# taz.de -- Sozialbetrug in Bremerhaven: Der Zoll war Schuld
       
       > Vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum Sozialbetrug in
       > Bremerhaven wies der Jobcenter-Chef Vorwürfe gegen ihn zurück.
       
 (IMG) Bild: Vorm Untersuchungsausschuss: Friedrich-Wilhelm Gruhl, Chef des Jobcenters Bremerhaven.
       
       BREMEN taz | Anders als Bremerhavens Sozialdezernent Klaus Rosche (SPD),
       der am vergangenen Dienstag vorm Parlamentarischen Untersuchungsausschusses
       zum massenhaften Abrechnungsbetrug von Sozialleistungen wortkarg und fast
       abweisend war, sagte am gestrigen Freitag Friedrich-Wilhelm Gruhl,
       Geschäftsführer des Bremerhavener Jobcenters, auskunftsfreudig und
       detailliert aus.
       
       Zum Beispiel über den Schaden, der entstanden ist durch zu Unrecht gezahlte
       Jobcenter-Gelder an BulgarInnen und GriechInnen. Denen sollen zwei
       Bremerhavener Vereine Scheinarbeitsverträge ausgestellt haben, aufgrund
       derer nach jetzigem Stand fast 900 Menschen mindestens aufstockende
       Hartz-IV-Leistungen sowie Kosten für die Unterkunft und Bildungsgutscheine
       erhalten haben. „Die vorläufige Berechnung der Schadenssumme liegt bei
       etwas über sechs Millionen Euro“, sagte Gruhl.
       
       Bereits 2013 habe es Verdachtsmomente gegeben. Dass plötzlich so viele
       Bulgaren und Griechen in Bremerhaven aufgetaucht seien, habe ihn nicht
       gewundert: „Es gab Kommunen in Deutschland, wo vor allem Bulgaren hinzogen,
       und alle ähnelten in ihren Strukturen Bremerhaven: hohe Arbeitslosigkeit,
       viel Leerstand, niedrige Lebenshaltungskosten.“ Auffällig sei aber schnell
       gewesen, dass die „Neukunden“ nur von wenigen und immer den gleichen
       „Beratern“ zum Jobcenter begleitet worden seien und dass die vorgelegten
       Bescheinigungen immer die gleichen Unterschriften trugen. „Wir haben den
       Verdacht auf Schwarzarbeit gehabt“, sagte Gruhl. Deswegen habe er bereits
       Ende Januar 2014 Arbeitsverträge an den Zoll weitergeleitet.
       
       Danach sei aber anderthalb Jahre lang nichts passiert – außer dass immer
       mehr Menschen zugezogen seien und türkischsprechende
       Jobcenter-MitarbeiterInnen festgestellt hätten, dass die „Begleiter“ falsch
       oder nur teilweise übersetzt hätten. Man habe deswegen gegen mehrere von
       ihnen Hausverbote verhängt, die das Verwaltungsgericht bis auf eines
       allerdings wieder rückgängig gemacht habe: „Die Dolmetscher waren ja
       freundlich, haben also niemanden bedroht oder den Betriebsfrieden gestört“,
       sagte Gruhl.
       
       Man sei beim Jobcenter dazu übergegangen, türkischsprechende KollegInnen
       hinzuzuziehen, „die haben dann auch Vermerke angefertigt über falsche und
       unvollständige Übersetzungen“. Das sei aber nicht in allen Fällen möglich
       gewesen, „weil teilweise 40 bis 50 Bulgaren an einem einzigen Tag im
       Jobcenter waren.“
       
       Gruhl wirft der Zollverwaltung vor, sich nicht früher zurückgemeldet zu
       haben: „Wir haben Schwarzarbeit vermutet – aber dass es überhaupt keine
       Arbeitsplätze gab, ahnten wir nicht.“ Auf die Frage, warum er nicht auch
       gleichzeitig Anzeige erstattet habe, sagte er: „Es ist das übliche
       Verfahren, dass wir unseren Verdacht erst an den Zoll melden. Erst wenn der
       seine Ermittlungen beendet hat, wird – je nach Ausgang – Anzeige
       erstattet.“ So sei es auch in diesem Fall gewesen. Fraglich blieb
       allerdings, warum das Jobcenter nicht zwischendurch bei der Zollbehörde
       nachgehakt hat. Ja, er hätte früher nachfragen können, räumte Gruhl dann
       auch ein.
       
