# taz.de -- Die neuen Wunder des Stefan Beuse: Fernweh nach sich selbst
       
       > In „Das Buch der Wunder“ verquickt Stefan Beuse Realismus mit dem
       > Unerklärlichen. Mit seiner fast spröden Sprache umgeht er das
       > Kitschpotenzial des Plots
       
 (IMG) Bild: Versucht schreibend eine Art ewigen Moment einzufangen: Autor und Werber Stefan Beuse
       
       Auch wenn man jeden Tag schreibt, kann es dauern, bis so ein Roman fertig
       ist. Fünf Jahre hatte sich Stefan Beuse für seinen vorigen Roman „Alles was
       du siehst“ Zeit genommen. Dieses Mal hat es sogar acht Jahre gedauert.
       Jetzt ist „Das Buch der Wunder“ erschienen, sein erster Roman im Mairisch
       Verlag. „Es gibt Bücher, die dauern so lange“, sagt Beuse. Ein paar Hundert
       Seiten hat er gekürzt, 220 Seiten hat der Roman nun.
       
       „Das Buch der Wunder“ liest sich ein bisschen wie eine
       Coming-of-Age-Geschichte zwischen unprätentiösem Realismus und – ja, was?
       Fantasy, Mystik, Zauber? Zunächst sind da die ungleichen Geschwister Penny
       und Tom. Penny ist anstrengend und versponnen, Tom will die Welt erforschen
       und sezieren und ist sich sicher, dass man mit Wissenschaft alles erklären
       kann. Dann stirbt der Vater, die Familie zieht mit dem neuen Freund in eine
       sterile Reihenhaussiedlung, wo Penny eines Tages tot vorm Gartenteich
       umfällt.
       
       Dann macht der Roman einen Zeitsprung, Tom ist Werber und trifft auf ein
       trotziges kleines Mädchen, und die Frage, wer er eigentlich mal sein
       wollte, wird wieder sehr dringlich. Der Plot birgt Kitschpotenzial, aber
       die nüchterne, manchmal fast ein bisschen spröde Sprache und das durch und
       durch Merkwürdige machen aus dem Roman einen wunderbaren Text, der in die
       gängigen Schubladen so überhaupt nicht passt: „Das Buch der Wunder“ ist
       schlichtweg auf eine sehr selbstverständliche und poetische Art und Weise
       seltsam. Am nächsten kommt es vielleicht noch der Tradition der spanischen
       Literatur, Realismus und Mystik zu verquicken.
       
       Das Unerklärliche und Unberechenbare im Leben zu thematisieren, es als
       selbstverständlich darzustellen und gleichzeitig dessen Verstörung zu
       beschreiben, zieht sich durch Beuses gesamtes literarisches Werk. „Leute,
       die versuchen, was ich mit meinem Roman versuche, flüchten sich gern in
       Science-Fiction oder Fantasy. Ich finde das zu einfach“, sagt Beuse.
       „Science-Fiction heißt: Das, was du liest, passiert in der Zukunft. Es ist
       also eine Vision, die garantiert nichts mit deinem Leben zu tun hat.
       Fantasy sagt: Komm, gib mir deine Hand, wir lassen deine Welt jetzt mal
       ganz weit hinter uns und gehen in ein Land, in dem unglaubliche Dinge
       möglich sind.“ Ihm sei aber wichtig, die Bodenhaftung in seinen Texten so
       lange wie möglich beizubehalten. „Das ist natürlich eine Gratwanderung: Wie
       weit darfst du das, was alle für real halten, verlassen, ohne in die
       Kalenderspruch-Ecke zu geraten? Da sprachlich die Balance zu halten, ist
       einer der vielen Gründe, warum das Schreiben so lange gedauert hat.“
       
       In „Das Buch der Wunder“ mischen sich naturwissenschaftliche Theorien mit
       einer mal religiösen, mal (natur)philosophischen Übernatürlichkeit. Beuse
       scheint insgesamt ziemlich theoriefest zu sein. Er behauptet aber, das
       alles nicht gelesen zu haben und sich eigentlich nur mit fernöstlicher
       Mystik und ihrer Ähnlichkeit zur modernen Quantenphysik beschäftigt zu
       haben. „Es gibt zum Beispiel das, was Einstein mal spukhafte Fernwirkung
       genannt hat. Wenn so genannte Zwillingsteilchen voneinander getrennt werden
       und mit dem einen Teilchen passiert etwas, reagiert das andere darauf, und
       zwar unabhängig von Zeit und Raum.“
       
