# taz.de -- Kommentar Pressefreiheit und G20: Der Journalist als Bittsteller
       
       > Die vom G20-Gipfel gesperrten Journalisten bekommen keine Auskünfte.
       > Stattdessen werden Informationen anderen Medien anonym gesteckt.
       
 (IMG) Bild: Nicht alle durften mitfotografieren – aber warum?
       
       In Deutschland ist die Presse frei. Wer schreiben will, schreibt. Wer
       fragen will, fragt. Wer kritisieren will, kritisiert. Und wer als
       Journalist die Mächtigen kontrollieren soll, muss sie aus der Nähe
       beobachten können. Die Presse braucht weder Gewerbeschein noch
       Kammerprüfung, nicht Stempel und nicht Siegel.
       
       Ob ein Journalist bissig oder brav, brillant oder blöde ist, tut nichts zur
       Sache. Das ist ein nötiges Privileg in unserer Demokratie, die auf Checks
       and Balances gründet. Die Erlaubnis zur Berichterstattung wird nicht von
       der Regierung vergeben. Sondern vom Grundgesetz.
       
       Ja, Politiker müssen geschützt werden. Wenn die Polizei zur Ansicht kommt:
       Das ist kein Journalist, das ist ein mutmaßlicher Attentäter – dann muss
       sie eingreifen. Aber diese Entscheidung muss überprüfbar sein, von der
       Regierung, den Gerichten und letztlich vom Parlament. Die Pressefreiheit
       ist kein Blümchen, über das man einfach so drüberlatscht.
       
       Aber [1][so ist es gekommen beim G20-Gipfel] in Hamburg. Seither hat die
       Bundesregierung nicht aufgeklärt, sondern herumgedruckst und sich hinter
       dem Sicherheitsapparat versteckt, aus dem es nun wispert und wabert wie nur
       was.
       
       ## Laxer Umgang mit der Liste
       
       Der Reihe nach: Das Bundespresseamt hatte für den Gipfel rund 5.000
       Journalisten akkreditiert. Akkreditierte durften in einen abgesicherten
       Bereich, in dem sich das Pressezentrum befand und wo die
       G20-Pressekonferenzen abgehalten wurden. Aber kurz vor dem eigentlichen
       Gipfeltreffen entschied das Bundespresseamt, 32 Journalisten neu zu
       kategorisieren.
       
       Ihnen sollte ihre Akkreditierung wieder entzogen werden. Die Liste der 32
       wurde Polizisten ausgehändigt, um an den Eingängen abzugleichen, wer nicht
       mehr rein durfte.
       
       Neun Journalisten kamen zu den Kontrollpunkten, die anderen nicht. Aber
       manche Polizisten gingen mit Exemplaren der Liste lax um. Ein Fernsehteam
       filmte eine Seite. Nach und nach erfahren nun die Journalisten von
       Kollegen, dass sie auf der Liste stehen. Einige haben beim Bundespresseamt
       nachgefragt, bei dessen Chef Steffen Seibert, dem Sprecher der
       Bundesregierung. Nachdem ihn erst die Sicherheitsbehörden unter Druck
       gesetzt haben, steht er nun unter dem Druck der Presse.
       
       Seibert sagte, er habe den ganzen Dienstag nach dem Gipfel damit verbracht,
       „den Sachverhalt in seinen Einzelheiten zu durchdringen“. Was ja bedeutet:
       In der Gipfelwoche hat man einfach dem Drängen des Sicherheitsapparates
       nachgegeben. Ohne den Sachverhalt in seinen Einzelheiten zu durchdringen.
       
       ## Seibert sagt „Betroffener“, das BKA sagt „Petent“
       
       Den „Betroffenen“, wie er die Pressevertreter auf der Liste nun nennt,
       wollte Angela Merkels Sprecher nicht sagen, ob und warum genau sie auf der
       Liste standen. Er rate, sich an das Bundeskriminalamt zu wenden. Dass der
       Sprecher nur spricht, aber nichts sagt, ist schon bizarr. Aber es kommt
       noch eine Kleinigkeit hinzu.
       
