# taz.de -- Der Hausbesuch: „Ich bin ein Nomade“
       
       > Schon als er im kurdischen Dorf in Syrien aufwuchs, spürte er die Unruhe.
       > Anfangs dachte er, er suche Ziele. Doch das Gefühl blieb.
       
 (IMG) Bild: Ibrahim Ahmad in seinem Appartment – wahrscheinlich wieder nur eine Zwischenstation
       
       Es dauerte, bis Ibrahim Ahmad verstand, dass er ein Wanderer ist. Zu Besuch
       bei einem geflüchteten Syrer, der derzeit in Mannheim lebt.
       
       Draußen: Weiß getüncht ist das Wohnhaus in der Rheinhäuser Straße mitten in
       Mannheim. An der Fassade sind viele Fenster, aber keine Balkone. Eher am
       Stadtrand als mitten im Zentrum stehen solche halbgroßen, halbhohen Blocks.
       Im Garten hinterm Haus spielen Kinder.
       
       Drinnen: Ibrahim Ahmads Apartment wirkt leer. Ein paar Möbel stehen drin,
       ein graues Sofa, ein Fernseher. Ein Zeichentrickfilm läuft. Die Figuren
       sprechen deutsch. Daneben ein Tischchen ohne Nippes, ein Bücherregal ohne
       Bücher. Stattdessen stehen Teddybären darauf. Teddybären aus Plüsch, aus
       Kristall, aus Keramik, aus Holz. Ist doch einmal etwas anderes, dazwischen
       wirkt die wunderschöne Büste einer Herrscherin aus dem Königreich von
       Ugarit, wie ein Fremdkörper.
       
       Ugarit war ein Stadtstaat im Norden von Syrien am Mittelmeer, der um 1170
       v. Chr. zerstört wurde. Inschriften auf Ton, die in Ugarit gefunden wurden,
       zeigen, dass dort bereits 1.400 Jahre vor Christus – und damit viel früher
       als anderswo – eine alphabetische Schrift entwickelt worden war mit 30
       Buchstaben, die sich an den Sprechlauten von Vokalen und Konsonanten
       orientierten. Die Skulptur ist das einzige Erinnerungsstück, das Ibrahim
       Ahmad aus Syrien mitgebracht hat.
       
       Grenzen: Ahmad ist 29 Jahre alt; geboren im Nordosten Syriens, dort, wo die
       Leute Grenzen nicht als Grenzen sehen, dort wo im Kurdengebiet Syrien mit
       der Türkei, dem Iran und Irak zusammentrifft. „Ich bin in einem winzigen
       kurdischen Dorf am Fluss Tigris aufgewachsen, aber so lange ich denken
       kann, konnte ich mir nicht vorstellen, dort zu bleiben.“ Er erzählt, wie er
       die Jungs in seinem Dorf beobachtete, die illegal in die verschiedensten
       Länder in Europa reisten auf der Suche nach einer Zukunft. „Mein kleines
       Dorf hatte Verbindungen in große europäische Länder wie Deutschland und
       Schweden.“
       
       Damaskus: Auch er machte sich auf den Weg, ging zum Geophysikstudium nach
       Damaskus. Er ahnte, dass es nicht seine letzte Station sein wird. Er liebte
       die deutsche Kultur und er hatte gehört, Kurden sind in Deutschland
       willkommen. „Ich habe immer gewusst, dass es ein nächstes Ziel geben wird.“
       (Er sagt das, springt dabei auf, fragt, ob es zu kalt in der Wohnung sei
       und ob er das Fenster schließen soll.) In der Zeit begann er, am
       Goethe-Institut in Damaskus Deutschkurse zu belegen. In Deutschland den
       Master in Geophysik zu machen, war nämlich so eine Überlegung von ihm.
       
       Erbil: Dann allerdings kam die syrische Armee dazwischen. Er wollte nicht
       hin, musste das Land verlassen. „Okay, Erbil“, dachte er, „ziehe ich da
       hin.“ Erbil ist die Hauptstadt der Autonomen Republik Kurdistan im Irak.
       Dort fand er einen tollen Job; es ging ihm gut. „Ich versuchte alles, um
       anzukommen und für einen kurdischen jungen Mann ist es ein sehr guter Ort.“
       
       Aber so einfach war es dann doch nicht. Man verlangte, dass er eine
       bestimmte Partei eintrete, er wollte nicht. Man nannte ihn den „syrischen
       Jungen“. Was hätte bekannt sein sollen, war in Wirklichkeit fremd. „Es ist
       schon komisch“, sagt er, „dass ich in Syrien Kurde war und nun in Kurdistan
       Syrer.“ Was freundlich war, wurde unsicher. Unruhe befiel ihn, es war, als
       verliere er den Boden unter den Füßen. (Mehr kann er nicht sagen, er hat
       noch Familie dort.)
       