       Als religiös im klassischen Sinne bezeichnet Beuse sich nicht. „Dieser
       strafende Gott, der getrennt von uns als Autorität existiert, ist eher eine
       Erfindung der Kirche, um Leute kleinzuhalten“, sagt er. „Ich glaube nicht
       an eine höhere Macht in diesem Sinne, sondern eher an etwas, das in uns und
       gleichzeitig das Ganze ist. Vor allem aber glaube ich an Menschen und ihre
       Möglichkeiten.“ Es klingt eher nüchtern als esoterisch, wenn er sagt: „Es
       ist eher ein Wissen als ein Glaube.“
       
       Die Schönheit des Buches liegt darin, eine Unaufgeregtheit gegenüber der
       Einsicht zu vermitteln, dass unter dem dünnen Boden der Erwartungshaltungen
       das „Fernweh nach sich selbst“, wie Beuse es nennt, permanent aus- und
       durchbrechen kann. Angstfreiheit gegenüber den inneren Wünschen und
       Abgründen – das ist eigentlich keine schlechte Botschaft in diesen Zeiten,
       in denen ein Titel wie „Das Buch der Wunder“ ein bisschen deplatziert
       wirken mag. „Ich weiß, dass das ein total größenwahnsinniger Titel ist“,
       räumt Beuse ein. „Aber irgendwann wusste ich, es darf eigentlich kein
       anderer sein.“
       
       Seit er 1997 sein Debüt „Wir schießen Gummibänder zu den Sternen“
       veröffentlichte, ist der heute 50-Jährige in der Literaturszene aktiv. Er
       bekam mehrfach den Hamburger Förderpreis für Literatur und gewann beim
       Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb und seine Romane „Kometen“ und „Meers Stille“
       wurden verfilmt.
       
       Sein erstes literarisches Vorbild war der französische Schriftsteller
       Philippe Djian, der mit Romanen über Ausbruch und Abenteuer und einem von
       Tempo und Ruhelosigkeit geprägten Schreibstil in den 1980er-Jahren berühmt
       wurde. „Das war schon eine Initialzündung, weil seine Romane mir damals
       gezeigt haben, dass es möglich ist, in Büchern regelrecht zu leben und
       welche Kraft Literatur haben kann. Das waren keine Buchstaben, das war ein
       Gefühl. Und das wollte ich auch, so was erzeugen.“ Mit Djians späteren
       Werken kann er allerdings nicht mehr viel anfangen. „Nach seinen frühen
       Büchern hat er viel schreckliches Zeug geschrieben.“
       
       Hauptberuflich arbeitet Beuse, auch eher bodenständig, als Werber. Die
       Werbebranche war bereits im 2002 erschienenen Roman „Die Nacht der Könige“
       Handlungsschauplatz, mit dem zynischen Blick eines Frédéric Beigbeders, der
       in seinem Roman „Neununddreißigneunzig“ mit der Branche abrechnet, hat er
       aber nichts am Hut. „Werber sind größtenteils nette, harmlose Leute, keine
       Zyniker oder Menschenverachter, wie man so denkt. In ‚Das Buch der Wunder‘
       ist diese Werbeagentur ja auch nur Nebenschauplatz. Das hätte auch eine
       Filiale der Deutschen Post sein können, wenn das besser gepasst hätte.“
       
       Beuses Romane sind nie klar verortet, die Figuren sozial und kulturell kaum
       einzuordnen: „Die heißen eigentlich immer wie die Namen auf den Schildern
       trauriger Diner-Mitarbeiter.“ Ihm gehe es weniger um greifbare Geschichten
       eines einzelnen Menschen als um die Illustration eines Prinzips. „Ich gehe
       von Bildern aus, an denen mich etwas reizt, und lasse mich dann auf die
       Reise nehmen“, sagt Beuse, der nach dem Abitur zunächst eine Ausbildung zum
       Fotografen gemacht hat. „Ich komme aus Münster und wollte schon deswegen
       nicht studieren, weil Münsteraner Studenten damals den ganzen Tag mit
       Gitarren am See saßen und Bob Dylan gesungen haben.“
       
       Sein Schreiben sei definitiv von der Liebe zur Fotografie geprägt: „Im
       Wesentlichen geht es in der Fotografie darum, dem Leben ein Bild
       abzutrotzen, das größer ist als der eingefangene Moment. Es deutet über den
       Augenblick hinaus und steht für das Ganze, obwohl es natürlich gleichzeitig
       Realität dokumentiert. Das perfekte Bild ist also eine Art ewiger Moment,
       und schreibend versuche ich, etwas Ähnliches herzustellen.“
       
       7 Mar 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Hanna Klimpe
       
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