# taz.de -- SPD im Wahlkampf: Martin Schulz müht sich
       
       > Der Kanzlerkandidat rackert, seine Partei hat Ideen, aber bisher hilft
       > alles nichts gegen Merkels Mythos. Abschreiben sollte man die SPD aber
       > nicht.
       
 (IMG) Bild: Ein guter Wahlkämpfer ist Martin Schulz ja: Selbst zu den Niederbayern in Köching findet er einen Draht
       
       München taz | Martin Schulz ist vorsichtig geworden. Eigentlich könnte er
       jetzt mal auf diesen schwarzen Autositz in dem Fahrsimulator klettern. Er
       würde mit dem Joystick den Moon Rover über die silberne Mondlandschaft
       steuern, die auf dem gewölben Bildschirm vor ihm leuchtet.
       
       Der SPD-Steuermann, der durch eine virtuelle Realität cruist. Schönes Bild
       für die Fotografen, schönes Bild für ihn. Aber Schulz wittert Gefahr. Es
       könnte auch albern aussehen, eine Vorlage für spottlustige Medien. Deshalb
       darf ein Start-up-Mitarbeiter fahren, deshalb muss der bayerische
       SPD-Generalsekretär die Datenbrille einer anderen Firma aufsetzen, mit der
       er aussieht wie ein bärtiger Robocop im Anzug.
       
       Martin Schulz, 61, SPD-Chef und Kanzlerkandidat, ist auf Tour. An diesem
       Montag bekommt er im Münchner Technologiezentrum vorgeführt, was Bayerns
       Hightech-Start-ups so draufhaben. Eigentlich ist so eine Sommerreise eine
       ideale Gelegenheit, werbewirksame Fotos und ein bisschen Volksnähe
       herzustellen. Schulz war in München, bei Audi in Ingolstadt, im Kölner
       Fußballstadion, Donnerstag geht es weiter nach Hamburg. Aber die Vorsicht
       reist mit.
       
       Für Schulz kommt es ja inzwischen auf jede Stimme an, auch im tiefsten
       CSU-Country, wo die SPD keinen Fuß auf den Boden bekommt. Merkel fliegt in
       den Umfragen, seine SPD ist nur noch 24 Prozent wert. Schulz, den sie vor
       Kurzem feierten wie einen Messias, ist in den Mühen der Ebene angekommen,
       wo sich schon die Sigmar-Gabriel-SPD quälte.
       
       ## Beinhart gegen Krawalle
       
       Was hat Schulz noch in petto, um in knapp zweieinhalb Monaten bis zum
       Wahltermin am 24. September die Wende zu schaffen?
       
       Fein gestutzter Rasen, Blumenrabatte, das Palmenhaus mit hohen Fenstern,
       die SPD-Stadtratsfraktion lädt vor dem Schloss Nymphenburg in München zum
       Empfang. „Herr Schulz, warum wirken Sie so defensiv?“ Schulz könnte die
       Frage der TV-Reporterin mit einer Floskel abbügeln. Er hat wenig Zeit,
       gleich muss er eine Rede halten. Stattdessen stoppt er, Fotografen,
       Reporter und SPD-Prominenz mit ihm. Schulz legt los.
       
       Der CDU-Innenminister lasse – statt den Polizisten von Hamburg zu danken –
       „dumme Sprüche“ ab. Schulz ärgert kolossal, dass Konservative der SPD die
       Schuld an den Krawallen in Hamburg zuschieben wollen. Die Sozialdemokratie,
       so der Vorwurf, sei auf dem linken Auge blind. Schulz bollert den ganzen
       Montag dagegen an.
       
       „Mordbrenner“, „Versuchter Terrorismus“, „marodierende Banden“. Schulz ist
       mit beinharten Vokabeln unterwegs, wirbt für eine EU-Datenbank für
       Extremisten. Vor dem Palmenhaus legt er beim Empfang noch eine Schippe
       drauf. „Wir sind die Partei, deren Reichstagsabgeordnete sich Hitler in den
       Weg gestellt haben.“ Sozialdemokraten seien gegen Faschismus, aber auch
       gegen Linksextremismus aufgestanden, „da brauchen wir keine Belehrungen“.
       
