# taz.de -- Großdemos in Rumänien: Die Regierung gibt nach
       
       > Nach heftigem Protest werden die Antikorruptionsgesetze zurückgezogen.
       > Forderungen nach einem Rücktritt der Regierung werden laut.
       
 (IMG) Bild: Demonstranten am Sonnabend vor dem Parlamentspalast in Bukarest
       
       Berlin taz | Die rumänische Regierung hat am frühen Sonntagnachmittag in
       einer Sondersitzung beschlossen, die umstrittenen Eilverordnungen zur
       Lockerung der Antikorruptiongesetze zu annullieren. Der
       sozial-demokratische Premier Sorin Grindeanu hatte bereits am Samstag Abend
       in Bukarest einen derartigen Schritt angekündigt. Er wolle Rumänien nicht
       weiter spalten, sagte Grindeanu, nachdem sich vor dem Regierungsgebäude in
       der Hauptstadt wieder Zehntausende von Demonstranten eingefunden hatten.
       
       Am Sonntagabend weiteten sich die Proteste aus: Allein in Bukarest gingen
       nach Grindeanus Aufhebungsbeschluss etwa 250.000 Menschen auf die Straße.
       Die Metrostation am Platz des Regierungssitzes wurde geschlossen, um
       Gedränge in den Unterführungen zu vermeiden. Viele junge Leute waren aus
       der Provinz zum Protest nach Bukarest gereist. Sie nutzten dabei einen
       neuen Regierungsbeschluss, dem zufolge Studenten kostenlos Eisenbahn fahren
       dürfen. In mindestens 20 weiteren Städten gab es Kundgebungen mit jeweils
       Zehntausenden oder Tausenden Demonstranten.
       
       In den vergangenen Tagen wurden zudem mehrere Verfassungsklagen
       eingereicht, um die Verordnungen zu stoppen. Darin war vorgesehen
       Amtsmissbrauch und Vorteilsnahme, wenn der Schaden unter 50.000 Euro liegt,
       nicht mehr strafrechtlich zu verfolgen. Von den geplanten Änderungen hätten
       zahlreiche verurteilte Politiker profitiert, darunter auch der Vorsitzende
       der Sozialdemokratischen Partei (PSD), Liviu Dragnea. Dieser gilt als der
       eigentliche Drahtzieher der umstrittenen Verordnungen, der
       Ministerpräsident als sein verlängerter Arm.
       
       Die seit Tagen anhaltenden Proteste hatten die Regierung zunehmend unter
       Druck gesetzt, nachdem es zuvor bereits zu schweren Ausschreitungen
       zwischen Demonstranten und der Polizei gekommen war. Zehntausende forderten
       am Samstag Abend den Rücktritt der Regierung. In Sprechchören skandierten
       die Demonstranten „Diebe, Diebe“ und „Annullieren und dann Rücktritt!“.
       
       In der westrumänischen Stadt Temeswar/Timişoara, wo 1989 der Aufstand gegen
       das kommunistische Ceauşescuregime ausgebrochen war, der zum Sturz der
       Diktatur führte, verlasen die Mitglieder der so genannten „Initiative
       Temeswar“ eine Proklamation, in der die Regierung als „volksfeindlich“
       apostrophiert wurde. In der aus acht Punkten bestehenden Proklamation
       werden ein „Antikorruptionsreferendum“, eine aktive Beteiligung aller
       Bürger an geplanten Regierungsverordnungen und die Entpolitisierung
       öffentlicher Ämter gefordert.
       
       Gleichzeitig verlangen die Verfasser, die Aufhebung der Bestimmung, wonach
       die strafrechtliche Verfolgung von Abgeordneten die Billigung des
       Parlaments benötigt. „Wenn der Rechtsstaat in Gefahr ist“, heißt es in der
       Proklamation, „haben wir die Pflicht ihn zu beschützen.“ Ministerpräsident
       Sorin Grindeanu musste am Samstag kleinlaut eingestehen, dass er dem Druck
       der Demonstranten nachgeben werde, um einer weiteren Polarisierung der
       rumänischen Gesellschaft zuvorzukommen.
       
       ## Mobilisierung in sozialen Netzwerken
       
       Wie sehr die Maßnahmen der sozial-demokratisch-liberalen Koalition diesen
       unübersehbaren Spaltungsprozess beschleunigt haben, kann an den Reaktionen
       in den sozialen Netzwerken abgelesen werden, die in den letzten Tagen auch
       maßgeblich zur Mobilisierung der Demonstranten beigetragen haben.
       
       In einem an Präsident Klaus Johannis adressierten Schreiben, das von der
       über eine Million zählenden Facebookunterstützergruppe „România“ (Rumänien)
       verbreitet wurde, heißt es wörtlich: „Lieber Klaus, Hunderttausende von
       Rumänen, die an den letzten Abenden gegen die heimtückischen Verordnungen
       von Dragnea protestiert haben, sind nicht Deine Rumänen! Sie sind nicht
       wegen Dir auf die Straße gegangen, sie gehören Rumänien. Sie sind auf die
       Straßen gegangen, um einen Rechtsstaat vor Verrätern wie Dir und Dragnea,
       und allen anderen aus der Nationalliberalen Partei (PNL), der
       Sozialdemokratischen Partei (PSD), der Volksbewegungspartei (PMP), der
       Liberaldemokratischen Allianz (ALDE), dem Demokratischen Verband der Ungarn
       aus Rumänien (UDMR), dem Verband Befreit Rumänien (USL) zu verteidigen. Ihr
       alle seid nichts Anderes als Aasgeier, die noch ein Stückchen Fleisch aus
       dem Körper dieses seit 27 Jahren erniedrigten Volkes heraus zu picken
       versuchen“.
       
       In dem Schreiben, das in Windeseile auf Facebook verbreitet wurde, erwähnt
       der Verfasser die Abholzung der Wälder durch multinationale Konzerne und
       die Veräußerung landwirtschaftlicher Nutzflächen an zahlungskräftige
       Ausländer.
       
       Den Rücktritt der Regierung forderte auch der frühere Parlamentarier und
       Menschenrechtsaktivist Remus Cernea. Er begründet seine Forderung mit dem
       Hinweis, dass sich die sozialdemokratische Partei sowohl im In- als auch im
       Ausland völlig diskreditiert habe. Aus diesem Grund dürfe niemand mehr die
       Vertreter dieser Regierungspartei als Gesprächspartner akzeptieren.
       
       5 Feb 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) William Totok
       
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