# taz.de -- Fuchsbau-Festival in der Provinz: Blockparty im Schlamm
       
       > Gesprächsthema Nummer eins waren bei dem Festival die weiblichen DJs. Und
       > manches funktioniert hier, was sonst höchstens in Berlin geht.
       
 (IMG) Bild: Das Fuchsbau Festival stellt Momente her, in denen sich alle einig sind, obwohl es gar nicht darauf aus ist
       
       Die Intelligenzia bittet zum Tanz. In den letzten Jahren ist der Diskurs
       aus dem Indierock zur Dance Music gewandert. Die Anfänge von House und
       Techno sind längst akademisch historisiert, und die Fragen, die zwischen
       Clubbesuch, theorielastigen Blogposts und Mixcloud-Streams verhandelt
       werden, sind längst Alltag im Kunstbetrieb und in den angegliederten
       Hochschulen.
       
       Das Fuchsbau Festival in Immensen, einem kleinen Dorf in der Nähe von
       Hannover, verkörpert das perfekt. Auf dem Gelände einer ehemals besetzten
       Ziegelei treffen sich an drei Tagen 2.500 Menschen. Sie tanzen zu alten
       Stücken des Detroiter Techno-Kollektivs Underground Resistance, die in den
       frühen 1990ern produziert wurden, als ein großer Teil des Publikums noch
       nicht in der Schule war.
       
       Zwischen DJ-Sets und Liveauftritten kann es Installationen, Performances
       und Vorträge besuchen, die darum kreisen, wie unsere Identität im digitalen
       Kapitalismus konstruiert wird – und ob dieser Begriff überhaupt angemessen
       ist, wie die Journalistin Nina Scholz in einer Podiumsdiskussion anmerkt,
       da die Unterschiede zu vorherigen Formen kapitalistischer Wertschöpfung
       doch recht gering seien.
       
       Das Fuchsbau-Festival versucht, einen Weg zwischen theoretischer
       Fundamentalkritik und dem Ausloten praktischer Freiräume zu finden. Auf
       einer Cryptoparty lernt man, das eigene Smartphone zu verschlüsseln. Die
       Laptopmusikerin Holly Herndon spricht über die spezifischen Eigenschaften
       ihres digitalen Instruments. Eine Videoinstallation zeigt die Anime-Figur
       Uterus Man, die die Eigenschaften des weiblichen Körpers – Kinder zu
       gebären oder Monatsblutungen – als Waffen eines Superhelden nutzt.
       
       ## Endgegner alles Festivals: der Regen
       
       Das deutsch-niederländische Performance-Duo Pony Camp parodiert mit einem
       10-Stufen-Kurs den Pop-Feminismus von R’n’B-Superstar Beyoncé und ihre
       Empowerment-Anrufungen. Nachdem sie von Beyoncé gelernt hatten, wie man
       sexy tanzt und sich erfolgreich bei anderen Künstlern bedient, durften die
       Kursteilnehmer schließlich „Queen Bey“ ihre Treue schwören – es ist Kritik,
       aber vorgetragen aus der Perspektive zweier Fans.
       
       Das alles ist ehrenamtlich organisiert und öffentlich gefördert – ohne das
       Gelände mit Sponsorenlogos zu überziehen und ohne mit elektronischen
       Zahlungssystemen die Daten der Besucher abzugreifen, wie es mittlerweile
       Standard ist. Trotzdem muss sich auch das Fuchsbau mit dem Endgegner aller
       Festivals herumschlagen: dem Regen. Die Regenfälle am Freitag sorgen dafür,
       dass das Gelände am Samstag, dem zweiten Festivaltag, im Schlamm versunken
       ist. Im lokalen Schuhdiscounter sind als Folge die Gummistiefel in den
       gängigen Größen ausverkauft.
       
       In der vorherigen Nacht, am Freitag, stand das Global-Bass-Quintett Kuenta
       i Tambú auf der Hauptbühne. Zwei Drummer schichteten ihre Rhythmuspatterns
       zu einem Trommelfeuer des Global Ghettotech. Darüber rappten ein weiblicher
       und ein männlicher MC auf Englisch und Spanisch, ein DJ streute Samples
       ein.
       