       Hitler und das Ermächtigungsgesetz, größer geht’s nicht zwischen
       feierlustigen SPDlern in Anzug und Sommerkleid. Schärfer als Schulz kann
       man sich nicht von dem schwarzen Mob absetzen, der Straßen in Hamburg
       verwüstete. Schulz weiß, dass Themen der inneren Sicherheit eher bei der
       Union einzahlen, ihr schreiben die Wähler hier die höhere Kompetenz zu.
       
       ## Merkels mystische Fähigkeiten
       
       Dann wäre da ja noch Olaf Scholz. Hamburgs Regierungschef galt bis vor ein
       paar Tagen in der SPD als Top-Performer mit großer Zukunft: Bis 2009
       erfolgreicher Arbeitsminister, 2011 absolute Mehrheit in Hamburg, 2015
       starke Wiederwahl. Scholz war für den Chefposten im Bund im Gespräch, bevor
       Schulz es wurde. Nun kämpft er um seine politische Zukunft, auch weil er
       munter prahlte, manche Hamburger würden sich am 9. Juli wundern, dass der
       Gipfel schon vorbei sei.
       
       Martin Schulz zu sein macht im Moment keinen Spaß. Die Niederlagen in
       Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen stecken ihm in den Knochen, die
       knappe Zeit, den Wahlkampf auf ihn zuzuschneiden, handwerkliche Fehler wie
       die verpatzte Präsentation des Programms. Dann natürlich Merkel, der viele
       SPDler mystische Fähigkeiten andichten. Welches sozialdemokratische Thema
       hat sie eigentlich noch nicht gekapert?
       
       Schulz hat sich vorgenommen, die scheinbar Unangreifbare in die Arena zu
       zerren. Das wurde spätestens beim SPD-Parteitag in Dortmund Ende Juni
       deutlich. Gleich am Anfang seiner Rede landet Schulz einen Treffer. Die
       Kanzlerin nehme billigend in Kauf, dass die Menschen nicht zur Wahl gingen,
       wettert er. Das sei ein „Anschlag auf die Demokratie“. Applaus, die SPD ist
       ganz bei sich.
       
       Es stimmt ja. Die Wahlen 2009 und 2013 gewann Merkel mit einer
       Einschläferungstaktik. Sie vermied Zuspitzungen, duckte sich in relevanten
       Fragen weg – und verleitete so SPD-affine Wähler, zu Hause zu bleiben. Das
       Problem ist nur: Schulz hat gegen Merkels Strategie noch kein Rezept
       gefunden. Sein Vorwurf hat etwas Larmoyantes, schließlich ist es sein Job,
       ihre Lücke zu finden. Die SPD feuerte zuletzt fast im Wochentakt Konzepte
       raus. Was sie bei Rente oder Steuern will, ist durchaus vernünftig und
       würde Menschen mit mittleren und niedrigen Einkommen helfen.
       
       ## Die Ehe für alle war ein Wirkungstreffer
       
       Der Parteitag lief ordentlich, Exkanzler Schröder und die linke Juso-Chefin
       vertrugen sich, die Ehe für alle in der letzten Sitzungswoche vor der
       Sommerpause war ein Wirkungstreffer. Solche Erfolge darf sich der rackernde
       Schulz auf sein Konto buchen.
       
       Aber: Bisher hilft’s nix. Von Wechselstimmung kann nicht die Rede sein.
       Wenn man Spitzen-SPDler fragt, welches die Angriffslinie sei, mit der sie
       Merkel aus dem Amt jagen wollen, murmeln sie: Rente. Steuern. Das
       Kooperationsverbot bei der Bildung müsse weg. Die SPD hat den echten
       Kracher bisher nicht gefunden.
       
