# taz.de -- Debatte Manipulation und Migration: Vom Nutzen der Mafia
       
       > Weil eine restriktive Migrationspolitik durchgesetzt werden soll, wird
       > die Kriminalität mafiöser Strukturen in den Fokus gerückt.
       
 (IMG) Bild: Flüchtlinge sind Mafia, Schleppern und Politik gleichermaßen ausgeliefert
       
       Im Wahlprogramm der CDU (ebenso wie in der Debatte Merkel– Schulz) fehlt
       der Allgemeinplatz nicht, dass „[1][den Schleppern das Handwerk gelegt
       werden muss]“, ihre menschenverachtenden Aktivitäten müssten energisch
       bekämpft werden und das Sterben im Mittelmeer müsse aufhören. Leider wissen
       wir ja, dass dies nicht nur hohle Phrasen sind. Vielmehr sind wir mit
       gedanklichen Verrenkungen europäischer Regierungen konfrontiert, die
       [2][weiteres Sterben] zur Folge haben werden.
       
       Nur vielleicht ein klein bisschen weiter weg, nicht mehr direkt vor den
       Stränden Siziliens. Der europäische Schutzwall gegen Migration steht,
       Grenztruppen mit Schießbefehl sind angeheuert – praktischerweise kriegt die
       CDU ihr Wahlprogramm in diesem Punkt sogar noch vor den Bundestagswahlen
       umgesetzt. Und die italienische Regierung muss sich bei den Wahlen Ende
       2017 oder Anfang 2018 nicht mehr gar so sehr vor den Rechtspopulisten des
       Movimento Cinque Stelle fürchten.
       
       ## Hauptsache abgewehrt
       
       Wie konnte es zu der Verdrehung kommen, dass das kriminelle Geschäft der
       Schleuser nun die Debatte bestimmt – und zwar so weit, dass sogar
       renommierte internationale NGOs plötzlich als die „Bösen“ dastehen, weil
       sie angeblich das Schleppergeschäft fördern? Über die italienische Marine
       mit ihrer Rettungsoperation „Mare Nostrum“ von Oktober 2013 bis Oktober
       2014 hätte man das schließlich auch mit Fug und Recht sagen können.
       
       Aber zu der Zeit stand das grundlegendste aller Menschenrechte im Fokus:
       das Recht auf Leben. Dass die Mafias an der Unterbringung der von der
       Marine an Land gebrachten Geflüchteten massiv verdient haben, wurde damals
       nicht größer thematisiert, obwohl man es bereits annehmen konnte, nicht nur
       in Italien, sondern wahrscheinlich auch in Berlin.
       
       Das Sprechen über Mafias/Schlepper/Menschenhändler ist nützlich geworden:
       Wir können uns jetzt auf der guten Seite fühlen, weil ja endlich etwas
       gegen ihr kriminelles Geschäftsmodell getan wird. Egal, ob das so überhaupt
       klappt. Und egal, dass dabei der Zweck der Kriminalitätsbekämpfung
       menschenrechtsverletzende Mittel heiligt: Hauptsache die Migration wird
       abgewehrt.
       
       Diese Diskursstrategie hat sich seit 2014 angekündigt. Die europäische
       Polizeiaktion „Mos Maiorum“ unter der italienischen EU-Ratspräsidentschaft
       koordiniert vom damaligen italienischen Innenminister Angelino Alfano war
       nicht nur ein europaweites Racial-Profiling-Projekt zur Ergreifung
       illegalisierter Migrant_innen. Vielmehr war erklärtes Ziel eben auch die
       Zurückdrängung krimineller Organisationen. Die gedankliche Verbindung war
       gemacht, noch während andernorts die staatliche Rettungsaktion „Mare
       Nostrum“ lief. Als dann Anfang 2015 der wegen Bedrohung und Beleidigung von
       Antimafiaaktivist_innen verurteilte Produzent Francesco Sbano zusammen mit
       dem Bayerischen Rundfunk eine Doku drehte über „Migranten im Netz der
       ’[3][Ndrangheta]“ konnten einem klar werden, dass sich hier eine diskursive
       Verbindung verfestigen sollte.
       
