# taz.de -- Elke Twesten und andere Parteiwechsler: Das Hin und Her der Hinterbänkler
       
       > Meist werden sie mit Kusshand genommen: Politiker, die zum politischen
       > Gegner überlaufen. Eine kurze Geschichte der Fraktionswechsel.
       
 (IMG) Bild: Nicht nur im niedersächsischen Landtag werden immer mal wieder neue Verbindungen geknüpft
       
       Berlin taz | Seit dem Wochenende prangt ihr Konterfei an unzähligen
       Laternenmasten in Berlin. „Erststimme Canan Bayram“ steht groß auf den
       Plakaten. In ihre Kandidatin setzen die Grünen große Hoffnungen: Sie soll
       im Bundestagswahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg die [1][Nachfolge
       Hans-Christian Ströbeles] antreten. Dass Bayram seit mehr als zehn Jahren
       ohne Unterbrechung dem Berliner Abgeordnetenhaus angehört, dürfte dabei
       ihren Chancen nicht gerade abträglich sein. 2006 zog sie das erste Mal in
       das Landesparlament ein – für die SPD. Im Mai 2009 wechselte sie zu den
       Grünen. Ihr Mandat behielt sie.
       
       Fraktionswechsel hat es in der bundesrepublikanischen Geschichte immer
       wieder gegeben. Allerdings hatten sie nur selten solch gravierende
       Auswirkungen wie [2][der Übertritt der niedersächsischen Grünen] Elke
       Twesten Ende vergangener Woche zur CDU. Auch Bayrams Wechsel blieb
       seinerzeit folgenlos, zumal nur ein paar Tage später die Abgeordnete Bilkay
       Öney die Grünen in Richtung SPD verließ und damit das alte Kräfteverhältnis
       wieder hergestellt war.
       
       Nach Twestens Seitenwechsel ist nun viel von „Verrat“ und einer
       „Verfälschung des Wählerwillens“ die Rede. Lautstark fordern Grüne und SPD
       ihren Mandatsverzicht. Das ist verständlich, ist es doch für beide Parteien
       äußerst bitter, dass eine Hinterbänklerin ihre Koalition in Hannover kippt.
       
       Allerdings ist die rot-grüne Empörung wohlfeil. Denn wie für alle Parteien
       gilt auch für SPD und Grüne: Zur Mandatsrückgabe werden immer nur die
       aufgefordert, die nicht gerade in die eigene Fraktion wechseln. Und zwar
       völlig unabhängig davon, ob das jeweilige Mandat nun direkt oder über eine
       Landesliste errungen wurde. So fand die SPD Forderungen nach einem
       Mandatsverzicht von Dora Heyenn, die bei der letzten Hamburger
       Bürgerschaftswahl noch als Spitzenkandidatin der Linkspartei angetreten war
       und Mitte Juli ihren Wechsel in die SPD-Fraktion bekannt gab, völlig
       abwegig.
       
       ## Nicht immer zahlten sich die Wechsel aus
       
       Auch [3][Oskar Helmerich nahm die SPD mit Kusshand]. Der 57-jährige
       Rechtsanwalt war 2014 über die Liste der rechtspopulistischen AfD in den
       Thüringer Landtag gewählt worden. Im April 2016 nahm ihn die
       SPD-Landtagsfraktion auf. Für die rot-rot-grüne Koalition war das ein
       Glücksfall. Denn ein Jahr später wechselte mit Marion Rosin eine
       SPD-Abgeordnete zur CDU. Ohne Helmerich hätte Linkspartei-Ministerpräsident
       Bodo Ramelow jetzt keine Mehrheit mehr im Landtag.
       
       Dass Fraktionswechsel wirklich ein politisches Erdbeben ausgelöst haben,
       ist allerdings schon einige Jahrzehnte her: Weil sie die Ostpolitik Willy
       Brandts ablehnten, verließen zwischen Oktober 1970 und April 1972 drei
       Bundestagsabgeordnete die SPD sowie vier die FDP und schlossen sich der
       CDU/CSU-Fraktion an. Da noch drei weitere Abgeordnete der Koalition ihr das
       Vertrauen entzogen, verlor die sozialliberale Regierung ihre
       Parlamentsmehrheit.
       
       Im Wissen um weitere Abweichler innerhalb der Koalition, wagte die Union
       daraufhin den Versuch, Brandt per konstruktivem Misstrauensvotum zu
       stürzen. Das scheiterte zwar – wie man heute weiß dank der tatkräftigen
       Unterstützung des DDR-Ministerium für Staatssicherheit. Trotzdem sah Brandt
       keine anderen Ausweg mehr als vorgezogene Neuwahlen. Die gewann die SPD im
       November 1972 überraschend mit dem besten Ergebnis ihrer Geschichte.
       
       Für die Union hatten sich die Fraktionswechsel also nicht ausgezahlt –
       übrigens anders als für die abtrünnigen Sozial- und Freidemokraten, die von
       der CDU oder der CSU großzügig mit neuen Mandaten versorgt wurden.
       
       8 Aug 2017
       
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