# taz.de -- Abschiebungen nach Afghanistan: Weniger sicher geht nicht
       
       > Die Bundesregierung äußert sich verwirrend und hält sich nicht an die
       > eigenen Kriterien. Andere EU-Staaten würden weitaus rigider abschieben.
       
 (IMG) Bild: Doch, doch, in Afghanistan ist es sicher
       
       Kabul taz | Im Streit um die Abschiebung abgelehnter afghanischer
       Asylbewerber erhöht die Bundesregierung den Druck: Man könne „behutsam,
       verantwortungsvoll, aber auch entschlossen abschieben“, sagte Innenminister
       [1][Thomas de Maizière am 20. Februar in der ARD]. Die Sicherheitslage in
       Afghanistan erlaube das.
       
       In einem von Bundesinnenministerium und Auswärtigem Amt gemeinsam
       verfassten Brief an alle Bundesländer, der am Dienstag in Auszügen auf
       Spiegel Online veröffentlicht wurde, knickt die Regierung aber dann auch in
       Nuancen ein. Statt von „sicheren“ Gebieten (de Maizière) ist nur noch von
       „vergleichsweise ruhigen“ Regionen die Rede. Die Weigerung konkret zu
       benennen, wo sich diese Gebiete eigentlich befänden, und offenzulegen,
       worauf diese Einschätzung gründet, hält an.
       
       Der geltende Asyllagebericht des Auswärtigen Amtes zu Afghanistan von
       November 2016 ist zwar Verschlusssache, enthält aber trotzdem nur ganze 15
       Zeilen zur Sicherheitslage. Sogar die fünf im 2015er Bericht genannten
       Provinzen mit „relativ sicheren“ Gebieten (aber eben nicht ganzen sicheren
       Provinzen) fielen heraus.
       
       Weniger sicher kann sich die Bundesregierung kaum sein. Trotzdem soll der
       Bericht die Grundlage für gerichtliche Entscheidungen über Asylanträge und
       die Abschiebeentscheidungen der Länder bilden. Entweder stützt sich die
       Bundesregierung also auf andere, ihr vorbehaltene Quellen. Oder sie nutzt
       offen zugängliche Quellen, etwa Berichte der UNO aus oder vom European
       Asylum Support Office (EASO) der EU zu Afghanistan. Dann ist alles nur noch
       Sache der Interpretation von Fakten.
       
       Im Brief an die Länder wird etwa aus der leicht gesunkenen Zahl in einer
       Kennziffer – der zivilen Todesopfer, um zwei Prozent, von 3.565 (2015) auf
       3.498 (2016) – offenbar auf eine verbesserte Situation geschlossen. Bei den
       meisten anderen Kennziffern – von der erheblich gestiegenen Zahl der
       Binnenvertriebenen bis zu einem Viertel mehr toter Kinder durch Kämpfe –
       ist die Tendenz aber eindeutig negativ.
       
       ## Was heißt sicher?
       
       Und überhaupt: sicherer im Vergleich womit? Mit Syrien? Da kann man nicht
       widersprechen. [2][Innerhalb Afghanistans aber gibt es nur mehr oder
       weniger unsichere Gebiete.] In Bamian, einer Provinz, die die
       Bundesregierung 2015 für „vergleichsweise sicher“ hielt, ereigneten sich
       laut EASO in zwölf Monaten 29 „sicherheitsrelevante Vorfälle“ – von
       Sprengstoffanschlägen bis zu Gefechten und Luftschlägen. Die Südprovinz
       Helmand hatte 1.785. Bamian ist vergleichsweise sicherer. Aber sicher?
       
       Außerdem hält die Bundesregierung sich nicht einmal an die eigenen
       Kriterien. Unter den 78 afghanischen Zwangsrückkehrern seit Dezember 2016
       waren mindestens 44 aus Provinzen, die sie selbst nicht als sicher
       betrachtet.
       
       Diese Details lassen den Mittwoch früh hereingekommene Tweet des
       baden-württembergischen Innenstaatssekretärs Martin Jäger („Fakten statt
       Emotionen und Hysterie“) zu bloßer Demagogie verblassen.
       
       Hier spielt sich jemand als Afghanistan-Experte auf, der gerade mal ein
       Jahr lang deutscher Botschafter in Kabul war – kürzer als jeder andere seit
       2001 –, von der afghanischen Wirklichkeit fast völlig abgeschottet,
       angewiesen auf sich selbst bestätigende Akteure im Resonanzraum der Kabuler
       Diplomatie, des Nato-Militärs und der an schlechten Nachrichten ebenfalls
       uninteressierten afghanischen Regierung – sowie auch nicht immer gut
       unterrichteter Nachrichtendienste, die sich schon beim
       Tanklaster-Bombardement in Kundus 2009 offenbar auch nur auf eine einzige
       Quelle stützten.
       
       Der Brief der Bundesregierung an die Länder verweist darauf, dass andere
       EU-Mitgliedstaaten „in deutlich höherem Umfang“ nach Afghanistan
       abschieben, Norwegen sogar Frauen und Kinder.
       
       Fazit: Die Bundesregierung denkt, sie verhalte sich „vergleichsweise
       human“. Aber human?
       
       1 Mar 2017
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.tagesschau.de/multimedia/video/video-261969.html
 (DIR) [2] /Abschiebung-nach-Afghanistan/!5383767
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Thomas Ruttig
       
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