# taz.de -- Friedliche Kirchen-Besetzung in Hamburg: Anarchisten statt Christen
       
       > Junge Leute haben eine leerstehende Kirche in Hamburg besetzt, um daraus
       > ein Jugendzentrum zu machen. Ihre Chancen stehen nicht schlecht.
       
 (IMG) Bild: Stand seit dem vorigen Jahr leer: die Thomaskirche in Hamburg-Rahlstedt.
       
       Hamburg taz | Die weißen Einfamilienhäuser mit ihren roten Schindeldächern
       leuchten in der Nachmittagssonne. Die Meiendorfer Straße mit ihren
       gepflegten Vorgärten ist eine der besseren Gegenden im Hamburger Stadtteil
       Rahlstedt. Die Nummer 47 ist dank eines Plakats an der Ecke zu einem
       Stichweg leicht zu finden: „Anarchistisches Sommerfest. Herzlich
       Willkommen“. Das „A“ ist eingekreist. Ein langer Weg durchs Grüne führt zu
       einer Kirche. Zufällig kommt hier niemand vorbei: Wer nicht im Viertel
       lebt, ist gekommen, um an dem angekündigten anarchistischen Fest
       teilzunehmen.
       
       Am Turm des Klinkerbaus aus den 1930er-Jahren hängen zwei Transparente: ein
       großes, blaues, darüber ein weißes mit der Aufschrift: „Ab jetzt besetzt
       und selbst verwaltet. Jugendzentrum HH-Ost“. Vor der Tür spielen zwei junge
       Männer Tischtennis. Dahinter steht ein Küchenzelt; auf einem Biertisch
       liegen Brot, Äpfel und gegrilltes Fleisch. Daneben steht eine Spendendose.
       
       Das nächste Zelt beherbergt eine anarchistische Bibliothek. Es gibt
       Zeitschriften, Bücher und Plakate. Wer etwas mitnehmen möchte, legt eine
       Spende in eine kleine Schachtel. „Um ein bisschen Theorie einzubringen“,
       sagt ein Mann mit Vollbart und schwarzer Mütze. Gegenüber spielt eine Band.
       Sie singen gegen Nazis und den G-20-Gipfel. Ein Kind spielt Kicker gegen
       seine Mutter.
       
       Ungefähr 30 Menschen, die meisten zwischen 20 und 35 und weiß, sind an
       diesem Sonntagnachmittag zusammengekommen. Viele wirken vertraut
       miteinander. Man trägt Tattoos, Piercings und läuft barfuß. Die Stimmung
       ist entspannt und bleibt es auch, als gegen halb sechs ein Mann in Anzug
       und Krawatte kommt. Er sieht nicht aus, als habe er vor, etwas zum
       anarchistischen Sommerfest beizutragen. Er ist offenbar ein Vertreter der
       Kirchengemeinde. Manche staunen, dass er nicht gleich die Polizei gerufen
       hat.
       
       ## Besetzung mit erfolgreichen Aussichten
       
       Die Kirche habe beschlossen die „Jugendlichen“ zunächst bis Dienstag zu
       dulden, sagt Remmer Koch, Pressesprecher des Kirchenkreises Hamburg-Ost. Im
       Verlauf des Tages sollte es Verhandlungen zwischen der Kirchengemeinde
       Meiendorf-Oldenfelde und den Besetzern geben. Bei Redaktionsschluss gab es
       kein Ergebnis.
       
       Die Gemeinde hatte den Sakralbau seit 2012 nicht mehr als Gemeindekirche
       genutzt. Das Gebäude war seitdem Hamburgs zweite Jugendkirche. Neun
       Gemeinden hatten hier ihre kirchliche Jugendarbeit im Modellprojekt
       „Jugendkirche und Konfi-Camp Hamburg-Ost“ gebündelt, das jedoch Ende 2016
       wegen Erfolglosigkeit eingestellt wurde.
       
       Die Besetzer sind deswegen optimistisch: „Die Kirche freut sich
       wahrscheinlich darüber, dass die Räume benutzt werden“, sagt Besetzer Toni,
       der von Anfang an dabei ist. Tatsächlich lobt die Kirche die Haltung der
       Besetzer: „Alles ist friedlich, es hat keine Krawalle gegeben“, sagt Koch.
       An dem Gebäude habe sowieso niemand Interesse.
       
       Seitdem die Jugendkirche das Gebäude am Ende des vergangenen Jahres
       verlassen hat, steht es leer. Toni will die Räume nutzen: „Generell im
       Hamburger Osten gibt es nicht viel Platz für Politik und Kultur. Das
       Kirchengebäude ist riesig, es ist ein geniales Gebäude für eine soziale
       Infrastruktur.“
       
       Wie soll das Gotteshaus nun wiederbelebt werden? Im Plenum wurde
       stundenlang über ein Konzept für das Zentrum diskutiert. Festgelegt wurden
       einige Prinzipien: eine größtmögliche Diskriminierungsfreiheit, die
       Offenheit und die nicht kommerzielle Ausrichtung des Projekts. Wenn die
       Verhandlungen mit der Kirche das ermöglichen, sollen als Erstes ein
       Gemüsegarten und eine Konversationsrunde für Flüchtlinge entstehen.
       
       Seit Sonntagnachmittag seien Hunderte Menschen vorbeigekommen, sagt Toni.
       Die Organisatoren seien eine offene Gruppe von etwa 30 Menschen. Unter den
       Besuchern seien viele Nachbarn. Ein paar hätten bei den Plenen mitgemacht,
       andere einfach einen Teil des Nachmittags dort verbracht. Überrascht hat
       ihn Zuspruch von anderer Seite: „Die Leute, die vorher bei der Jugendkirche
       aktiv waren, haben sich mit uns solidarisiert.“
       
       Die Polizei war am Dienstag auch kurz da, habe aber nur ein paar Fragen
       gestellt, so Toni. Äußern wollte sie sich nur so weit: „Es liegt keine
       Straftat vor“, sagte ein Sprecher.
       
       6 Jun 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Adèle Cailleteau
       
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