# taz.de -- Kommentar De Maizières Leitkultur: Weltfremde Parteifolklore
       
       > Es ist Wahlkampf und der Innenminister wendet sich schulterklopfend an
       > die eigene Klientel. Doch damit hat er den Anschluss in die Realität
       > verpasst.
       
 (IMG) Bild: Ordentlich, fleißig und leider auf dem Holzweg: Thomas de Maizière
       
       Innenminister Thomas de Maizière hat in der Bild am Sonntag eine
       „Leitkultur für Deutschland“ skizziert. Sie beschreibt „was uns leitet, was
       uns wichtig ist“. Er richtet sich damit vor allem an die Deutschen. Wenn
       sich möglichst viele von der Leitkultur leiten lassen, dann wird sie auch
       die Zuwanderer prägen und dann kann auch Integration gelingen.
       
       Der Minister listet darin aber vor allem den Wertekanon
       aufgeklärt-konservativer CDU-WählerInnen auf: Bildung, Leistung,
       Geschichte, Religion, Patriotismus. Zur Begrüßung gibt man sich die Hand
       und man trägt keine Burka. Kein Wort hingegen über soziale Gerechtigkeit,
       kein Wort über Umweltschutz, kein Wort über Weltoffenheit. Deutschlands
       Wertekanon ist sicher bunter als de Maizières bürgerlich-biedere
       Beschreibung. Vermutlich wendet er sich vor allem schulterklopfend an die
       eigene Klientel. Es ist schließlich Wahlkampf.
       
       De Maizière bekennt sich klar zum „Westen“, aber der Minister hat den
       Grundgedanken des Westens – die Individualisierung der Gesellschaft – nicht
       verstanden. Es geht nicht mehr um die Nation und die Gemeinschaft, in die
       man hineingeboren wird. Jetzt hat jeder die Chance, seinen eigenen Weg zum
       Glück zu finden: seinen Beruf, seine PartnerIn, seine politischen
       Präferenzen, sein selbstgewähltes soziales Milieu.
       
       Unterschiedliche Lebensformen, sexuelle Identitäten und ethnische
       Hintergründe werden gesellschaftlich akzeptiert. Die Leitkultur des Westens
       ist die individuelle Freiheit und der Pluralismus der Lebensstile. Bei de
       Maizière ist dagegen fast nur vom großen „wir“ die Rede und kaum vom
       individuellen „ich“. Vielleicht braucht der Minister selbst einen
       Integrationskurs.
       
       Dabei ist es durchaus richtig, Anforderungen an die Gesellschaft zu
       formulieren. Auch eine individualisierte Gesellschaft braucht gemeinsame
       Mindeststandard. Aber das ist kein Bekenntnis zu einer „Kultur“, sondern zu
       den echten Basics der modernen Gesellschaft: zu Demokratie, Rechtsstaat und
       Menschenwürde.
       
       Das ist ungefähr das, was auch de Maizière als das „Unverhandelbare“
       bezeichnet, und darauf können sich auch fast alle Zuwanderer einlassen. Wir
       haben also Standards, die fast allen wichtig sind – und das ist gut. Alles
       Weitere ist Parteifolklore, die wir nicht allzu ernst nehmen sollten.
       
       1 May 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Rath
       
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