# taz.de -- Kolumne Knapp überm Boulevard: Willkommen in der Führerdemokratie
       
       > Der neue Autoritarismus hat keine pädagogische Mission. Der Bürger darf
       > mangelhaft sein, denn daraus legitimiert sich Herrschaft durch Kränkung.
       
 (IMG) Bild: Die neuen Führer brauchen kein Ideal mehr, ihnen ist es ganz recht, wenn das Volk schwächelt
       
       Ja, es ist sinnvoll [1][von Populismus zu sprechen]. Dies sei all jenen
       gesagt, die meinen, der Begriff werde so inflationär gebraucht, dass er
       keine Bedeutung mehr habe. Der häufige Gebrauch liegt am häufigen Vorkommen
       des Phänomens. Und die Bedeutung des Begriffs ist nicht nur präzise,
       sondern auch notwendig, um den Unterschied zu anderen Phänomenen dieser Art
       zu markieren. Etwa zum Faschismus.
       
       Wir erleben derzeit nicht nur Populismus als Gegenbewegung, als Opposition
       – es ist auch Populismus an der Macht. Nicht nur in Russland, der Türkei
       oder den USA. Auch mitten in Europa. Da ist etwa Viktor Orbán in Ungarn –
       und andere sind schon ante portas. Dort, wo der Populismus an die Macht
       kommt, entwickelt er eine eigene Form von autoritärer Herrschaft: Die
       jüngste Rückkehr des Autoritarismus ist nicht das Wiederauftauchen des
       alten, sondern das Auftreten eines neuen Autoritarismus. Und auch da
       braucht es einen Begriff, der die Unterschiede markiert, einen Begriff, der
       diese spezifische Form von Herrschaft erfasst. Und dieser Begriff lautet:
       Führerdemokratie. Das ist die Herrschaftsform von Populismus an der Macht.
       
       Führerdemokratie meint jenes Demokratiegespenst, das nur mehr die Fassade
       für eine autoritäre Herrschaft abgibt. Aber dieser Autoritarismus ist nicht
       einfach eine Diktatur: Es ist nicht eine Herrschaft durch Zwang, sondern
       vielmehr [2][eine Herrschaft durch Zustimmung]. Auch wenn Zwang eingesetzt
       werden mag, um diese Zustimmung herzustellen. Etwa, indem man vor einem
       Referendum Journalisten einsperrt, bei Referenden, wo kein „Nein“
       vorgesehen ist.
       
       Das ist nicht demokratisch, sondern führungsdemokratisch. Da geht es um die
       Herstellung von Zustimmung, von direkter Verbundenheit zwischen Volk und
       Führer. Ohne institutionelle Umwege. Und darum, den gesellschaftlichen und
       politischen Ausnahmezustand auf Dauer herzustellen. Jenen Zustand, in dem
       der neue Autoritarismus gedeiht: die permanente Mobilisierung der
       Gesellschaft.
       
       ## Sündenbock ist oft der Liberalismus
       
       Wie das funktioniert? Zunächst wird ein Feind ausgemacht – ein Feind, der
       die Nation angeblich bedroht, kränkt, zerstört. In den meisten Fällen ist
       das heute die EU – als Machtblock, als Synonym für Liberalismus. Wesentlich
       ist, dass die Feindkonstruktion der Nation gewissermaßen vorangeht. Mit dem
       „Feind“ wird die längst geschwächte Nation erst wiederbelebt. Wie bei einem
       Taschenspielertrick – in der Abwehr der vermeintlichen Aggression oder
       Kränkung wird die erodierende Nation konsolidiert.
       
       Ein wesentlicher Punkt dabei ist, dass nationale Identität eine
       Auszeichnung bedeutet, die man ohne jegliche Gegenleistung erhält. Daraus
       folgt ein weiteres wesentliches Moment der Führerdemokratie. Der alte
       Autoritarismus hatte eine pädagogische Mission. Er wollte seine Subjekte
       verändern: sie erziehen, formen, einem Ideal angleichen – dem „neuen
       Menschen“. Egal, welchem Idealbild man huldigte, immer ging die
       Transformation der nationalen Subjekte mit deren Disziplinierung einher:
       sowohl mit äußerer als auch mit innerer, mit Selbstdisziplinierung.
       
       Der neue Autoritarismus hingegen hat keinerlei pädagogische Mission. Er hat
       kein Ideal, an das er die Leute anpassen möchte. Es geht ihm vielmehr
       darum, seine Subjekte eben nicht zu verändern. Sie vielmehr als das zu
       bestätigen, was sie sind. Für das, was sie ohne Eigenleistung sind –
       nationale Subjekte. Und in der Art, wie sie es sind: mit allen Mängeln.
       Denn der Mangel und die damit einhergehende vermeintliche Kränkung sind ja
       der Hebel der Führungsdemokratie – ob bei Putin, Erdoğan oder Orbán. Die
       Kränkung ist ihr Instrument, nicht die Disziplinierung der Gesellschaft.
       
       Wenn im neuen Autoritarismus die Gesellschaft also mobilisiert wird, wenn
       die Mobilisierung auf Dauer gestellt wird, so bedeutet das doch – im
       Unterschied zum alten Autoritarismus – keine Militarisierung der
       Gesellschaft. Es braucht nicht viel Fantasie, sich das entsprechende
       gesellschaftliche Gewaltmodell vorzustellen.
       
       25 Apr 2017
       
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