nicht identifizieren können
       und in ihrer Wut eher der AfD zuneigen.
       
       Die SPD hätte auf ihre verbliebene Basis stärker hören sollen, die vielfach
       während der Flüchtlingseinwanderungen signalisierte, Merkels Satz „Wir
       schaffen das“ sei falsch, weil das eine das Humanitäre, das andere das
       Soziale ist. Die Fragen stellt nach der Integration in den Schulen, nach
       mehr bezahlbarem Wohnraum. Dieser Wille zur politischen Empfindsamkeit dem
       Alltag jenseits des Berliner Regierungsgeheges fehlt der SPD inzwischen
       völlig.
       
       Sie muss jedoch eine Partei sein, die sich nicht im gesetzgeberischen
       Kleinklein (mit für viele Menschen großen und guten Wirkungen) erschöpft,
       sondern überhaupt den Umbau zu einer sozialeren und nicht allein
       mittelschichtsfördernden Republik anstrebt. Die nicht, um es drastisch zu
       sagen, vor den Wohlhabenden in die Knie geht, sondern sie
       verfassungspatriotisch in die Pflicht nimmt, für die Lebenschancen von
       Prekarisierten (womit nicht beschäftigungslose Akademiker*innen gemeint
       sind) mit Verantwortung zu übernehmen.
       
       Die SPD muss wieder populär werden, und das ist längst nicht mehr der Fall,
       weil ihr das Flair abgeht, für mutige Zukunftsentwürfe zu stehen, für eine
       Politik, die nicht nur am Flickenteppich der sozialen Wünschbarkeiten
       bastelt. Hartz IV mag für sie ein Imageproblem bringen, das wahre Desaster
       der Sozialdemokraten liegt in ihrer Bindungsarmut zu den Unterschichten
       begründet. Schon sprachlich ist ihr nichts eigen, was noch wirklich
       verfangen könnte: „Innovationsmodule“ – Technokratendeutsch durch und
       durch. Aber wie sollte es auch anders sein? Leute wie Gabriel, Oppermann
       und mit ihnen die Parteizentrale im Willy-Brandt-Haus verströmen die
       Atmosphäre von Menschen, die ihre Schäfchen lange schon im Trockenen haben.
       
       ## Die männlichen Granden wegkegeln
       
       Zu schlechter Letzt: Es wird Zeit, dass der sozialdemokratische
       Reformationsprozess, der auch eine quälende Selbstfindung mit
       Depressionsschüben nach sich ziehen wird, von einer Person geleitet wird,
       die nicht an die Spitze gebeten wurde, weil die anderen um ihre
       Verbrauchtheit wissen. Sie wird einige Jahre brauchen, um ihre Partei aus
       dem Ist-doch-egal-wir-sind-auch-GroKo-Modus rauszuholen. Eine Frau eben,
       eine, die die männlichen Granden wegzukegeln weiß. Wie das geht? Angela
       Merkel weiß das gut. Nun, Frau Schwesig, Frau Dreyer, Frau Nahles?
       
       Wer der SPD einen Wiederaufstieg wünscht, wer sie als wichtig erhalten
       möchte, wählt sie aus der Regierung ab. Sonntag ist die Chance hierzu. Ich
       plädiere für ein politisch neues Momentum. Jamaika soll es sein. Was denn
       sonst?
       
       19 Sep 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jan Feddersen
       
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