       Schulz greift in einem anderen Büro im Technologiezentrum in eine Schale
       mit Moos und reibt die Fingerspitzen aneinander. Ein junger Typ erklärt
       ihm, warum ein futuristisch aussehender Elektroflitzer namens „Sion“ das
       Auto der Zukunft sei. Eingebaut sei echtes Moos, das Feinstaub aus der Luft
       filtere, erzählt er. Außerdem seien überall rückseitig kontaktierte – will
       heißen: besonders effiziente – Solarzellen eingebaut.
       
       Schulz fragt interessiert nach, macht ein Witzchen. Rückseitig kontaktiert?
       „Dat kennsse, wenn de SPD-Vorsitzender bist“, sagt er. „Da biste immer
       rückseitig kontaktiert.“ Da ist etwas Wahres dran, Schulz sitzt sein
       Vorgänger im Nacken, mit dem ihn eine komplizierte Freundschaft verbindet.
       
       Sigmar Gabriel läuft im Außenamt zur Hochform auf – und zieht ab und zu im
       Kampf um die Schlagzeile am Chef vorbei. Am Tag, als die SPD Merkel die
       Vertragstreue bei der Ehe für alle aufkündigt, sitzen alle SPD-Minister in
       der Bundespressekonferenz. Gabriel vibriert vor Ungeduld, Schulz redet –
       Gabriel haut dann die schärfere Zuspitzung raus.
       
       ## Gabriel überholt den Chef
       
       Auch jetzt, nach Hamburg, überholt Gabriel Schulz. Er wetterte in der
       Debatte gegen „ein bislang nicht gekanntes Maß an Verlogenheit“ bei CDU und
       CSU. Wer Scholz’ Rückzug wolle, müsse auch Merkels Rücktritt fordern.
       Wumms. Gabriels Killerinstinkt ist berüchtigt, im Vergleich wirkt Schulz
       fast zahm.
       
       Es gibt Momente, in denen bei Schulz ein Genervtsein durchschimmert. Als
       ihn die Reporterin vor dem Schloss Nymphenburg von der Seite kritisch
       anquatscht, fragt er erst mal gedehnt zurück: Was sie denn genau meine mit
       „zu defensiv“? Dass die Medien jedes Detail deuten, dass ihm ein
       marktliberaler Journalist vorwarf, die Abi-Zulassung nicht geschafft zu
       haben, dass Kameras losrasseln, wenn er sich in der Pressekonferenz an der
       Glatze kratzt: All das kannte er vor seiner Kür zum Kandidaten nicht. Ein
       EU-Parlamentspräsident wird längst nicht so seziert wie ein
       Kanzlerkandidat.
       
       Abschreiben sollte man Schulz allerdings nicht: Hamburg zeigt ja auch, wie
       sehr plötzliche Ereignisse den Wahlkampf prägen. Schulz ist ein guter
       Wahlkämpfer, der schnell einen Draht zu Leuten findet. Er wird im TV-Duell
       am 3. September auf seine Widersacherin treffen, und seine inhaltliche
       Munition ist viel konkreter. Und, auch dies ist wichtig: Schulz hat die SPD
       mit sich versöhnt. Das ständige Gemurre über den Chef, das unter Gabriel
       zur SPD gehörte wie das Steigerlied, ist weg. Auf dem Parteitag konnte man
       mit begeisterten Jusos sprechen, die sich auf den Wahlkampf freuten. Sein
       Laden wird kämpfen.
       
       Aber wahr ist auch, dass es sehr schwer wird für Schulz, in einem Klima
       durchzudringen, das von Stabilitätssehnsucht geprägt ist. Vor dem
       Bildschirm mit dem Moon Rover macht Schulz noch ein Witzchen: „Können Sie
       auch virtuelle Wahlsiege?“, fragt er den Jungunternehmer. Gelächter. Nein,
       können sie nicht.
       
       Man könnte gut verstehen, wenn in diesem Scherz ein bisschen Ernst steckte.
       
       13 Jul 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulrich Schulte
       
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