       Die Polizei ist der gewählten Regierung untergeordnet. Die Geheimdienste
       sind es erst recht. Denn weil sie im Verborgenen arbeiten, kontrollieren
       Parlament und Gerichte sie nur sehr eingeschränkt. Sie sind in der
       Demokratie, zu deren Prinzipien die Kontrolle der Staatsgewalt zählt, im
       Grunde wesensfremde Gebilde. Und nun in dieser Stunde, da es gerade um das
       Verhältnis von Regierung und freier Presse geht, macht sich die
       Bundesregierung klein.
       
       Sie ist es, die sich Polizei und Geheimdiensten unterordnet. Die dürfen
       entscheiden, welche Informationen sie darüber herausrücken, dass sie den
       Zugang zur Berichterstattung verbieten ließen. Für die Information
       zuständig erklärt wird das Bundeskriminalamt. Dort haben die Journalisten
       einen neuen Namen: Seibert sagt „Betroffener“, das BKA sagt „Petent“.
       
       Der Journalist als Bittsteller – ja, herzlichen Glückwunsch!
       
       ## Wer wird welcher Tat beschuldigt?
       
       War's das? Noch lange nicht. Der Journalist muss jetzt warten. Bis der
       Sicherheitsapparat ihm gnädigerweise mitteilt, weshalb für ihn in Hamburg
       die Pressefreiheit erst galt und dann doch nicht. Während er wartet, haben
       die Leute aus dem Sicherheitsapparat schon mal gestreut, was man den 32 auf
       der Liste so vorwirft.
       
       In den Datenbanken habe es Einträge zu Körperverletzungsdelikten, Haus- und
       Landfriedensbruch und „Mitgliedschaft in einer gewaltorientierten
       Gruppierung“, gegeben, haben sie der [2][Welt ] gesteckt – natürlich
       anonym. Einer sei Reichsbürger, daneben gehe es um Landfriedensbruch, das
       Schmieren von Graffiti und andere Sachbeschädigungen sowie Verstöße gegen
       das Versammlungsgesetz, haben „Sicherheitskreise“ dem [3][Tagesspiegel ]
       geflüstert – ebenfalls anonym.
       
       Wer wird welcher Tat beschuldigt? Gibt es Anklagen? Verurteilungen? Wie alt
       sind die „Einträge“? Und wer hat hier eigentlich was eingetragen? Während
       die Bundesregierung den Journalisten die Auskunft verweigert, dürfen sie
       nachlesen, wie ein eigentlich der Regierung untergeordneter
       Sicherheitsapparat sie mit einem Sammelsurium von Vorwürfen überzieht.
       Nicht einzeln, als Gruppe. Nicht detailliert, nein – pauschal.
       
       Weil die Kriminalbeamten und Schlapphüte nach ihrem Eingriff in die
       Pressefreiheit kritisiert worden sind, werfen sie die 32 Journalisten
       vorsorglich in einen Topf. Vorwürfe rein, umrühren, fertig. Erst
       akkreditiert, dann diskreditiert.
       
       ## Und das mitten im Wahlkampfsommer
       
       All das lässt Angela Merkel geschehen. Dass bloß keiner kommt, sie stehe
       nicht voll zu Polizei und Geheimdiensten. Mitten im Wahlkampfsommer.
       
       Aber der Moment von Hamburg, als Journalisten auf eine Liste kamen, ist
       nicht irgendeiner. Es wurde ein grobes Instrument benutzt: das Verständnis
       von Pressefreiheit als etwas, das der Staat gewähren und wieder entziehen
       kann. Ganz ohne den Sachverhalt in seinen Einzelheiten zu durchdringen.
       Nun, nach einer Woche Sicherheitsdebatte, besteht die Gefahr, dass dieses
       Instrument dauerhaft in den Werkzeugkasten kommt. Wer verhindert das?
       
       14 Jul 2017
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Pressefreiheit-beim-G20-Gipfel/!5431020
 (DIR) [2] https://www.welt.de/politik/deutschland/article166623195/Auf-der-Schwarzen-Liste-standen-66-Namen.html
 (DIR) [3] http://www.tagesspiegel.de/politik/ausschluss-von-g20-gipfel-reichsbuerger-und-straftaeter-unter-den-32-journalisten/20059076.html
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Georg Löwisch
       
       ## TAGS
       
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