       Immer wieder verfielen die fünf Niederländer in die Posen postkolonialer
       Dance Music, die ihren Kontext verlieren, sobald sie auf eine Festivalbühne
       treffen und trotzdem funktionieren. Oder gerade deswegen? Hunderte jubelnde
       Tänzer, die anderthalb Stunden mit ihren Plastikponchos dem strömenden
       Regen trotzten, können hier nicht irren.
       
       ## Übermenschliche Rhythmusmuster
       
       Auch nicht falsch gelegen haben diejenigen, die die deutsche R’n’B-Sängerin
       Ace Tee im letzten Winter zu einem Viralhit in den USA gemacht haben. Mit
       ihrer Debütsingle „Bist du down?“ vertonte sie die Nostalgie nach einer
       Zeit, die es im deutschen HipHop nie gegeben hat. Die reduzierte Eleganz
       digitaler R’n’B-Produktionen trifft bei Ace Tee auf die Spielfreude der
       goldenen HipHop-Zeit der mittleren 1990er.
       
       Kurz nach Mitternacht steht sie am Samstag beim Fuchsbau auf der Bühne,
       begleitet von einem Rapper, einem DJ und vier Tänzerinnen. Ace Tee beginnt
       ihr Set mit ein paar entspannten Beats der alten Schule und liefert sich
       punktgenaue Rapduelle mit ihrem Partner Kwa.me. Das funktioniert, weil
       beide ihre Performance nicht als Ausdruck von Befindlichkeiten verstehen,
       sondern als Soundtrack zu einer Blockparty im Schlamm. Nach einer Stunde
       verabschiedet sich Ace Tee von 1.000 durchgeschwitzten Zuschauern mit einem
       Grime-Stück des britischen Rappers Skepta – und einem Moshpit.
       
       Das Tolle am Fuchsbau Festival ist, dass es nicht darauf kuratiert ist,
       solche Momente, in denen sich alle einig sind, herzustellen, aber dass sie
       trotzdem entstehen. Am Samstag bespielt die Berliner DJ Sarah Farina eine
       der beiden großen Bühnen. Farina ist eine der wenigen deutschen DJs, die
       sich der Bassmusik verschrieben haben. Das Publikum dafür ist in
       Deutschland klein; der Berliner Club Gretchen, wo Farina regelmäßig
       auflegt, ist einer der wenigen Orte für diese Musik. Aber ihre Sets
       funktionieren auch in der niedersächsischen Provinz.
       
       Farina mischt sich durch die 30-jährige Geschichte des Hardcore Continuum,
       das Breakbeats und schwere afrokaribische Bässe zu immer wieder neuen
       Stilhybriden collagiert hat. Rund 400 Tänzer verfolgen ihr Set, und Farina
       verliert sie selbst dann nicht, als sie sich in Bereiche vorwagt, in denen
       sich die Breakbeats überschlagen und so Rhythmusmuster entstehen, die
       übermenschlich sind.
       
       Aber auch in anderer Hinsicht ist Farinas Set exemplarisch. Egal ob hinter
       der Bühne oder am Bierstand: fast immer sind die Auftritte von
       Künstlerinnen das Gesprächsthema, nicht die ihrer männlichen Kollegen. Am
       Samstag steht die schwedischiranische Rapperin Nadia Tehran auf der großen
       Bühne. Ihr Rock ist zerschnitten, ihr DJ spielt eine Mischung aus
       übersteuerten digitalen Beats und Samples iranischer Folksongs.
       
       ## Sexuelles Kapital
       
       Nadia Tehran steht dazu am Bühnenrand und rappt über Geflüchtete aus dem
       Iran – und wie sie Zivilpolizisten enttarnt. Wie viele Rapperinnen spielt
       Nadia Tehran mit Posen, die sie dem sexistischen Blick männlicher
       HipHop-Fans entreißt. Die Reaktionen darauf sind gemischt. Junge Frauen
       tanzen vor der Bühne, am Rand schauen ein paar ältere Besucherinnen
       skeptisch.
       
       Auch die Berliner Elektronik-Musikerin Born in Flamez provoziert am
       Freitagabend durch ihre Selbstverständlichkeit. Sie steht mit Balaclava
       hinter ihrem Laptop, verfremdet ihre Stimme ins Androgyne und widmet ihr
       Set „Björk und allen weiblichen Elektronikproduzentinnen“. Ihre Musik
       changiert dabei zwischen dem Heimstudiocharme alter Drumcomputer und
       analoger Synthesizer und einem Wall-of-Sound, dessen digital geschredderte
       Samples und Subbässe prompt für Reaktionen sorgen. Zwei junge Männer mit
       Baseballkappen grölen sie an und würden lieber Techno von einer DJ hören,
       die aussieht wie Popstar Katy Perry.
       