       Fraglich bleibt auch, warum sich die Sozialbehörde nicht eingemischt hat:
       Denn auch Rosche war seit 2013 mindestens über den Verdacht informiert, das
       bestätigte Gruhl: Er habe „regen Kontakt“ zum Sozialdezernenten als
       Vorsitzenden der Jobcenter-Trägerversammlung gehabt: „Und da wurde der
       Anstieg von Ausländern und der Arbeitslosenzahlen durchaus thematisiert.“
       Rosches Vorwurf, das Jobcenter habe zu zögerlich gehandelt, wies Guhl
       genauso zurück wie die Behauptung, Rosche habe ihn dazu drängen müssen,
       Anzeige zu erstatten.
       
       20 Jan 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Simone Schnase
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Bremerhaven
 (DIR) Jobcenter
 (DIR) Untersuchungsausschuss
 (DIR) Sozialbetrug
 (DIR) Informelle Arbeit
 (DIR) Sozialbetrug
 (DIR) Sozialbetrug
 (DIR) Sozialleistungen
 (DIR) Bremerhaven
 (DIR) Bremerhaven
 (DIR) Jobcenter
 (DIR) Sozialleistungen
 (DIR) Bremerhaven
 (DIR) Förderung
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Schwarzarbeit in Bremerhaven: Ausgebeutete Arbeiter
       
       In Bremerhaven gibt es nach Ansicht der Linken Tagelöhnerei und einen
       „grauen Arbeitsmarkt“. Der Magistrat weiß von nichts.
       
 (DIR) Sozialbetrug in Bremerhaven: Ausbeutung von oben gedeckt
       
       Ex-Sozialdezernent Klaus Rosche (SPD) verhinderte die Aufklärung von
       Ausbeutung Osteuropäischer Einwanderer. Informationen hielt er unter dem
       Deckel.
       
 (DIR) Offene Geheimnisse: Sie pfiffen’s von den Dächern
       
       Vor dem Untersuchungsausschuss zum mutmaßlichen Sozialbetrug in Bremerhaven
       gab es erneut so einige Ungereimtheiten
       
 (DIR) Sozialdezernent wackelt: Es wird eng für Klaus Rosche
       
       Vor dem Untersuchungsausschuss zum mutmaßlichen Sozialbetrug hat eine
       AWO-Mitarbeiterin den Sozialdezernenten Klaus Rosche (SPD) schwer belastet
       
 (DIR) Ausschuss soll Sozialbetrug aufklären: Ahnungslos in Bremerhaven
       
       Im Untersuchungsausschuss zum Sozialbetrug offenbart der Dezernent das
       Ausmaß seiner Unkenntnis. Die Abgeordneten sind entsetzt.
       
 (DIR) Sozialbetrug wird untersucht: Eigennütziger Familienverein
       
       Die Familie des Bremer Parlamentariers Patrick Öztürk soll gewerbsmäßigen
       Betrug in Bremerhaven organisiert haben. Der Untersuchungsausschuss
       beginnt.
       
 (DIR) Arbeitsagentur behindert Aufklärung: „Das geht überhaupt nicht!“
       
       Nelson Janßen, Vorsitzender des Untersuchungsausschusses zum Sozialbetrug
       in Bremerhaven, erhebt schwere Vorwürfe
       
 (DIR) Vorwurf Sozialbetrug: Prüfen kann man immer noch
       
       Bremerhaven streicht EU-Bürgern aus Südosteuropa die Leistungen – manchmal
       auch prophylaktisch und ohne Bescheid.
       
 (DIR) Sozialbetrug in Bremerhaven: Humanitäre Katastrophe
       
       Die Mehrheit der Bremischen Bürgerschaft erkennt die nach Bremerhaven
       gelotsten Menschen „auch als Opfer“ an – die dringend Hilfe brauchen.
       
 (DIR) Betrugsverdacht: Herr Öztürk schweigt
       
       Unter Betrugsverdacht stehende Bremerhavener Vereine haben auch mehrere
       Zusatzleistungen und Fördergelder kassiert.