       ## Instrumentalisierter Kampf
       
       Über die Mafias zu reden, ist einfach zu nützlich, um eine
       menschenrechtsfeindliche Antimigrationspolitik durchzusetzen. Auch nachdem
       der Ex-Berlusconi-Intimus Alfano als Innenminister vom kalabrischen
       Sozialdemokraten und vormaligen Geheimdienstkoordinator Marco Minniti
       abgelöst wurde, ging die Strategie der Verbindung der Themen
       Flucht/Migration und Mafias/Schlepper weiter. Während alledem träumte
       Bundesinnenminister de Maizière seinen so lange als aberwitzig
       erscheinenden Traum von „Hotspots“ in der Wüste Libyens – zuletzt taten die
       Minister Minniti und de Maizière das ja auch gemeinsam im Juli auf einer
       Konferenz der italienischen Botschaft und des Vereins „Mafia? Nein Danke!“
       in Berlin.
       
       Die angebliche Bekämpfung krimineller, oftmals mafiöser Strukturen von
       Schlepperei und Menschenhandel werden auf durchsichtige Weise
       instrumentalisiert, um eine andere Migrationspolitik durchzusetzen. Der
       Test, ob es politischen Akteur_innen ernst ist mit der Bekämpfung dieser
       schweren Straftaten, wäre dabei sehr einfach: Werden Betroffene von
       Menschenhandel und die Opfer entsprechender Straftaten mit ihren
       Menschenrechten ernst genommen, oder nicht?
       
       Die deutschen Strafrechtsparagraphen § 232 ff StGB, die EU Richtlinie
       2011/36/EU und andere internationale Vertragswerke geben einen Rahmen vor,
       in dem sich die Debatte auch bewegen könnte. Unter anderem gibt es dort an
       verschiedenen Stellen Regeln zum Opferschutz. Es wäre nicht nur möglich,
       diese ernst zu nehmen, eigentlich wäre das sogar rechtlich geboten. Aber
       der politisch gewollte Ansatz eines Täter-Fokus beim Diskurs zur oftmals
       mafiösen Schlepperei drängt alles andere zur Seite.
       
       In Deutschland gibt es fast fünfzig Fachberatungsstellen für Betroffene von
       Menschenhandel, die in dem europaweit einmaligen KOK – Koordinierungskreis
       gegen Menschenhandel e. V. zusammengeschlossen sind. Die dort arbeitenden
       Expertinnen nehmen die Betroffenen mit ihren Menschenrechten ernst und
       haben sich über viele Jahre eine öffentlich zugängliche breite Expertise zu
       diesem Themenkomplex erarbeitet.
       
       ## Nützlicher Fokus
       
       Eine neue Bundesregierung könnte sich ja eine zentrale Forderung aus der
       Praxis zu eigen machen, um so auf eine menschenrechtsbasierte Art und Weise
       gegen kriminelle, oftmals mafiöse Netzwerke von Schlepperei und
       Menschenhandel vorzugehen: dauerhafte Aufenthaltstitel für Personen, die in
       Situationen von Menschenhandel leben und zu Opfern krimineller Handlungen
       geworden sind. Eigentlich sollte es ja im Sinne der
       Strafverfolgungsbehörden sein, sich des guten Willens dieser Expert_innen
       des Alltags im Menschenhandel zu vergewissern. Wie viel leichter wäre es
       dann auch, an hilfreiche Informationen zu kommen, anstatt durch das
       Auslesen von Mobiltelefonen nun auch noch Persönlichkeitsrechte im Bereich
       des Datenschutzes zu verletzen …
       
       Aber die täterfokussierte Art, wie der Diskurs zu krimineller und mafiöser
       Schlepperei zur Zeit in Deutschland, Italien und Europa geführt wird, ist
       einfach zu nützlich, damit wir es endlich schaffen, Migration abzuwehren.
       
       8 Sep 2017
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Benno Plassmann
       
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