       Damit illustrieren die beiden, was die Soziologin Eva Illouz am Samstag in
       einem Vortrag beschreibt: Im Digitalkapitalismus ist die Machtasymmetrie
       zwischen den Geschlechtern noch lange nicht aufgehoben. In einem mit 300
       ZuhörerInnen vollbesetzten Saal erläutert Illouz anhand der Dating-App
       Tinder, wie in unserer digitalisierten Gegenwart sexuelles Kapital erzeugt
       und bewertet wird. Tinder navigiere dabei zwischen dem ideologischen
       Versprechen einer beständigen romantischen Liebe und einer mithilfe der
       Technologie erzeugten Chance auf häufig wechselnde SexualpartnerInnen.
       
       Weil diese aber hauptsächlich durch das Betrachten von Profilbildern
       ausgewählt werden, belohne die App konventionelle Formen von Schönheit.
       Gleichzeitig ermittelten die Algorithmen von Tinder die Attraktivität ihrer
       Nutzer auf eine Art und Weise, die den Benchmarking-Systemen zur
       Überprüfung der Leistung von Arbeitnehmern ähnlich sei. Dennoch verkündet
       Eva Illouz am Ende ihres Vortrags: „Ich bin optimistisch, dass wir die
       romantische Liebe loswerden können.“ Ob auch Festivals dabei eine Rolle
       spielen können – darüber schweigt sie. Leider.
       
       14 Aug 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Werthschulte
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Festival
 (DIR) DJ
 (DIR) elektronische Musik
 (DIR) Feminismus
 (DIR) Lesestück Recherche und Reportage
 (DIR) Indie
 (DIR) Björk
 (DIR) Rap
 (DIR) Elektronik
 (DIR) Müll
 (DIR) Kino
 (DIR) Flughafeneröffnung
 (DIR) Wacken
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Neues Album von Chris Cacavas: US-Indierock aus Langensteinbach
       
       Wie es den Wüstensohn Chris Cacavas in die süddeutsche Provinz verschlug
       und warum er dort gelegentlich Waschmaschinen installiert.
       
 (DIR) Album „Utopia“ von Björk: In Zeiten von Hass Liebe predigen
       
       Auf ihrem letzten Album verarbeitete die isländische Popsängerin Björk eine
       Trennung. Auf „Utopia“ singt sie von Hoffnung und empowert Frauen.
       
 (DIR) Hamburger Rapperin Ace Tee: Dissen ist nicht ihr Ding
       
       Tough, selbstbestimmt, hamburgerisch: Rapperin Ace Tee hatte mit „Bist du
       down“ einen Hit. Aus gutem Grund, auch wenn ihr der Schliff am Text fehlt.
       
 (DIR) Iranischer DJ über Kultur und Heimat: „Eine gute Party ist wie das Paradies“
       
       Gefängnis und Peitschenhiebe konnten Siamak Amidi nicht davon abhalten,
       seiner Heimat Iran die Clubkultur nahezubringen.
       
 (DIR) Nachhaltigkeit von Open-Air-Festivals: Volle Möhre wild und öko
       
       Sommer ist Festivalzeit. Immer mehr Veranstaltungen setzen auf
       Komposttoiletten, vegetarische Kost und umweltfreundliche Konzepte.
       
 (DIR) Filmfestival in Locarno: Platz für Sperriges
       
       Das Locarno Festival macht es seinem Publikum nicht leicht – belohnt aber
       mit Filmen, die man in anderen Wettbewerben so nicht sehen würde.
       
 (DIR) Kolumne „Behelfsetikett“: Aus der Gerüchteküche
       
       Niedliche Pandabären, ein ausschweifendes Bierfestival, der nie eröffnende
       BER und die Mär von den (Ostberliner) Tramfahrern in einer Kolumne!
       
 (DIR) Seelsorge in Wacken: Wenn der Bass auf die Seele drückt
       
       Donnernde Musik, schwarze Kutten, eine Bierpipeline – all das gehört zum
       Wacken Open Air. Aber Seelsorge durch einen christlichen Träger?