       Maribo: Das Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen UNHCR in
       Erbil erkannte Ibrahim Ahmads Notlage und unterstützte ihn bei der Flucht
       2015 nach Dänemark. Er fand Unterschlupf in einem kleinen Haus in dem
       kleinen Städtchen Maribo auf der Insel Lolland. Da er annahm, nun am Ziel
       zu sein, arrangierte er sich mit den Umständen, baute neue Freundschaften
       auf und half anderen Flüchtlingen, sich mit den Gegebenheiten zu
       arrangieren.
       
       Er spricht Kurdisch, Arabisch, Englisch und übersetzte für Flüchtlinge, die
       kein Englisch konnten. „Es gefiel mir in Maribo, aber ich hatte immer das
       Gefühl, es fehlt etwas. Oder liegt es vielleicht daran, dass ich nicht
       weiß, wie es sich anfühlt, sicher und stabil zu leben?“, fragt Ahmad. (Dann
       springt er auf, geht in die Küche, um Kaffee zu kochen. Das machen wir
       Syrer gern, wenn wir merken, eine Unterhaltung nähert sich den echt
       emotionalen Fragen.)
       
       Kopenhagen: 2016 zog er nach Kopenhagen. Er suchte dort einen Job. Immerhin
       hatte er einen Bachelor in Geophysik und war als Student für den Master
       eingeschrieben. „Ich fand Jobs als Putzkraft und in Taco Restaurants.“
       Freunde hatten ihm geraten, nicht wählerisch zu sein, um so Zugang zur
       dänischen Gesellschaft zu bekommen.
       
       „Aber Integration kann doch nicht bedeuten, dass ich meine Ausbildung über
       Bord werfe.“ Er dachte, er müsse das Ganze selbst in die Hand nehmen, und
       suchte sich durch die Jobangebote im Internet. In Mannheim gab es etwas,
       das ihn interessierte. Er bekam den Job, obwohl es nicht ganz einfach ist,
       als Flüchtling das Land zu verlassen, in dem man Asyl beantragt hat. Er
       schaffte es.
       
       Mannheim: „Ibrahim Ahmad, Regional Sales Manager at VAG-Group“ steht auf
       seiner Visitenkarte. VAG stellt Wasser- und Abwasserarmaturen her. „Meine
       dänischen Freunde waren beeindruckt und geschockt, als ich ging“, erzählt
       er nicht ohne Stolz. Sein Zuständigkeitsbereich im Job: der Markt in
       Europa, dem Mittleren Osten und Nordafrika. Allerdings tauchen ganz neue
       Schwierigkeiten auf.
       
       „Ich kann in alle Länder im Schengen-Raum reisen, aber Visa für arabische
       Länder zu bekommen, ist eine Riesenhürde“, sagt er. Sechs Monate wartete er
       auf ein Visa für Algerien. Und Visa für die Türkei wurden ihm mehrfach
       verweigert. Er hat Angst, seinen Job zu verlieren, wenn er nicht in die
       Länder reisen kann. (An der Stelle bittet Ibrahim Ahmad, das Aufnahmegerät
       auszustellen und eine Pause einzulegen.)
       
       Und was ist mit den Bären? Sie seien seine Lieblingstiere. „Vielleicht,
       weil ich immer eine Umarmung brauche?“ Ahmad ist alleinstehend. Seit er
       weiß, dass der Weg sein Ziel ist, entschied er, dass er kein Geld für Möbel
       oder Kochgeschirr und ähnliches ausgibt. Ernsthaft denkt er sogar darüber
       nach, nur Papiergeschirr zu benutzen.
       
       Seine obersten Lebensimperative: Zum einen seine Familie in Syrien zu
       unterstützen, zum anderen zu reisen. Er möchte Europa erkunden und die
       Menschen kennenlernen. (Er zeigt Fotos auf dem Handy, auf denen er in Rom
       vor dem Kolosseum steht.) „Ich bin ein Nomade.“ Sein Arbeitsvertrag bei VAG
       ist befristet auf zwei Jahre. Er weiß nicht, ob er in Mannheim bleiben kann
       oder sich aufmachen muss, ein neues Land zu suchen.
       
       18 Sep 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Khaled Alesmael
       
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